100 Tage Obama – Der Präsident mit Lotus-Effekt

Am Mittwoch ist der amerikanische Präsident Barack Obama 100 Tage im Amt. Traditionell ist dies die Marke, bei der sich der wichtigste Politiker der Welt einer ersten Beurteilung in den Medien stellen muss. Wie gut macht er sich? Welche Versprechen hielt er bislang, und welche nicht? Enttäuscht er seine Wähler?
Von PRO

Der 20. Januar 2009 war der Höhepunkt eines Fiebers, das die ganze Welt erfasst zu haben schien. Die „Obamania“ hat sich längst gelegt, die Begeisterung über den ersten (halb-) schwarzen Präsidenten ist nüchterner Politik gewichen. Obama hatte es von Anfang an nicht leicht. Nicht nur die Finanzkrise, an der er ebenso wenig schuld ist wie am Irak-Krieg, hängt bleischwer an dem 47-Jährigen. Vor allem liegt die Hoffnung vieler Millionen Menschen auf ihm. „Es ist vollbracht“, ganze vier deutsche Tageszeitungen und ein Fernsehsender griffen nicht zufällig zu diesem messianischen Ausspruch, um den Amtsantritt Obamas der Welt mitzuteilen und gleichzeitig die Liga klarzustellen, in der der neue US-Präsident spielt. Vollbracht war indes noch nicht viel. Die amerikanischen Börsen freuten sich nicht besonders: Kurz nach der Amtseinführung sackte die amerikanische Börse ein. Die Antrittsrede erschien den Börsianern zu lasch, der Dow-Jones-Index schrumpfte um vier Prozent.

„Yes, but does he can?“

An der großen Last auf seinen Schultern ist Obama selbst nicht ganz unschuldig. Einen radikalen Wechsel, eine bessere Welt versprach er. Die Mannschaft, die der Neue präsentierte, überraschte dann jedoch vor allem durch Gewöhnlichkeit. Verteidigungsminister wurde Robert Gates, eingesetzt bereits von Vorgänger George W. Bush. Ausgerechnet Gates war für die Truppenaufstockung im Irak verantwortlich. Hillary Clinton wurde Außenministerin, die kaum als Leuchtfeuer der Liberalen gilt und damals den Irakkrieg befürwortete. Dann schlug Obama den republikanischen Senator Judd Gregg als Handelsminister vor, der zog sein Amt jedoch wieder zurück. Auch der neue Verkehrsminister Ray LaHood ist Republikaner. „In der Summe klingt das weniger nach Wende als nach ‚Weiter so'“, fand der Berliner „Tagesspiegel“. Der von Obama zunächst designierte Gesundheitsminister Tom Daschle musste wieder abtreten, nachdem man „Fehler bei der Steuererklärung“ gefunden hatte. Der „Fehler“ bestand darin, dass er Steuerschulden in Höhe von 120.000 Dollar angehäuft hatte. Pannen passieren eben.

„Wir sind die Hoffnung für die Zukunft“, rief Obama den Menschen noch im Wahlkampf zu. Er wolle „die Nation heilen“, die „Welt reparieren“ und „unsere Zeiten erneuern, dass sie sich von jeder anderen Zeit unterscheidet. Yes, we can! Yes, we can! Yes, we can!“ Ein Rundumerneuerer der Welt muss sich also nicht wundern, wenn ihn die Augen besonders hoffnungsvoll ansehen. Bei seiner Rede nach der Nominierung der Demokraten stellte er seine Agenda auf: Die Kranken in Amerika sollen versorgt werden, die Arbeitslosigkeit verschwinden, der Anstieg der Ozeane sich verlangsamen, die Erde gesund und der Irak-Krieg beendet werden.

