Roland Werner im Interview: „Die Zeit zum Sprechen bringen“

Eine leicht verständliche Lesebibel mit "Überraschungseffekt" – das hatte der Theologe Roland Werner im Sinn, als er 2008 begann, das Neue Testament zu übersetzen. Vor wenigen Wochen ist "Das Buch" erschienen. Mit den pro-Autoren Anna Wirth und Moritz Breckner sprach der Christival-Vorsitzende über seine Motivation, sein Zeitmanagement und den Umgang mit Kritikern.
Von PRO

pro: "Das Buch" soll Menschen bewegen, die keinen Bezug zur Kirche haben. Deshalb haben Sie versucht, keine bibeltypischen Worte zu verwenden. Haben Sie eine "Volxbibel light" geschrieben?

Roland Werner: Worte wie Sünde und Gnade kommen tatsächlich nur selten vor. Ich weiß nicht genau, wie mein Freund Martin Dreyer im Einzelnen vorgegangen ist, aber ich habe direkt aus dem Griechischen übersetzt und so gut wie keine andere Bibel zur Hand genommen. Ich wollte, dass das, was damals gehört und verstanden wurde, auch heute gehört und verstanden wird. Viele Leute denken, Übersetzungen sind dann korrekt, wenn die Worte identisch sind. Aber das ist nicht unbedingt der Fall, sondern der Sinn muss identisch sein. Die "Volxbibel" ist ja einen völlig anderen Weg gegangen. Sie versucht, die Bibel in unsere Zeit zu setzen. Ich versuche, die Zeit von damals zum Sprechen zu bringen.

Was hat Sie inspiriert?

"Das Buch" hat mehrere Wurzeln. Zum einen fragte mich ein Freund aus Australien, ob es so etwas wie "The Message" auch auf deutsch gibt. Das ist eine sehr bekannte englische Bibelübersetzung von Eugene Peterson. Ich verneinte, und er schlug mir vor, so etwas zu machen. Ich habe am selben Tag noch angefangen, zu übersetzen. Zum anderen habe ich schon als junger Mensch immer gesagt: Wenn ich einmal Rentner bin und nichts zu tun habe, will ich eine Bibel übersetzen. Zudem arbeite ich schon lange in Afrika an einem Bibelübersetzungsprojekt und bin so mit dem ganzen Thema schon vertraut.

Warum braucht die Welt noch eine Bibelübersetzung?

"Das Buch" hat zwei Zielgruppen: Menschen, die noch keinen Zugang zur Bibel haben, und auf der anderen Seite "bibelmüde" Christen. In dieser Übersetzung bemühe ich mich um eine sehr lebendige, schön und klare Sprache. Unklarheiten sollen beseitigt werden. Ein Beispiel ist die Neufassung christlicher Kernbegriffe. Außerdem entscheide ich mich ganz oft, das Wort "Brüder" als "Mitchristen" oder Brüder und Schwes-tern zu übersetzen. Wenn Paulus die Brüder etwa in einem Brief der Bibel anspricht, meint er damit auch die Frauen, alles andere ist nicht denkbar.  Sie müssen dann aber auch mitgenannt werden, sonst sieht es im Deutschen aus, als wären sie nicht dabei. Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere an solchen Stellen zusammenzuckt, aber Jesus hat die Frauen immerhin auch zu den ersten Botschafterinnen seiner Auferstehung gemacht. Ich glaube, das muss in der heutigen Zeit auch in einer Bibel Ausdruck finden.

"The Message" ist in den USA stark kritisiert worden. Manche Christen sind der Meinung, durch die sprachliche Neufassung sei das "Wort verbogen worden". Ist Ihnen Ähnliches auch schon vorgeworfen worden?

Bislang habe ich das Gegenteil erfahren. Die wenigen Reaktionen, die ich bisher bekommen habe, sagen, ich sei sehr Sinn-treu und nahe am Grundtext. Die Leute finden den Text überraschend neu und genau. Das ist genau das, was ich wollte: einen Überraschungseffekt, auch für Christen. Ziel meiner Übersetzung ist, dass der Sinn sofort verständlich wird. Ein Beispiel: Im Matthäus-Evangelium, bei dem ich noch am weitesten vom Urtext weg bin, sagt Jesus in der Bergpredigt: "Wenn dich einer zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm." Kein Mensch weiß heute, was das bedeutet. Wieso zwingt irgendjemand einen anderen, zwei Meilen zu gehen? Ich habe übersetzt: "Und wenn ein römischer Besatzungssoldat dich dazu zwingt, etwas für eine Meile weit zu tragen, dann geh zwei mit ihm." So wird der Sinn verständlich, auch wenn in der Übersetzung Worte auftauchen, die nicht im Urtext stehen.

Wie weit darf eine Bibelübersetzung gehen?

Die Frage ist: Was ist das Ziel? Wenn der Leser verstehen soll, was gemeint ist, dann muss ich so weit gehen, wie es notwendig ist. Was habe ich davon, wenn ich rein formal die Worte übersetze, aber der Sinn nicht mehr da ist? Die Grenze bei einer Übersetzung ist da, wo das, was sich als eine Übersetzung ausgibt, nicht mehr den Inhalt des Urdokuments transportiert. Auch die äußere Form – ob das auf Leder, digital oder auf Papier geschrieben ist, ob es bunt ist oder schwarz oder eintönig –  ist, glaube ich, erst einmal völlig egal.

