Ertan Cevik ist ein ruhiger Mann. Er spricht leise und langsam, um keine Fehler zu machen. In seinem grauen Anzug wirkt er unscheinbar, fast ängstlich. Doch Ertan Cevik kämpft gegen das System. In einem Land, das die Hilfsorganisation "Open Doors" auf Platz 35 der größten Christenverfolger weltweit listet, hat er eine Baptistengemeinde gegründet. In Izmir, einer 3-Millionen-Einwohner-Metropole in der Türkei, versammelt er sich wöchentlich mit 32 anderen Christen zum Gottesdienst. Dafür hätte er fast mit seinem Leben bezahlt.
"Pistole immer schussbereit"
"Wir haben Proteste von radikalen Nationalisten und Islamisten vor unserer Kirche erlebt. Es kam sogar schon vor, dass einer von ihnen versucht hat, mich mit einem Messer anzugreifen. Es wurden auch schon sechs mutmaßliche Terroristen festgenommen, weil sie geplant hatten, mich umzubringen. Seitdem stehe ich unter Polizeischutz", sagt Cevik. Ein Bodyguard begleite ihn nun täglich. "Seine Pistole ist immer geladen und schussbereit", sagt Cevik. Ängstlich wirkt er nicht. Vielleicht auch deshalb, weil er sich freiwillig dazu entschieden hat, in der Türkei zu leben. Cevik ist das Kind eines türkischen Gastarbeiters in Deutschland. In seiner Jugend wird er Christ. "Wir sind verpflichtet, die Hoffnung, die wir im Glauben haben, weiterzugeben", findet er. Deshalb ist er in das Land seines Vaters zurückgekehrt.
"Von den 99 Prozent Muslimen in der Türkei ist ein Großteil liberal", sagt Cevik. In seiner Arbeit setzt er auf Dialog: "Wir haben ein großes Kirchengebäude und einen schönen Garten, und wir pflegen einen guten Kontakt zu unseren muslimischen Nachbarn. Natürlich gibt es auch radikale Kräfte, die uns das Leben schwer machen wollen, weil wir als Christen eben eine ganz kleine Minderheit in der Türkei sind. Wir werden nach wie vor nicht geduldet." Neben Angriffen und Protesten gegen seine Gemeinde hat er auch gute Erfahrungen mit der türkischen Öffentlichkeit gemacht. Cevik nennt ein Beispiel mit traurigem Ursprung: Derzeit läuft in seiner Heimat der Prozess gegen die Mörder von drei Christen im Jahr 2007. Unter den Getöteten war auch der Deutsche Tilmann Geske. "Das Fernsehen berichtet darüber", sagt Cevik. "Viele Türken bedauern dieses furchtbare Blutbad. Die Tat war sehr brutal, den Christen wurden die Kehlen durchgeschnitten. Damals sind unsere islamischen Nachbarn mit einem Blumenstrauß in unsere Kirche gekommen und haben gesagt, wie Leid es ihnen tut. Sie haben sich dafür entschuldigt." Das zeige die ehrlichen und guten Verbindungen zu den muslimischen Mitbürgern, findet er.
Reif für die EU? "Jein."
Ob sein Land reif für den EU-Beitritt ist? Ja und Nein, sagt Cevik. Die Türkei habe sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Regierung habe den türkischen Christen viele Rechte eingeräumt. Früher sei es Christen unmöglich gewesen, einen Verein zu gründen. Kirchen hätten nicht renoviert werden dürfen. Heute sei das erlaubt. "Seit ein paar Jahren wird uns auch Polizeischutz gewährt", sagt Cevik. "Evangelische, katholische und orthodoxe Priester sind nicht mehr so gefährdet wie früher." Doch vor einem EU-Beitritt sei noch viel zu tun: "Christen sind noch immer stark benachteiligt. In Schulbüchern werden wir negativ dargestellt. Die Öffentlichkeit geht noch immer nicht neutral mit uns um. In den letzten Jahrzehnten wurde kaum über den christlichen Glauben aufgeklärt." Cevik sieht vieles optimistisch. Doch er ist sich sicher: Ein freies Leben der Christen in der Türkei hängt bei weitem nicht nur von Gesetzen ab: "Die Denkweisen müssen sich ändern." (pro)
Das Interview sehen Sie in voller Länge ab Mittwoch in der Sendung "ERF aktuell" des ERF.