Der Cornelsen-Verlag in Berlin hat sich im neuen Schulbuch „Crossover“ (Band 2, 1. Auflage, 2009, ISBN 978-3-06-020483-0) unter anderem „fundamentalistische Christen“ als Thema ausgewählt, um den Schülern der Klassen 12 und 13 an beruflichen Gymnasien das Englischlernen zu erleichtern. Das Buch will laut Vorwort „auch ungewöhnliche Aspekte und überraschende Perspektiven“ einbringen und dadurch „die Abiturvorbereitung interessant und motivierend gestalten“.
Im Buch findet sich ein Artikel der britischen Tageszeitung „The Guardian“. Er ist überschrieben mit „Ihr Glaube ist übergeschnappt, aber sie sind das Herz der Macht“ und stammt aus dem Jahre 2004, als die Regierung George W. Bushs dem Ende ihrer ersten Amtszeit entgegenging. Der Reporter George Monbiot ging damals der Frage nach, warum sich die USA so sehr im Nahen Osten engagieren. Seine Antwort: Die gläubigen Christen in Amerika sehnen sich nach der Wiederkunft Jesu und provozieren deshalb einen Flächenbrand im Nahen Osten.
„Israels Aktionen sind extrem kontrovers“, schreiben die Autoren des Schulbuchs einleitend. „Es wird regelmäßig beschuldigt, mehr und mehr Land von seinen Nachbarn zu stehlen und die Menschenrechte zu verletzen.“ Die einzige Regierung, die derartige Aktionen „fast nie“ kritisiere, sei die der USA. „In den Vereinigten Staaten sind einige Millionen Menschen einem außergewöhnlichen Wahn (delusion) verfallen“, beginnt der anschließende Zeitungsartikel. „Im 19. Jahrhundert brachten zwei immigrierte Prediger eine Reihe von unzusammenhängenden Passagen der Bibel zusammen, um folgende Geschichte zu erschaffen: Jesus wird auf die Erde zurückkehren, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.“ Der Staat Israel müsse neu gegründet werden und „biblisches Land“ besetzen, was nach Aussage des Autors „den größten Teil des Nahen Ostens“ ausmache. Zudem müsse der dritte Tempel errichtet werden. Dann werde der Antichrist kommen und bei Armageddon gegen Israel aufmarschieren. „Die Juden werden entweder verbrannt werden oder sich zum Christentum bekehren, und der Messias wird auf die Erde zurückkehren.“
Freude am Leid der Nichtgläubigen?
Was diese Geschichte „so reizvoll“ mache, sei, dass nur die „wahren Gläubigen“ in den Himmel emporgehoben würden. „Die Würdigen dürfen nicht nur zur Rechten Gottes sitzen, sondern sie werden – von den besten Plätzen aus – sehen können, wie ihre politischen und religiösen Gegner von Geschwüren, Wunden, Heuschrecken und Fröschen verschlungen werden während der sieben Jahre der Trübsal, die folgen. Die wahren Gläubigen versuchen jetzt, das alles herbeizuführen.“
Immer wieder thematisiert das Schulbuch das Thema „Entrückung“. Das Schulbuch macht den Leser darauf aufmerksam, dass er auf der Webseite www.raptureready.com sehen könne, „wie nahe Du daran bist, aus Deinem Schlafanzug herauszufliegen“. Weiter heißt es: „Wir können über diese Menschen lachen, aber wir sollten sie nicht abweisen. Dass ihr Glaube schwachsinnig ist, bedeutet nicht, dass sie eine Randerscheinung sind.“ Umfragen hätten ergeben, dass 15 bis 18 Prozent der US-Wähler einer Kirche angehörten, welche die oben genannten Lehren vertreten. Zudem sei eines der am meisten verkauften Bücher in den USA die 12-bändige Romanserie „Left Behind“, die von der Entrückung handelt.
„Christen wollen Weltkrieg“
In diesen „wahn-sinnigen“ Christen bestehe „eine große Wählerschaft, die einen großen Teil der derzeitigen Kernwählerschaft des Präsidenten darstelle, in der mächtigsten Nation der Erde, die aktiv einen neuen Weltkrieg herbeiführen will. Ihre Mitglieder sehen den Irak-Krieg als Aufwärmen, denn das Buch der Offenbarung 9,14-15 behauptet, dass vier Engel losgelassen werden, ‚die gebunden sind an dem großen Strom Euphrat‘, um ‚zu töten den dritten Teil der Menschen‘.“ Für 15 Prozent der Wähler sei der Nahe Osten „nicht einfach ein internes Thema, es ist persönlich: wenn es dem Präsidenten nicht gelingt, dort einen Flächenbrand zu entfachen, werden seine Kernwähler nicht zur Rechten Gottes sitzen“.
Textaufgaben im Cornelsen-Schulbuch ergänzen das Bild der bibelgläubigen Christen. „Finde in jedem Satz ein Wort, das seine Aussage falsch macht und korrigiere es“, heißt es. Darunter die Aussagen: „1. Hunderte Amerikaner glauben an die quasi-biblische Prophetie, nach der die Erde zur Hölle wird und nur die ‚wahren Gläubigen‘ gerettet werden. 2. Diese christlichen Fundamentalisten wollen Frieden im Nahen Osten, denn das würde die Prophetie erfüllen. 3. Sie sind vehement gegen die Israelis, die immer mehr Land im Nahen Osten einnehmen wollen. 4. Genügend amerikanische Wähler glauben, dass die Entrückung einen großen Einfluss auf die dortige Literatur hat. 5. Zu den Menschen, die an die Entrückung glauben, gehören einige der mächtigsten Politiker in Israel. 6. Für die Minderheit der Amerikaner, die keine religiösen Fundamentalisten sind, ist der Nahe Osten kein wichtiges politisches Thema.“
Die Schüler sollen das Wort „Entrückung“ („rapture“) erklären. Es folgt die Aufgabe: „Erkläre, warum die Welt sich Sorgen machen sollte wegen Amerikanern, die an die Entrückung glauben.“ Ein Comicstrip zeigt einen Mann, der offenbar ein Talar trägt, er sagt, Christen bräuchten sich keine Sorgen um die Probleme in der Welt wie Umweltverschmutzung, Staatsverschuldung oder Energieverbrauch zu machen, da ja die Entrückung bevorstehe. „Das sind nur die Probleme der Ungläubigen!“, ruft er. (PRO)