Haiti: Christliche Waisenhilfe oder gefühlloser Kindesraub?

Sie wollten aus christlicher Überzeugung heraus verwaisten Kindern helfen. Doch ihre Aktion brachte ihnen eine Festnahme ein. Von den zehn Baptisten aus dem US-Bundesstaat Idaho, die nach Haiti gereist waren, um Waisenkinder mitzunehmen, sind am Mittwoch acht wieder freigelassen worden. Von der Gratwanderung zwischen Waisen-Hilfe und Kindesraub.
Von PRO
Nach dem erschütternden Erdbeben in Haiti am 12. Januar berichteten die Medien wiederholt von den unzähligen Waisenkindern, die seitdem durch das Land irren. Haiti hat als ärmstes Land Amerikas auch eine der jüngsten Bevölkerungen der Welt – etwa 40 Prozent der Einwohner sind Statistiken zufolge jünger als 15 Jahre. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, geht nun von rund einer Million elternloser Kinder aus.

Das Hilfswerk warnte vor Kinderhändlern, die nun in dem krisengebeutelten Land aktiv würden. UNICEF-Vertreter Jean-Luc Legrand berichtete Ende Januar von fünfzehn Kindern, die aus Krankenhäusern verschwunden seien, "und zwar mit Menschen, die nicht zu ihrer Familie gehören". Die Täter stünden "mit dem internationalen Adoptionsmarkt in Verbindung". Die Sensibilität in dieser Sache ist derzeit also hoch, die haitianische Regierung hat alle Adoptionen gestoppt, die nicht schon vor dem Beben eingeleitet worden waren.

Ebenso wie UNICEF plädiert auch die "Kindernothilfe" in Duisburg laut einem Bericht der "Rheinischen Post" dafür, verwaiste haitianische Kinder in die Obhut von Verwandten zu geben und möglichst in ihrem Heimatland zu lassen. Andererseits sind zahlreiche Kinder, bei denen die Formalitäten schon vor dem Erdbeben weitgehend abgeschlossen waren, ins Ausland gebracht worden, unter anderem in die Niederlande, nach Frankreich sowie nach Deutschland. Das Schauspieler-Paar Angelina Jolie und Brad Pitt hat angeblich ebenfalls bereits in Erwägung gezogen, ein Kind aus Haiti zu adoptieren. Für die beiden, die bereits drei adoptierte und drei leibliche Kinder haben, wäre es das siebte Kind. Jolie reiste Anfang Februar nach Haiti, das Paar spendete eine Million Dollar für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen".

Berichte von Kinderhändlern, die in Haiti aufgegriffene Kinder für 100 Dollar verkauften, machten die Runde. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, habe ein Händler der britischen Zeitung "News of the World" ein derartiges Angebot gemacht.

"Gott will physische und seelische Heilung"


Anfang Februar machte eine christliche Gruppierung Schlagzeilen, weil sie 33 Kinder aus Haiti ins Ausland bringen wollte, um ihnen "ein neues Leben in Christus" zu ermöglichen. Etwa zehn Mitarbeiter der Organisation "New Life Children’s Refuge" aus Idaho, von denen die meisten einer baptistischen Gemeinde angehören, waren am 29. Januar an der Grenze zur Dominikanischen Republik festgenommen worden. In ihrem Bus saßen die Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und zwölf Jahren. Die fünf Frauen und fünf Männer konnten keine Dokumente vorweisen, die sie zur Obhutnahme der Kinder berechtigte.

Von "Kindesraub" war in den Schlagzeilen zu lesen. Die "Zeit" schrieb: "Möglicherweise hat auch der gute Glaube, im christlichen Sinne auf jeden Fall das Richtige zu tun, diese fehlende Sensibilität der Baptisten aus Idaho befördert." Der haitianische Sozial- und Arbeitsminister Yves Christallin wetterte: "Das ist Raub, nicht Adoption." US-Außenministerin Hillary Clinton sagte, ungeachtet ihrer Motivation habe die Gruppe "unglücklicherweise die Sache in die eigenen Hände genommen". Washington versuchte mit Port-au-Prince eine Lösung für den Fall zu finden.

