Im neuen Medienzeitalter

Der iPad von Apple wird bejubelt, seit diesem Wochenende ist das Gerät in den USA erhältlich. Die Verkaufszahlen übertreffen selbst die Vorstellungen enthusiastischer Experten - einige sprechen von einer Revolution. Ein Gespräch mit dem Kommunikationsexperten Wolfgang Stock über die rasanten Entwicklungen in Medien, die Konsequenzen für unsere Gesellschaft - und die Kommunikation im 21. Jahrhundert.
Von PRO

Herr Professor Stock, jeder Verband, jede Organisation, jede Firma muss ihr Anliegen kommunizieren, in der Öffentlichkeit bekannt machen. Was bedeutet Kommunikation im 21. Jahrhundert?
Wolfgang Stock: Es gibt zwei Grundlagen erfolgreicher Kommunikation, die seit mindestens 2.000 Jahren unverändert gelten: Erstens muss ich wissen, was ich sagen will. Neudeutsch ausgedrückt: Was ist meine „message“? Warum gilt das seit 2.000 Jahren? Weil wir aus der Bibel wissen, dass Jesus und die Apostel eine ganz klare Botschaft hatten. Sie wussten genau, was sie sagen wollten, sie waren beseelt von einer Nachricht, die sie verkündet hatten. Und zweitens haben sie sich sehr genau überlegt: Wen will ich wie ansprechen? Also die Frage: Was bewegt meinen Gegenüber gerade? Wie kann ich ihn als meine Zielgruppe mit meiner Botschaft erreichen? In den Evangelien und der Apostelgeschichte wird darüber hinaus deutlich, dass Jesus und seine Jünger verschiedene Zielgruppen unterschiedlich angesprochen haben. Gleich geblieben ist auch wie damals der Zweck jeder Kommunikation: Ich will etwas erreichen, die Zielgruppe in Bewegung bringen. Sei es, Menschen dazu zu bringen, Stellung zu beziehen oder sich in den sozialen Medien zu engagieren oder zum Besuch eines Gottesdienstes zu animieren. Nur wenn ich die gewünschte Veränderung in der Zielgruppe erreiche, war meine Kommunikation erfolgreich!

Wie hat sich Kommunikation durch die Entwicklung der Medien in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Ganz neu in unserer Zeit sind die ungeahnten technischen Möglichkeiten, durch die jeder mit geringen finanziellen Mitteln schnelle Kommunikation ermöglichen kann – über das Internet. Konkreter: Es sind die „sozialen Medien“ im Internet, die heute die Kommunikation bestimmen. Plattformen wie „Facebook““, „Twitter“ oder „StudiVZ“ bieten die Möglichkeit, sich zu vernetzen und Freunde intensiver mit der eigenen Tätigkeit und Botschaft in Verbindung zu bringen und zu bleiben. Einerseits wird die Kommunikation über das Internet natürlich „entfernter“, weil wir nicht persönlich kommunizieren. Andererseits leben Freunde oder Familien heute aber nur noch selten „um die Ecke“, durch Arbeit und Studium halten wir uns in verschiedenen Teilen der Welt auf. „Soziale Netzwerke“ bieten die Möglichkeit, dennoch durch einfache Kommunikation zusammenzubleiben. Das sind tolle neue Chancen! Freilich gibt es auch Gefahren durch diese neue Art der Kommunikation. Sei es, dass das Internet süchtig machen kann, dass Menschen ihre eigenen Grenzen überschreiten und sich etwa finanziell ruinieren. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Chancen überwiegen, die sich uns gerade für die Kommunikation durch das Internet bieten.

Was beschleunigt diese Veränderungen?
Ich beobachte diese Entwicklung und allgemeine Medientrends seit vielen Jahren intensiv, erst als Journalist und jetzt als Hochschullehrer und Berater. Die grundlegendste Veränderung ist: der Trend geht weg vom gedruckten Papier. Das hat ganz simple, aber sehr mächtige Gründe: bei den Verlagen gehen die Einnahmen aus den Anzeigen dramatisch zurück. Und außerdem wachsen keine jungen Leser für Zeitungen nach. Die jungen Jahrgänge lesen einfach nicht mehr so wie ihre Großeltern! Das hat zu einer dramatischen Krise im Print-Journalismus geführt, die sich in den nächsten Monaten weiter verstärken wird. Im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre kann ich nur sagen: Ich hätte damals nicht erwartet, dass sich die Medienlandschaft so rasant verändert und entwickelt! Daher habe ich Hemmungen, eine Einschätzung über die Entwicklung der Medien auch nur in den kommenden zwölf Monaten zu geben. Denn ich bin überzeugt, dass sich die Entwicklungen noch schneller vollziehen, als wir uns das jetzt, im Jahr 2010, vorstellen können.

