Vom Prinzip des ehrbaren Kaufmanns

Professor Hans Nutzinger lehrt seit rund 30 Jahren an der Universität Kassel. Der 63-jährige Volkswirt beschäftigt sich insbesondere mit dem Thema Ethik in der Wirtschaft und hat viele Bücher und Essays verfasst und veröffentlicht. pro-Autorin Katrin Gülden hat mit dem evangelischen Pfarrerssohn und Vater zweier Töchter über die Finanzkrise, die Suche nach maximalen Renditen und biblische Weisheiten gesprochen.
Von PRO

Katrin Gülden: Professor Nutzinger, in den Medien wird im Zuge der Finanzkrise das Thema Gier und speziell die Gier der Banker thematisiert. Halten Sie die Debatte für verkürzt?

Hans Nutzinger: Ja, ich halte sie für verkürzt, aber nicht für falsch. Die Finanzmärkte sind von vielfältigen Unsicherheiten und Risiken geprägt. Hier hat sich kurzfristiges Denken und Opportunismus ausgebreitet: Unsicherheiten wurden nicht gemeistert, sondern ausgenutzt. Es gibt beispielsweise Finanzprodukte wie etwa bestimmte Zertifikate, die nur entwickelt wurden, um kurzfristige Gewinne für die Banken zu generieren. Bankberater in den Filialen erhalten hohe Kommissionen, um diese bankfremden Produkte an ihre Kunden zu verkaufen. Es ist vertretbar, als Banker ein gutes Gehalt zu verdienen, nicht jedoch, Provisionen für schlechte Produkte und Finanzleistungen zu erhalten. Hier wird die Gier, die in den Medien verkündet wird, zwar verkürzt, aber nicht falsch porträtiert.

Ist diese Krise aufgrund des menschlichen Hangs zur Maßlosigkeit  entstanden – sowohl von Seiten der Banken als auch vom Kunden, der überdurchschnittliche Erträge generieren wollte, und sei es nur für die eigene Altersvorsorge oder das Sparbuch der Enkel?

In der Finanzkrise sind viele Elemente zusammengekommen. Es wäre falsch, die Debatte auf diese beiden Aspekte zu reduzieren. Gier oder Maßlosigkeit sind fehlgeleitete Verhaltensweisen, mit einem an sich positiven Kern, nämlich dem Bestreben, etwas Gutes zu leisten und wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen. Finanzmärkte sind sehr komplizierte Märkte mit Produkten, die Sie als Kunde nicht sehen und anfassen können. Ich denke, Bundespräsident Köhler hat Recht gehabt, als er vom Bankier und nicht vom Banker sprach. Ich hatte ich ihn so verstanden, dass der Begriff Banker etwas Unsolides impliziert. Hinter Bankier steht für mich eine gewisse Solidität, eine Verantwortung und Eigentümerschaft, wobei es natürlich auch Bankiers gibt, die unseriös agieren. Das hat viel mit dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns zu tun. In der Wirtschaft sind die einfache Kantsche Regel und auch die biblische Weisheit „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu“ leider weitgehend verloren gegangen.

Bitte definieren Sie den Begriff Solidarität.

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Solidarität – je nachdem, ob es sich um Groß- oder Kleingruppen handelt. Ich denke, Solidarität ist im weitesten Sinne, Bestandteil einer Gemeinschaft und ihr in gewissem Maße verpflichtet zu sein, ohne dabei ihre Regeln zu verletzen. Ich distanziere mich natürlich von einem missbräuchlichen Verständnis von Solidarität, etwa die Solidarität gegenüber einer Verbrechergemeinschaft oder einem korrupten Regime.

Denken Sie, dass viele Bundesbürger die Solidargemeinschaft nicht richtig wahrnehmen, ob nun als Banker oder auch als Kunde?

Das Solidaritätsprinzip ist Bestandteil unseres Sozialstaats, es ist bereits im Grundgesetz festgelegt. Die Idee leitet sich aus dem Prinzip der Menschenwürde ab: Es soll jedem Menschen möglich sein, in der Gemeinschaft zu leben. Zunächst erst einmal aus eigener Kraft. Wenn er diese nicht hat, hilft ihm die Gemeinschaft. Das fängt bereits mit Solidarität in der Familie an, bei diesem Prinzip muss nicht sofort der Staat eingreifen.