Die Gruppierung erklärt in einem Memo auf ihrer Homepage ihre Mission so: "New Life Children’s Refuge ist dabei, in Magante an der Nordküste der Dominikanischen Republik ein Grundstück und ein Gebäude zu kaufen, wo ein Waisenhaus, eine Schule und ein Gottesdienstraum entstehen können. Bei den dringenden Bedürfnissen nach dem Erdbeben hat Gott uns aufs Herz gelegt, dass wir schon jetzt agieren und nicht länger warten sollten, bis die Einrichtungen fertiggestellt sind." Gott habe derzeit eine vorläufige Lösung geschenkt, ein Hotel in Cabarete mit 45 Zimmern. Die Organisatoren beteten nach eigener Aussage dafür, dass sich Menschen finden, "die ein Herz für Gott und den Wunsch haben, Gottes Liebe unter diesen wertgeschätzten Kindern zu verbreiten und ihnen zu helfen, ein neues Leben in Christus zu finden". Gottes Absicht sei es, physisch, emotional und spirituell zu heilen.

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, die Medien hätten sogleich Negatives über die Leiterin von "New Life Children’s Refuge" zutage gefördert. Laura Silsby ist die Gründerin einer Internetfirma, einer populären Shopping-Website. 2006 ernannte die Handelsvereinigung eWomenNetwork die 40-Jährige zur "Geschäftsfrau des Jahres". Vor einem Jahr gründete sie die Hilfsorganisation. Ihr Heimatblatt "Idaho Statesman" habe nun nicht bezahlte Schulden, missachtete Gesetz und Anzeigen gegen sie aufgedeckt, so der "Spiegel". Inzwischen hätten die Mitarbeiter der amerikanischen Gruppe eingesehen, dass sie einen Fehler begangen haben. "Wir hatten keine Absicht, gegen das Gesetz zu verstoßen, aber wir verstehen nun, dass es eine Straftat ist", sagte Pastor Paul Robert Thompson, ein Mitglied der Gruppe. Silsby sagte: "Wir wollen den Kindern einfach nur helfen."

Keine kriminelle Absicht nachweisbar: Freilassung

Am Mittwoch ordnete ein Richter in Port-au-Prince die Freilassung von acht der zehn festgenommenen Amerikaner an. Das Gericht habe keine Beweise gefunden, die eine kriminelle Absicht der Freigelassenen belegten. Die drei Frauen und fünf Männer befänden sich bereits auf dem Weg zurück in die Vereinigten Staaten, teilte das US-Außenministerium mit. In Haft blieben allerdings die Leiterin, Laura Silsby, sowie eine weitere Mitarbeiterin von "New Life Children’s Refuge". Nach Angaben ihres Anwalts will der Richter herausfinden, warum die beiden bereits vor dem Erdbeben vom 12. Januar nach Haiti gereist waren.

Wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtet, entlasteten einige der vermeintlich toten Eltern nun die Beschuldigten. Sie gaben vor Gericht an, ihre Kinder den Amerikanern freiwillig übergeben zu haben, weil sie hofften, ihrem Nachwuchs so eine bessere Zukunft ermöglichen zu können. (pro)
http://www.esbctwinfalls.com/clientimages/24453/pdffiles/haiti/nlcrhaitianorphanrescuemission.pdf
http://www.ksta.de/html/artikel/1265965867183.shtml
http://www.europolitan.de/Panorama/Showbiz/Angelina-und-Brad-Pitt-wollten-eine-Haiti-Waise-adoptieren/278,17325,0,0.html
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,676073,00.html
http://nachrichten.rp-online.de/article/politik/Lasst-die-Kinder-in-Haiti/66835
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