Welche Entwicklungen bahnen sich schon jetzt an?
Ganz eindeutig der Niedergang der gedruckten Tageszeitungen. Bald wird es keine gedruckten Qualitätszeitungen mehr geben – sie werden einfach nicht bezahlbar sein. Dafür haben wir dann faszinierende Technologien und viele bewegte Darstellungen. Es wird gleichzeitig neue Modelle geben, neue Produkte und Plattformen, über die wir Informationen schneller und mit der Qualität des Profijournalismus erhalten. Wir sollten nicht den Fehler machen zu trauern, ohne die neuen Chancen zu sehen. Ich bin vielmehr begeistert von dem, was sich gegenwärtig in den Medien tut – und glaube, dass die neuen Möglichkeiten der Informationsvermittlung große Verbesserungen bringen werden. Denn der Journalismus, den wir heute erleben, ist nur noch ein müder, schlechter Abklatsch dessen, was vor zehn Jahren üblich war – bezahlbar war, muss ich korrekterweise sagen.

Wir werden also demnächst keine Tageszeitungsleser mehr sehen?
Ja. An diesen Gedanken müssen wir uns gewöhnen! Denn der typische Leser von auf Papier gedruckten Tageszeitungen ist heute deutlich über 40 Jahre alt. Menschen zwischen 20 und 30 Jahren kaufen kaum noch Zeitungen und sie kommen auch nicht mehr auf den Gedanken, eine Tageszeitung zu abonnieren. Das bedeutet: Zeitungsverlagen fehlt der Nachwuchs. Viele Verlagshäuser haben das längst erkannt – niemand geht derzeit dieses Problem in Deutschland radikaler an als ausgerechnet die „Bild“-Zeitung, von der ich es am wenigsten erwartet hätte. Obwohl „Bild“ überwiegend Leser hat, die nicht so sehr in die Neuen Medien – also ins Internet – strömen, weil sie nicht alle ein internetfähiges Mobiltelefon oder den schnellsten Internetzugang haben, ist die „Bild“-Zeitung der Trendsetter auf dem Weg in die Neuen Medien. Kai Diekmann, Chefredakteur von „Bild“, hat schon vor anderthalb Jahren gesagt, er sei kein „Holzverkäufer“, womit er auf das Papier anspielte, auf dem Zeitungen nun einmal gedruckt werden. Er verkaufe vielmehr journalistische Inhalte, Nachrichten und Unterhaltung. „Bild.de“ ist heute die am häufigsten aufgerufene Seite im Internet. Einer der Gründe: Die Website bietet ihren Lesern die Möglichkeit, sich selbst zu beteiligen. Direkt von der Straße können Menschen der Redaktion ein Foto schicken, selbst gedrehte Videos, kurze Hinweise oder sogar Vorschläge für Schlagzeilen. Das ist „Web 2.0“! Das Konzept hinter dieser Form des Internets: Informationen werden schneller, besser und vor allem persönlicher.

Im Kern bedeutet das doch, dass die von einigen verächtlich genannten „Holzmedien“ grundsätzlich vor dem Aus stehen – weil die Wege der Nachricht ineffizient geworden sind.
Ja, es ist zu zeitaufwendig, zu teuer und auch unökologisch: Denken wir den Prozess doch einmal durch: Bäume werden gefällt, zu Papier verarbeitet, darauf werden Nachrichten und Kommentare gedruckt, die per Lastwagen und Flugzeug zu den Boten gebracht werden, die sie den Lesern zustellen. All das nur, damit Informationen – erst 12 Stunden nach dem Geschehen! – in unseren Briefkästen oder am Zeitungskiosk liegen. Die sogenannten „Holzmedien“ sind heute inaktuell und nicht mehr bezahlbar, da Druck und Vertrieb zu teuer sind. Nur wenn wir bereit wären, immer mehr für Zeitungen auszugeben, würde es auch weiterhin gedruckte Zeitungen geben – aber dazu sind immer weniger Konsumenten bereit. Bald wird es tolle, bezahlbare Geräte geben, auf denen wir die Inhalte der gleichen Zeitungen wesentlich bequemer lesen können. Diese Plattformen sind die Zukunft – und gleichzeitig die Rettung für die Verlagshäuser.