Nichts Neues aus Guantánamo

Ein erstes Angriffsziel sollte das von so vielen Bush-Gegnern verhasste Gefangenenlager von Guantánamo sein, in dem mutmaßliche Mitglieder der Taliban und der Al-Qaida einsitzen. Große Sympathie erntete Obama, als er viele Methoden Bushs im Kampf gegen den Terror für rechtswidrig erklärte, das Gefangenenlager eine Schande nannte und ankündigte, es noch in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit zu schließen. Bis heute ist dies nicht passiert. Bettina Röhl von der „Welt“ wundert sich in ihrem Blog: „Entweder es liegen Menschenrechtsverletzungen vor, dann sind die nicht eine einzige Stunde zu dulden, oder es liegen keine Menschenrechtsverletzungen vor.“ Obama gab eine Überprüfung des Umgangs mit Gefangenen in Guantánamo und Afghanistan in Auftrag. Das Ergebnis: dort werden die Standards der Genfer Menschenrechtskonvention eingehalten. Zu Bush-Zeiten war von Isolationshaft die Rede, der Obama-Bericht spricht nun von „Gefangenen in Zellen mit Einzelbelegung“. Genau wie Bush vertritt nun die Obama-Regierung vor Gericht den Standpunkt: da sich das Gefängnis außerhalb der USA befinde, könnten Insassen nicht vor US-Gerichten gegen ihre Inhaftierung klagen. Der Anwalt der Bürgerrechtsorganisationen „American Civil Liberties Union“ fühlt sich vom „Change“-Propheten Obama im Regen stehen gelassen: „Die übernehmen die Bush-Politik, Gefängnisse außerhalb des Rechtssystems zu schaffen.“ Die „Neue Zürcher Zeitung“ sprach von einem „Etikettenschwindel“ Obamas.

In Afghanistan sterben mittlerweile pro Monat mehr westliche Soldaten als im Irak. Obama stockte die Zahl der amerikanischen Soldaten daher sofort nach Amtsantritt von bislang 30.000 um 17.000 auf. Und Mitte März hieß es sogar, Obama plädiere dafür, die Menge an Sicherheitskräften in Afghanistan auf 400.000 zu verdoppeln. Findet Obama, der Friedensbringer, Gefallen am Militär?

Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, als Präsident binnen 16 Monaten alle US-Kampftruppen aus dem Irak abzuziehen. Der Vorwahlkampf war gerade beendet, da änderte Barack Obama seine Richtung: Er sprach nur noch von einem „verantwortungsvollen Rückzug“ in einer unbestimmten Zeitspanne. Das erste offizielle Interview, das Präsident Obama einem Medium gab, war der arabische Sender „Al-Arabyia“. Darin kündigte er direkte Gespräche mit dem Iran-Regime an. Sein Amtsvorgänger Bush hatte dies stets abgelehnt. UN-Botschafterin Susan Rice spricht von einer „lebhaften Diplomatie“ – auch mit einer Regierung, die sich die Vernichtung Israels wünscht, sowie mit den Taliban und anderen islamischen Fundamentalisten.

Obamas nicht-mehr-christliche Nation

Obamas Einstellung zu Religion ist bekannt. „Ich bin immer Christ gewesen, ich war nie Muslim.“ Doch vielleicht, weil er als Kind vier Jahre in einem muslimischen Land (Indonesien) lebte, vielleicht, weil er vom ersten bis zum dritten Schuljahr in einer katholischen Schule als Muslim eingetragen war, vielleicht, weil sein Vater Moslem war: rund zehn Prozent der Amerikaner glauben dennoch, Obama sei Moslem. Beim Amtseid nannte Obama seinen zweiten Vornamen, „Hussein“. Er war der erste amerikanische Präsident, der in seiner Antrittsrede explizit auch Menschen ohne Religionszugehörigkeit ansprach. „Wir sind eine Nation von Christen und Moslems, Juden und Hindus – und Nichtgläubigen“, sagte er, und löste damit erneut Spekulationen aus. Denn die übliche Reihenfolge geht eigentlich anders, vor allem fasst man stets „Christen und Juden“ zusammen. Dabei kann das nicht in der Bevölkerungszahl begründet sein, denn es gibt in den Vereinigten Staaten doppelt so viele Juden wie Moslems. Für Irritationen sorgte der Präsident auch Mitte April beim G20-Treffen in London, als er sich vor dem saudischen König Abdullah so tief verbeugte wie wohl kein anderer amerikanischer Präsident zuvor. Vor der britischen Königin hatte sich Obama beim Besuch im Buckingham Palace kurz zuvor indes nicht verbeugt.

