pro: Es gibt nichts, was man im Internet nicht tun kann: Partner finden, heiraten, seit neuestem sogar trauern. Warum verlagern sich private Angelegenheiten mehr und mehr in die öffentliche Welt des Internets?
Martin Kunz: Es ist oft praktischer. Nehmen wir das Beispiel der Partneranzeigen: Die Suchenden haben online eine bessere Trefferquote als mit Papieranzeigen. Sie erreichen online mehr Menschen. Stellen Sie sich vor, in zehn Jahren würde ein Online-Trauerprofil zum Angebot jedes Bestattungsunternehmers gehören. Der würde dann nicht nur Papieranzeigen für 50 Euro schalten, die nach einem Tag verschwunden sind, sondern so genannte Memorials anbieten, die online zu sehen sind, so lange der Kunde es wünscht. Meine Vorstellung ist es, dass das langfristig ein fester Bestandteil des Trauerns wird. Wir erleben eine neue Dimension des Umgangs mit Trauer. Unsere Kunden gehen teilweise mitten in der Nacht auf unsere Seite und schauen sich die Profile von Verstorbenen an, lesen Kommentare oder schreiben selbst etwas. Das scheint den Menschen gut zu tun.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Trauerportal zu eröffnen?
Das war eine Idee, die gemeinsam mit meinem guten Freund Anton Stuckenberger entstanden ist. Wir hatten uns vor fünf Jahren getroffen und darüber gesprochen, wie es ehemaligen Mitschülern geht. Dabei haben wir an eine Person gedacht, die mittlerweile verstorben ist und haben begonnen, Erinnerungen zusammenzutragen – auch weil wir andere Menschen über informieren wollten. Dabei haben wir gesehen, dass es im Internet kaum seriöse und schöne Portale für ein solches Anliegen gibt – wo man etwa ein Profil eines Verstorbenen erstellen kann. So entstand die Idee, ein Erinnerungsportal zu eröffnen. Die Geburt der Seite dauerte ein Jahr. Ein weiteres halbes Jahr später entschieden wir uns dazu, das ganze professionell aufzuziehen. Wir hatten das Gefühl, unsere Idee macht Sinn. Dennoch war das 2008 ein Wagnis – in den USA und Australien sind Trauerportale etwas Normales, aber wir hatten keine Ahnung, ob das auf dem deutschen Markt auch funktioniert. Wir wollen ab dem nächsten Jahr schwarze Zahlen schreiben.
Sie hatten das Gefühl, Ihre Idee macht Sinn?
Ja, wir haben sehr viele Menschen nach ihrer Meinung dazu gefragt. Ich selbst bin hauptberuflich Redakteur bei "Focus" und habe mit vielen Experten gesprochen und die Kollegen von "Focus-Online" befragt. Ich habe bemerkt, dass diejenigen, die sowieso schon internetaffin sind, ein Trauerportal ganz normal finden. Wenn die Oma stirbt, schaltet man eine Zeitungsanzeige und dazu eben ein Internetprofil. Die Älteren sind hingegen oft noch nicht so weit. Viele von ihnen finden es sogar despektierlich, wenn ein Foto der Verstorbenen im ganzen weltweiten Netz zu sehen ist. Deswegen waren wir von Anfang an skeptisch. Durch viele Befragungen haben wir aber gemerkt, dass die Reise in diese Richtung geht. Ausschlaggebend war der Blick in die Tageszeitungen. Auch viele klassische Rubriken der Zeitungen haben sich mittlerweile auf den Onlinemarkt verlagert – Partnervermittlungen, Autoanzeigen und so weiter. Ich denke, mit den Trauerportalen wird es sich verhalten, wie mit den Partnerbörsen. Vor zehn Jahren ist man noch erschrocken, wenn jemand zugegeben hat, seinen Partner im Internet gefunden zu haben. Mittlerweile ist das normal.
Geht beim Online-Trauern etwas verloren? Es ist doch ein Unterschied, ob ich im Internet mit drei Klicks kondoliere, oder auf den Friedhof gehe und dort in Stille der Person gedenke…
Ich denke, das ist etwas grundsätzlich anderes. Es ist eine neue Dimension des Trauerns. Manche finden es gut, andere sind irritiert – das Thema ist eben komplett neu. Kritik bekommen wir dennoch selten.
Hatten Sie vor der Eröffnung des Portals Sorge wegen des Datenschutzes ihrer Kunden?
Ja, wir haben Schlimmstes befürchtet. Man liest ja viel, auch über andere soziale Netzwerke und welcher Missbrauch da teilweise mit Daten betrieben wird. Bei uns ist das alles bisher gut gegangen. Letztendlich muss man sich aber bei uns auch einloggen, die Anzeigen kosten zum Teil Geld – da sind die Anreize für Menschen, die Unfug treiben wollen, gering.
Ihre Angebote sind zum Teil kostenpflichtig. Ist das ein Missbrauch der Trauer?
Das fragen Sie eine Zeitung doch auch nicht, die Geld für eine Kondolenzanzeige haben möchte. Oder einen Bestatter, der für seine Tätigkeit Geld verlangt. Derzeit investieren wir auch privat noch in die Seite. Wir haben 200.000 eingetragene Profile und haben an guten Tagen mehrere tausend Besucher. Die Zahlen steigen.
Es gibt verschiedene Trauerportale in Deutschland. Sind die anderen Konkurrenten?
Ich denke, wir kämpfen alle ums Überleben und versuchen, uns nicht als Konkurrenz zu verstehen. Wir müssen auch vorsichtig sein – Werbung zu schalten oder ähnliches wäre unter Umständen nicht pietätvoll. Der Besuch auf unserer Seite sollte letztendlich sein wie ein Friedhofsbesuch. Wir haben bewusst kitschige Elemente wie Engelchen vermieden und schalten keine Anzeigen. Die Menschen sollen sich die Seite ansehen, Biografien von historischen Personen und Prominenten lesen und sich an ihre Angehörigen erinnern.
Herr Kunz, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Anna Wirth.