Umfragen scheinen jedoch zu belegen, dass sich gerade junge Menschen nur sehr wenig über das Internet informieren, sondern vielmehr unterhalten werden wollen und sich vernetzen.
Vielleicht informieren sich junge Leute heute weniger als wir Älteren – oder einfach nur anders. Tatsache ist aber, dass sich junge Menschen viel weniger für Printmedien interessieren. Das ist ein Trend, der sich nicht zuletzt durch die rasanten Entwicklungen im Internet beschleunigt hat. Ausnahmen sind vielleicht einige Bücher, aber die junge Generation liest grundsätzlich weniger. Was sie sucht, ist tatsächlich eine „unterhaltende Information“, wobei dieser Begriff zunächst einmal wertfrei zu verstehen ist. Eine Konsequenz aus diesem Trend ist etwa die Informationsvermittlung über Videos im Internet. Auch davor brauchen Christen überhaupt keine Angst zu haben – Geschichten erzählen können wir bestens.

Ist unsere Gesellschaft – und damit sind auch die Christen gemeint – auf diese Trends ausreichend vorbereitet?
Es geht nicht mehr nur um einen Trend, sondern eine radikale, grundsätzliche Herausforderung. Denn das Informations- und Nutzungsverhalten der jungen Generation hat sich angesichts der technischen Möglichkeiten grundlegend verändert. Wir kommen doch aus einer Kultur, die seit 550 Jahren das gedruckte Buch als eine Selbstverständlichkeit betrachtet. Von dieser Selbstverständlichkeit müssen wir uns verabschieden. Das zu erkennen, ist gerade auch für Christen wichtig, die in der Tradition des gedruckten Wortes seit Luther und Gutenberg leben. Heute müssen wir uns klar machen, dass Jesus und die Apostel Erzähler waren, die mit Hilfe von Beispielen und Geschichten ihre Botschaft kommuniziert haben. Wenn wir uns daran erinnern, wird es uns nicht schwer fallen, junge Menschen heute zu erreichen: durch Erzählungen in Form von bewegten Bildern. Wenn also Christen zurückdenken an ihre Ursprünge und diese mit den modernen Mitteln der Kommunikation verbinden, müssen sie zwar Abschied nehmen von gedrucktem Papier als Transportmittel, aber in Bezug auf die Informationsvermittlung eigentlich nicht viel Neues erfinden! Das heißt aber konkret, dass etwa der Gemeindebrief überwiegend nur noch die Generation ab 50 Jahren erreicht. Junge Menschen oder vielleicht auch deren Eltern werden sich dafür immer weniger interessieren! Sie wollen alle Informationen im und aus dem Internet – und natürlich auch ein Video vom Gottesdienst! Es gibt in Deutschland tatsächlich bereits Gemeinden, die ihren Gottesdienst im Internet live übertragen und damit 10.000 virtuelle Besucher erreichen, obwohl im Kirchengebäude „nur“ 1.000 Menschen sitzen! Das sind Chancen, die heute schon alle nutzen könnten!

Wird der Graben zwischen den Menschen, die Internet und Co. wie selbstverständlich nutzen und denen, die von den neuen Medien keine Ahnung haben, durch die Fortschritte in der Medienlandschaft unüberbrückbar?
Ich würde hier keinen Gegensatz aufbauen – sondern vielmehr von unterschiedlichen Zielgruppen sprechen und damit die Chancen sehen. Die Praxis sieht heute schon so aus, dass es weder für Verlage noch für Kirchen oder andere Organisationen noch möglich ist, nur ein Angebot – also Print oder Internet – zu machen. Genauso, wie wir unterschiedliche Automodelle benötigen, um den verschiedenen Bedürfnissen entgegenzukommen, brauchen wir auch unterschiedliche Angebote für Menschen, um sie mit einer Botschaft zu erreichen. Das Internetzeitalter wird geprägt sein durch eine enorme Auswahlmöglichkeit! Wer den Ansprüchen nicht entgegenkommt, wird nicht gewinnen können. Weil aber alles viel schneller geht und auch unübersichtlicher wird, wird es leider auch Verlierer geben. Ja, das macht mir durchaus Sorge.

Herr Professor Stock, vielen Dank für das Gespräch!

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