Kinder raus in den Wald!

Kinder spielen kaum noch in der Natur, fühlen sich häufig sogar fremd zwischen Bäumen und Gräsern. Nicht allein die Medien oder die verplante Freizeit der Kinder sind der Grund dafür, sondern vor allem die Ängste der Eltern. In den USA formierte sich daher die Initiative "No Child left Inside" zu Deutsch: kein Kind bleibt drinnen.
Von PRO

Der amerikanische Journalist Nicholas Kristof provozierte seine Leser kürzlich, als er in seiner Kolumne in der "New York Times" beschrieb, wie es sich anfühlt, wenn man eine Schnecke ableckt. Damit wollte der zweifache Pulitzerpreisträger auf eine Beobachtung hinweisen, die die "Süddeutsche Zeitung" in dem Artikel "Der Verust der Freiheit" als "neues Wohlstandselend" bezeichnet: Den Verlust der Naturerlebnisse bei Kindern. Immer weniger Kinder wissen heute, wie sich eine Schnecke, ein Regenwurm oder auch nasses Gras anfühlen. Sie können die Vogelarten nicht auseinander halten und malen alle Enten gelb.

In seinem Buch: "Last Child in the Woods" (Das letzte Kind in den Wäldern) weist der amerikanische Autor Richard Louv bereits 2005 darauf hin, dass Kinder immer weniger Kontakt mit der Natur haben und weniger sinnliche Erfahrungen machen. Louv führt das darauf zurück, dass die  Freizeit der heutigen Kinder von den Eltern beaufsichtigt und durchgeplant werde. Ein Hauptargument gegen das unbeaufsichtigte Spielen draußen sieht Louv in der "Kultur der Angst". Diese führt dazu, dass Eltern ihre Kinder ständig überwachen wollen. Die Angst vor Kindesentführung oder Missbrauch werde durch die immer neuen Nachrichten über verschwundene und misshandelte Kinder in den Medien geschürt.

Auch viele Behörden, die Kindern das Spielen in öffentlichen Anlagen verbieten, weil sie hohe Schadenersatzforderungen bei eventuellen Unfällen befürchten, tragen nach Louvs Ansicht dazu bei, dass Kinder eher drinnen spielen müssen.

Aktiv gegen die "Naturmangelstörung"

"Das Ergebnis ist das Aussterben der Erfahrungen – immer mehr Kinder erfahren die Dinge nicht mehr mit den eigenen Sinnen, sie lesen oder hören nur noch davon", fasste es das amerikanische Magazin "The Christian Science Monitor" zusammen. Die Amerikaner haben auch einen Namen für den Mangel an Naturerlebnissen gefunden: "Nature Deficit Disorder" (Naturmangelstörung).

Zahlen aus Großbritannien scheinen den amerikanischen Trend zu bestätigen: Im Schuljahr 2006/2007 benötigten 1.067 Kinder unter 15 Jahren medizinische Hilfe, weil sie von einem Baum gefallen waren. Laut Statistik der Notfallmedizin verletzten sich im gleichen Zeitraum 2.531 Kinder bei einem Sturz aus dem Bett so stark, dass sie einen Arzt aufsuchen mussten. Es geht bei diesen Zahlen natürlich nicht darum, dass Kinder die Erfahrung brauchen, vom Baum zu stürzen. Die Zahlen deuten aber daraufhin hin, dass Kinder immer weniger draußen spielen und sie sich auch immer weniger bewegen. Auch die Anziehungskraft von Computer, Spielkonsole und Fernsehprogrammen tragen dazu bei.

73 Prozent der deutschen Kinder gaben bei der Befragung für die Kim-Studie 2008 (Kinder-Information-Medien) an, dass sie jeden Tag fernsehen. Dagegen spielen 59 Prozent der Kinder jeden Tag draußen. Laut der Studie haben Hausaufgaben, Fernsehen und Treffen mit Freunden das Spiel im Freien auf Platz vier der "liebsten Freizeitbeschäftigungen" verdrängt.

Natur entdecken statt Freizeitstress

In den USA stieß das Buch von Richard Louv eine Diskussion unter Eltern und Pädagogen an und führte zu der Gründung der Initiative "No Child left Inside". Die Bewegung versteht sich als Alternative zu dem Trend der "Superförderungs-Erziehung". Statt nachmittags die Kinder von einem Kurs zum nächsten zu kutschieren, sollen Kinder Zeit und Freiheit bekommen, die umgebende Welt zu entdecken.

"Es ist die wilde, unkontrollierte Natur, die sich am besten dazu eignet, Grenzen zu testen, Privaträume zu entdecken und das eigene Potential kennenzulernen", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" den Hamburger Erziehungswissenschaftler Ulrich Gebhard. Eltern wissen dies spätestens dann, wenn sie sich an die eigene Kindheit zurück erinnern. Denn diese Generation hat noch die Abenteuer erlebt, die sie den Kindern heute verbietet. (PRO)

Das Buch "Last Child in the Woods" ist bisher nur in englischer Sprache erhältlich. Mehr Informationen unter: http://richardlouv.com/ .

 

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