Sollte die geplante Schulreform in England durchgesetzt werden, hören britische Grundschulkinder in Zukunft nicht mehr zwingend etwas von der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dafür gehört zu ihrem Pflichtplan demnächst der Umgang mit Internetdiensten wie dem Online-Lexikon Wikipedia oder den Kurznachrichten von „Twitter.com“.
Wie die britische Tageszeitung „Guardian“ berichtet, erhielten ihre Reporter Einblick in den Reformplan für die britischen „Primary Schools“ (Grundschulen), der erst im kommenden Monat vollständig der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Die Reform sei „der größte Umbruch im britischen Schulwesen seit mehr als einem Jahrzehnt“, so die Zeitung.
Demnach würden die Lehrer größere Freiheit bei der Auswahl des Lehrstoffs erhalten. Hunderte Vorgaben über Pflichtwissen in Naturwissenschaften, Geografie und Geschichte würden wegfallen. Zwingend unterrichtet werden müssten nun jedoch multimediale Fähigkeiten, der Umgang mit dem Internet sowie Umweltschutz und Gesundheit.
Kinder sollten am Ende der Grundschulzeit mit Weblogs, Podcasts, Wikipedia und Twitter vertraut sein sowie das Tippen auf einer Computertastatur und ein Rechtschreibprogramm ebenso beherrschen wie das normale Schreiben mit der Hand. Die Reform sieht ebenfalls vor, dass die Schüler am Ende der Grundschulzeit historische Ereignisse in eine Chronologie einzuordnen wissen. Jedes Kind soll zwei wichtige Abschnitte der britischen Geschichte erlernen. Um welche Abschnitte es sich dabei handele, liege im Ermessen der jeweiligen Schule. Jede Anstalt könne sich wie bisher für den Zweiten Weltkrieg oder das Viktorianische Zeitalter entscheiden, sie müsse es aber nicht mehr.
Wikipedia-Wissen statt Freude am Lesen?
Die Pläne stammen vom obersten britischen Schulreformer Jim Rose. Er war zuvor Chef des „Office for Standards in Education“ (Ofsted). Diese Regierungseinrichtung beobachtet seit 2007 die Erziehung und Ausbildung von Kindern in England. Rose hatte von der Regierung den Auftrag erhalten, die britischen Grundschulen zu modernisieren.
Der Bildungsverantwortliche der nationalen Lehrervereinigung, John Bangs, zeigte sich gegenüber „Guardian“ skeptisch bezüglich der Pläne: „Offenbar will man auf die neuesten Trends wie Wikipedia und Twitter aufspringen. (…) Auf der anderen Seite will man wohl den politischen Druck berücksichtigen – die Regierung will wohl nicht den Eindruck erwecken, dass sie die traditionelle Erziehung abschaffen will. Computerkenntnisse und das Schreiben auf der Tastatur erscheinen wohl genauso wichtig wie das Schreiben mit der Hand. Traditionelle Bücher und handgeschriebene Texte werden aber abgewertet im Zuge eines Lernens, das auf dem Internet basiert.“
Teresa Cremin, Präsidentin der Gesellschaft für Alphabetisierung, sagte, ihre Gesellschaft sei besorgt, dass zu wenig Betonung auf dem Lesen als persönliche Bereicherung und als Unterhaltung gelegt werde. (PRO)