Diese rein auf negative Ereignisse ausgerichteten Nachrichten führten bei Menschen zu einem hektischen Leben. „Weil wir meinen, es gebe beinahe ausschließlich bedrohliche Ereignisse, wollen wir so viel wie möglich in einen Tag packen“, sagte Winterhoff. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, würden Menschen von ihrer Angst zu immer mehr Aktionismus getrieben. Ruhephasen und das Abschalten würden von immer weniger Menschen überhaupt noch praktiziert, so Winterhoff auf einer Veranstaltung der Alpha Buchhandlung und des Christlichen Medienmagazins pro in der Aula der Universität in Gießen.
„Großes Bedürfnis nach Orientierung“
Winterhoff ist Mediziner und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychatrie mit eigener Praxis in Bonn. Mit seinem im Februar 2008 erschienenen Buch „Warum unsere Kinder Tyrannen werden – Oder: Die Abschaffung der Kindheit“ hat er einen Bestseller geschrieben. Das Buch steht seit aktuell 62. Wochen in der vom Branchendienst „Buchreport“ ermittelten Bestsellerliste.
Im Januar dieses Jahres legte Michael Winterhoff den Nachfolgeband „Tyrannen müssen nicht sein – Warum Erziehung allein nicht reicht“ vor, der ebenfalls im Gütersloher Verlagshaus erschienen ist. Darin zeigt er Auswege auf, wie Kindern wieder ihre Kindheit zurückgegeben und ihnen so eine Zukunft ermöglicht werden kann.
Die medial verursachte Ruhelosigkeit unter Erwachsenen führe zudem zu einem immer größer werdenden Bedürfnis nach Werten und Orientierung. Global gesehen gebe es viele angstmachende Prozesse. Auch die rasante Verbreitung des Computers habe für eklatante Veränderungen gesorgt. Viele Menschen nutzten ihre Kinder in der multimedialen Gesellschaft als Fixpunkt und versuchten, Kindern alles recht zu machen und sie als Partner zu sehen, die wiederum Halt geben. Dies jedoch schade den Kindern in ihrer Entwicklung, da Kinder selbst die Erwachsenen als Vorbilder benötigten, so Winterhoff.
„Keine Chance, sich kindgerecht zu entwickeln“
„Kinder haben im heutigen Gesellschaftssystem keine Chance, sich kindgerecht und damit altersentsprechend zu entwickeln“, so der Autor. Schuld daran sind seiner Ansicht nach die Erwachsenen selbst. „Diese begegnen Kindern als Partner, beziehen sie in Themen ein, für die sie zu jung sind und akzeptieren, dass das Kind die Führung übernimmt. Erwachsene stellen die Bedürfnisse der Kinder dauerhaft über ihre eigenen. Dadurch lernen Kinder, dass ihre Bedürfnisse wichtiger sind als die der Eltern.“
Kinder lernen laut Winterhoff die notwendigen Verhaltensweisen wie Zuhören, Aufpassen und Mitarbeiten nur dann, wenn es Regeln gibt, die das Erlernen ermöglichen. Wichtige Lernschritte wie Warten, auf die Gruppe Rücksicht Nehmen oder Dinge Erledigen, auch wenn man dazu keine Lust habe, kämen so vielfach zu kurz.
Für den Autor ist die Entwicklung von Kindern hin zu „Tyrannen“ daher die Folge einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. „Kinder haben im heutigen Gesellschaftssystem keine Chance, sich kindgerecht und damit altersentsprechend zu entwickeln.“ Nur wenn Erwachsene Kinder wieder wie Kinder behandelten, könne ein gesundes Heranwachsen gelingen.