Warum erregt sich die Diskussion so sehr am gierigen Reichen?

Die Schere zwischen Besser- und Geringverdienern wird in Deutschland zunehmend größer. Das sind wir nicht gewohnt und beobachten Besserverdienende von daher stärker. Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und übermäßig hohe Managergehälter auf der anderen lassen sich nicht vereinbaren. Ich würde nicht alles unter dem Aspekt der Gier verbuchen. Der Durchschnittsbürger hat auch bestimmte Vorstellungen von Anstand und Werten, die er in diesen Szenarien nicht mehr verwirklicht sieht. Natürlich sind Gier und Maßlosigkeit keine typischen Wesensmerkmale von Reichen.

Ein gutes Stichwort: Wie sieht denn die Bibel dieses Thema?

Der Arme ist in der Bibel nicht als der Tugendhafte beschrieben, noch ist er unbegrenzt anspruchsberechtigt. Er ist eher derjenige, der nicht vom Reichtum abgehalten wird oder sein Herz daran hängt. Dem Armen und Bedürftigen gilt zunächst die besondere Zuwendung des christlichen Glaubens. Tatsache ist: Man hängt sein Herz eher an den Reichtum als die Armut. Wer verliebt sich schon in die Armut? Meines Erachtens ist es falsch, die Debatte im christlichen Bereich beim „bösen Mammon“ aufzuhängen.

Sondern?

Die Finanzwirtschaft ist ein wichtiger Bestandteil unserer Volkswirtschaft. Wir erwerben Güter und Leistungen durch den Austausch von Geld. Dazu muss jedoch investiert werden. Investitionen sind immer auf die Zukunft ausgerichtet – die Zukunft ist jedoch unsicher. Die Finanzmärkte sind eigentlich ein dienendes Instrument zur Bewältigung dieser Unsicherheit, nicht zu deren Erhöhung durch fragwürdige Geschäftspraktiken. Die Finanzwirtschaft sollte mit Risiken umzugehen wissen, diese benennen und handhaben. Das Gegenteil ist eingetreten, die Unsicherheiten haben sich erhöht und Risiken sind missbraucht worden. Der Markt sollte von den Akteuren selbst reguliert werden. Der Staat kann nicht alles lösen. Gerade angesichts der Unsicherheiten, die zu Recht von den Finanzexperten betont werden, muss man an sie erhöhte Anforderungen stellen. Hierbei sollte Ethik nicht nur vermittelt, sondern konkret angewendet werden. Die Ethik des ehrbaren Kaufmanns ist nicht in theologischen Seminaren gelehrt worden, sie hat sich praktisch bewährt. Der ehrbare Kaufmann war integraler Bestandteil der Gemeinschaft. Ein Bürger, der dauerhaft Geschäfte mit guter Ware machen wollte.
Die Bibel sagt wenig über Wirtschaftliches. Ihre Aussagen sind in dem Zusammenhang nur bedingt für die heutige Zeit brauchbar: Im Alten Testament ging um die Ordnung für die jüdische Gemeinschaft. Institutionelle Regelungen wie etwa das Jubeljahr oder der Sabbat sind bereits damals nicht eingehalten worden. Das Gebot der Armutsvermeidung ist aber sehr wichtig. Eine Gesellschaft kann nur gedeihen, wenn sie die Schwächsten trägt. Jedoch nicht im Sinne einer Einseitigkeit, der Gemeinschaftsgedanke bezieht alle mit ein. Jeder muss dazu beitragen. Die Bibel propagiert jedoch keine soziale Hängematte. Sie ist besonders klar in den Sprüchen Salomons, in denen Faulheit angeprangert und verurteilt wird. In beiden Testamenten wird gewarnt, sein Herz an den Reichtum zu hängen. (…)

Welche Verbindlichkeiten für die individuelle Lebensführung und die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens können aus der Bibel abgeleitet werden?

Meines Erachtens ist die christliche Einsicht, dass der wirtschaftliche Erfolg die individuelle Persönlichkeit nicht ausmacht, wichtig. Die innere Einstellung zählt. Honore de Balzac hat es treffend so formuliert: „Das Geld ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herr.“

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Das ganze Interview mit Professor Nutzinger lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, 1/2009.

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