Bei seinem Besuch in der Türkei Anfang April, wo er erneut die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union forderte, stellte Obama klar: „Auch wenn wir eine große christliche Bevölkerung haben, sehen wir uns nicht als christliche Nation, oder als jüdische oder muslimische. Wir sehen uns als Nation von Bürgern, die an ihren Idealen und Werten festhalten.“ Doch immerhin gehören 78 Prozent der Amerikaner einer der christlichen Denominationen an. Umfragen ergaben, dass 62 Prozent ihr Land sehr wohl als christlich verstehen.

Der Pastor der Saddleback-Gemeinde im kalifornischen Lake Forest, der das Gebet bei der Vereidigung sprach, der Bestseller-Autor Rick Warren, sagte gegenüber CNN, es sei für Obama elementar wichtig, eine neue Gemeinde in Washington zu finden. Er sei auch gerne bereit, ihm bei der Suche zu helfen. Obama hatte sich im Wahlkampf nach 20 Jahren Gemeindemitgliedschaft von Pastor Jeremiah Wright distanziert, nachdem öffentlich wurde, dass dieser wenig patriotisch über Amerika lästerte. Gegen Warrens Gebet gab es großen Protest von Homosexuellen-Verbänden, weil er sich zuvor öffentlich gegen eine gesetzlich erlaubte Homo-Ehe im Staat Kalifornien ausgesprochen hatte. Als Gegengewicht zu Warren ernannte Obama kurzerhand den schwulen Bischof Vicky Gene Robinson als Redner für die Feier am Lincoln Memorial zwei Tage vor der eigentlichen Vereidigung. Robinson ist der erste Bischof der Episkopalkirche, der offen seine Homosexualität lebt.

Abtreibung, Stammzellenforschung, Homo-Ehe

Ex-Präsident George W. Bush hatte sich noch für ein Verbot von Spätabtreibungen ausgesprochen und strebte an, das seit 36 Jahren bestehende Grundsatzurteil des Obersten Gerichts rückgängig zu machen, das die Abtreibung erlaubt. Als eine seiner letzten Handlungen erklärte Bush den 18. Januar zum Nationaltag für die Heiligkeit des menschlichen Lebens. Eine der ersten Amtshandlungen Obamas indes war es, die Verordnung aufzuheben, die Finanzhilfen für internationale Organisationen untersagte, die Schwangerschaftsabbrüche unterstützen. Den Stopp der staatlichen Gelder hatte der republikanische Präsident Ronald Reagan 1984 verfügt. Zwar schaffte sein demokratischer Nachfolger Bill Clinton die Verordnung später ab, doch Bush setzte sie nach seinem Amtsantritt 2001 wieder in Kraft.

Unter der Überschrift „Unterstützung für die Gemeinschaft der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen“ kündigte das Weiße Haus zudem Maßnahmen zur Gleichberechtigung dieser Personen an. Obama will das Gesetz zur Verteidigung der Ehe rückgängig machen, das 1996 von Clinton in Kraft gesetzt wurde und einzelnen Bundesstaaten die Möglichkeit gibt, Homo-Ehen nicht anzuerkennen. Bush hatte zu Beginn seiner Amtszeit vor acht Jahren strikte Auflagen für die Forschung mit embryonalen Stammzellen erlassen. Nur drei Tage nach Obamas Amtsantritt gab die Gesundheitsbehörde FDA die Zusage für eine Stammzellentherapie an Querschnittsgelähmten. Anfang März unterzeichnete Obama ein Gesetz und hob damit die Verfügung seines Vorgängers George W. Bush auf. Obama macht Fehler wie jeder andere Politiker auch. Nur: bei Obama hielt man bissige Kommentare bisher sehr wohlwollend zurück.

Als Obama im Juli 2008 in Jerusalem die Klagemauer besuchte, steckte er einen Zettel hinein. Ein jüdischer Talmudschüler zog den Zettel später hinaus und machte somit bekannt, wie Obamas Gebet lautete. „Vergib mir meine Sünden und hilf mir, gegen Stolz und Verzagen anzugehen. Gib mir die Weisheit tu tun, was richtig und gerecht ist. Und mach mich zu einem Instrument Deines Willens.“ Amen.

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