Nina Hagen ist mehr als eine Skandalnudel. Davon kann sich spätestens seit dem 16. Juli jeder Kritiker – zumindest akustisch – überzeugen. Seitdem ist Hagens neuestes Album im Handel. "Personal Jesus" heißt ihr Werk und drin ist, was drauf steht. Die Urberlinerin hat Soul-, Jazz- und Gospelnummern neu aufgenommen und besingt das Leben mir ihrem Gott. Dass die Punkrockerin sich im vergangenen Jahr taufen ließ, ist mittlerweile landein landaus bekannt. Sie hat ein Buch über ihren Weg zum Glauben veröffentlicht und nun folgt, wie könnte es bei einer der bekanntesten deutschen Musikerinnen anders sein, auch das passende Album dazu.
Nina Hagen zelebriert ihr neues Glaubensglück in ganz großem Stil. Man mag ihr vorwerfen, sie schlage Gewinn aus ihrem Lebenswandel – doch das ändert nichts an der Qualität ihres neuen Werks. Endlich beweist sich Hagen wieder stimmlich. Wie kaum eine deutsche Sängerin beherrscht sie es, in Soulmanier zu singen. Mal kratzig, wie bei der Cover-Version des "Depeche Mode"-Klassikers "Personal Jesus", mal ganz sanft, wie beim Lied "Sometimes I Ring Up Heaven", beweist sie Stimmvolumen im Stile einer Aretha Franklin.
"Ein großes Comeback"
Mit ihrem neuen Album provoziert die ehemalige Esoterikerin erstmals seit Jahren auch das Lob der landesweiten Presse. Die "Deutsche Presse-Agentur" nennt "Personal Jesus" "ein überraschendes, ein großes Comeback" und verzeiht ihr sogar die Album-Vorstellung à la Hagen: im neongrünen Minikleid, mit Federpuschel auf dem Kopf und mit Lackstiefeln an den Füßen in der Parochialkirche in Berlin. Ihr Konzert soll sie mit dem Ruf "Wir sind das Volk!" beendet haben. "Irgendwie Punk sein und christlicher Glaube, das passt für Nina Hagen zusammen", schreibt die dpa. Für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) ist "Personal Jesus" "das wohl überraschendste Album des Jahres". Es heißt weiter: "Nina Hagen kann es mit den allerbesten Rhythm&Blues-Sängerinnen aufnehmen; sie kann glucksen und kieksen wie Ruth Brown und LaVerne Baker, schnurren wie Eartha Kitt, beherrscht klagen wie Aretha Franklin und brummen und pressen wie alle zusammen."
Es befremdet ein wenig, dass sich die deutsche Medienwelt so überrascht von Hagens Soulstimme zeigt. Gospels und Traditionals gehören seit Jahren zu ihrem Bühnenprogramm. Dass nun ein ganzes Album zum Thema folgt, ist nicht nur eine Konsequenz aus ihrem neu entdeckten Glauben, sondern scheint von langer Hand vorbereitet. Auch deshalb verzeiht man ihr das etwas klamaukige Auftaktstück "God’s Radar", bei dem man sie im Geiste vor sich sieht: Nina Hagen, wie sie Grimassen zieht, die Augen rollt und sich selbst, ebenso wenig wie ihre Stimme, unter Kontrolle zu haben scheint. Doch der Eindruck täuscht, das wird mit jedem weiteren Lied klar. Spätestens beim letzten Stück 13 ist der Hörer sicher: Diese Nina Hagen ist Vollblutmusikerin – und sie hat die derzeit beeindruckendste Frauenstimme Deutschlands.
Personal Jesus, Nina Hagen, Koch Universal, 13,95 Euro