Wie haben Sie gearbeitet? Wie Martin Luther im stillen Kämmerlein oder im Team?

Ich hatte ein kleines Team. Den griechischen Text habe ich in einzelne Verse unterteilen lassen und zu jedem Satz eine deutsche Übersetzung geschrieben. Oft in zwei oder drei Versionen, oder auch mit Fragen versehen. Das alles ging dann an ein Komitee aus drei, später vier Personen, die mir mit Stil und Sprache geholfen haben. Aus dem Produkt habe ich eine vorläufige Endversion gemacht. Die ging an den Lektor, der wiederum kritische Anfragen an mich gerichtet hat. Ich hatte aber immer die letzte Autorität über den Text und habe seine Vorschläge dann bearbeitet. Diese Finalversion bekam der Verlag, der wiederum Verbesserungsvorschläge gemacht hat, was Stil und Sprache anging. Über die endgültige Version ging dann noch einmal der Verlagsleiter und machte mir Vorschläge für die endgültige Form des Textes.

Was haben Sie selbst noch durch die Arbeit gelernt?

Mir ist neu aufgefallen, wie frisch die Texte im Neuen Testament sind, wie ursprünglich und wie selbstverständlich. Da gibt es keinen krampfhaften Versuch, etwas zu beweisen. Ganz oft versuchen wir Christen ja, uns gut darzustellen und irgendetwas zu beweisen. Die neutestamentlichen Autoren beschreiben etwas, was sie wirklich erfahren haben und wovon sie überzeugt sind. Diese Frische und Selbstverständlichkeit hat mich neu begeistert.

Warum gibt es keine Erklärungen oder Kommentare am Rand des Textes?

Es soll eine Lesebibel sein. Es gibt klassische Stellen, wo so eine Erklärung nicht schlecht gewesen wäre. Es geht mir aber darum, eine leicht lesbare Bibel zu haben, die die Leute in die Hand nehmen können, die sie unmittelbar verstehen und die sie bewegt. Wenn sie dann weiter einsteigen wollen, gibt es viele andere Bibeln, in die sie schauen können. Ich schließe aber nicht aus, dass wir vielleicht mal eine Version machen, in der es kleine Erklärungen gibt.

Sie leiten den "Christus-Treff", sind häufig im Ausland, Referent und Beiratsmitglied der "Offensive junger Christen", schreiben Bücher und sind zudem Vorsitzender des "Christival". Wann hatten Sie Zeit, eine Bibel zu übersetzen?

Den Computer hat man ja heutzutage Gott sei Dank immer dabei. Und ob ich jetzt beruflich in Amerika, oder im Urlaub woanders bin: An der Übersetzung kann ich immer arbeiten. Das "Christival" ist vorbei, und der "Christus-Treff" ist so organisiert, dass viele Leute sich engagieren und Verantwortung übernehmen. Geplant ist auch, das Alte Testament herauszubringen, vielleicht bis zur Buchmesse 2012 oder 2013. Wie ich das also schaffe? Ich mach es einfach dann, wenn ich Zeit habe.

"Es geht nicht darum, gegen Andere zu sein"

Wegen des "Christival" gab es deutschlandweit Proteste. Auch gegen einen Seelsorgekongress in Marburg wurde kürzlich demonstriert. Der Vorwurf war: Christen sind homophob. Sie haben sich in der links-politischen "Tageszeitung" (taz) dazu geäußert und das Thema aus christlicher Sicht trotz provokanter Fragen gut dargestellt. Vielen Christen gelingt es aber nicht, ihr Anliegen öffentlichkeitswirksam zu erklären. Warum?

Wichtig ist: Der Andere ist nicht mein Feind. Bei diesem Interview haben wir uns hingesetzt und uns ganz nett in einem Bremer Café unterhalten. Man merkt dem Interview auch an, dass alle Klischees, die der "taz"-Reporter hatte, ihm offensichtlich weggeschmolzen sind in der Begegnung mit mir. Ich glaube, wir sind oft viel zu verbissen und sehen den anderen vielleicht wirklich auch als Gegner. Menschen sind für mich aber nie Gegner. Ich muss Gott nicht verteidigen. Gott verteidigt sich, wenn überhaupt, selbst und mich dabei noch mit.

Haben Sie einen Tipp für Christen im Umgang mit Medien?

Selbstkritik, Nächstenliebe und Respekt. Ich glaube, Menschen wollen Respekt. Und manche denken, dass wir ihnen als Christen etwas wegnehmen wollen – von ihrem Lebensrecht oder ihrer Selbstbestimmung. Das kann gar nicht unsere Botschaft sein. Wir können sagen: Hey, wir haben einen Weg gefunden, von dem wir überzeugt sind und den bieten wir dir an. Es geht nicht darum, gegen Andere zu sein. Wir sind immer für Menschen, weil Gott für uns Menschen ist.

Herr Werner, vielen Dank für das Gespräch.

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