Eltern und Lehrer schätzen die Gefahren, auf die Kinder im Internet treffen, oft falsch ein. Zu diesem Ergebnis kommt eine amerikanische Studie im Auftrag der US-Regierung. Laut der Untersuchung ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind im Internet Opfer eines sexuellen Übergriffs werde, statistisch sehr gering. Es gebe zwar Sexualstraftäter, die sich im Internet bewegen und eine Gefahr für die jungen Nutzer darstellen. Doch sie träten nicht so häufig auf, wie dies vielfach angenommen würde, heißt es in dem Bericht.
Auch von anderen, in der Öffentlichkeit diskutierten Inhalten gehe weniger Gefahr aus als oft angenommen. Entwicklungen wie "Sexting", also das Verbreiten erotischer Bilder oder Filme über Handys, würden laut dem Bericht zu sehr hochgespielt. Manches sei auch anders als in den Medien dargestellt: Beispielsweise begegnen viele Kindern zwar ungewollt pornografischen Seiten im Netz, zu einem Teil suchten vor allem ältere Jungen aber gezielt nach Porno-Angeboten.
Unter dem Titel "Youth Safety on a living Internet" untersuchten Wissenschaftler der Arbeitsgruppe für Internetsicherheit und Technik der "National Telecommunications and Informations Administration" die Möglichkeiten, Kinder vor Internetgefahren zu schützen. Sie kamen zu dem Schluss, dass bestimmte Themen in der Öffentlichkeit und auch in den Medien übertrieben dargestellt oder tendenziös diskutiert.
Eltern und andere Erziehende sollten ihre Aufmerksamkeit auf weniger offensichtliche Gefahren lenken. Wie der Online-Nachrichtendienst "Pressetext" berichtet, seien Cyberbullying und Mobbing die häufigsten Bedrohungen, der amerikanische Minderjährige ausgesetzt sind. Beides finde sowohl online als auch im realen Leben statt. Außerdem unterschätzen laut der Untersuchung viele Erwachsene die Folgen eines sorglosen Umgangs vieler Jugendlicher mit den eigenen Daten, aber auch dem Urheberrecht. Auch die Gefahr, sich online durch Fotos oder Statements in Sozialen Netzwerken einen schlechten Ruf einzuhandeln, sei groß.
Laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2009 spielt bei dem Umgang mit Medien der familiäre Hintergrund von Jugendlichen eine große Rolle. Nutzung und Risikoverhalten der Jugendlichen seien auch unterschiedlich: Viele Jugendliche, die online in gefährliche Situationen geraten, provozierten dies durch risikofreudiges Verhalten. Meist zeigten diese Jugendlichen ein ähnliches Verhalten auch im realen Leben. Heranwachsende, die ein stabiles Selbstwertgefühl entwickelt haben, seien besser geschützt vor Internetgefahren als durch technische Sicherheitsvorkehrungen.
Jeder Vierte hatte bereits Kontakt mit Internetbekanntschaft
In Deutschland haben Studien zu anderen Ergebnissen in Bezug auf die Gefahren durch Kontaktaufnahme im Internet geführt. So haben in der JIM-Studie 2009 (Jugend-Information-Medien 2009), einer Basisuntersuchung des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest, knapp die Hälfte (48 Prozent) der 12- bis 19-jährigen Mädchen angegeben, sie seien im Internet schon einmal von Fremden nach ihrer Adresse und Telefonnummer gefragt worden. 41 Prozent dieser Mädchen haben ihre Daten übrigens nicht herausgegeben.
Die JIM-Studie ergab allerdings auch, dass 25 Prozent der jugendlichen Internetnutzer bereits einmal mit Personen, die sie im Internet kennen gelernt haben, telefoniert oder sich persönlich getroffen haben. Jeder Zehnte gab an, die persönliche Begegnung sei ernüchternd gewesen. Laut der JIM-Studie sind ein Viertel der deutschen Jugendlichen bereits in Berührung mit Cyber-Mobbing gekommen.
Gewalt und Pornografie: nicht dramatisieren
Die Studie "Verloren im Netz" des Kinder- und Jugendforschungsinstitutes "iconkids & youth" fand heraus, dass rund ein Drittel der befragten Jugendlichen bereits Kontakt mit gewalttätigen Inhalten hatte (33 Prozent), gefolgt von pornografischen Inhalten (28 Prozent). Axel Dammler, der Leiter der Studie, bewertet das reale Gefahrenpotential durch unerwünschte Inhalte eher gering. Er ist davon überzeugt, dass die Nutzung solcher Inhalte vor allem bei Jungen mit altersbedingter jugendlicher Provokation und auch mit Mutproben zu tun hat. Laut Dammler sollten Eltern dies nicht in jedem Fall dramatisieren.
Der Jugendforscher ist davon überzeugt, dass bei der großen Mehrheit der Jugendlichen, die mit Pornografie oder Gewalt im Netz in Berührung kamen, keine "gravierenden Spätfolgen" zu befürchten sind, "da der Einfluss solcher Inhalte durch die Sozialisation im persönlichen Nahbereich relativiert und kompensiert wird". Nur wenn problematische Inhalte nicht durch das soziale Umfeld korrigiert werden, seien negative Folgen zu erwarten.
Onlinesucht unterschätzte Gefahr
Die Studie "Verloren im Netz" kommt zu dem Ergebnis, dass Online-Sucht die am meisten unterschätzte Gefahr bei der Internetnutzung darstellt. Ein Drittel der befragten jugendlichen Internet-Nutzer sei latent von Online-Sucht bedroht. Besonders gefährdet seien männliche Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren: Hier empfindet sich schon jeder Fünfte als gefährdet (20 Prozent)! "Hier geht es dann definitiv nicht mehr ’nur‘ um jugendliche Mutproben, sondern um das Entstehen langfristig gefährlicher Gewohnheiten bis hin zur krankhaften Sucht mit negativen Folgen für alle Lebensbereiche."
Die anfangs zitierte amerikanische Untersuchung betont, dass der Schlüssel zu einem sicheren Umgang mit dem Internet sei, den Kindern ein verantwortungsvolles Verhalten beizubringen- und zwar online und offline.
In Deutschland setzen sich Organisationen wie "Klicksafe" oder der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) für eine bessere medienpädagogische Bildung ein. Auf der Internetseite des BVDW kann man Anleitungen für den Umgang mit Sozialen Netzwerken herunter laden. Klicksafe bietet zahlreiche Broschüren zu unterschiedlichen Themen an, darunter auch medienpädagogische Stundenentwürfe zum Thema Social Communities für Lehrer. (pro)