„Was treibt denn den Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn nur um, dass er sich mit allen anlegt“, fragt Heinz-Joachim Fischer in einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) der vergangenen Woche. Sein Beitrag ist ein Spiegelbild der derzeitigen öffentlichen Meinung über Papst Benedikt XVI. „Wir sind Papst!“ titelte die „Bild“-Zeitung am 20. April 2005. Nun, knapp vier Jahre später, ist die Euphorie über den deutschen Träger der höchsten katholischen Würden nicht nur verflogen – sie verkehrt sich sogar ins Gegenteil.
Gut zwei Wochen ist es her, seit „Benedetto“ die Exkommunizierung des Londoner Weihbischofs Richard Williamson aufhob. Der Brite gehört zur konservativen Pius-Bruderschaft. Vier ihrer Bischöfe waren 1988 aus der Kirche ausgeschlossen worden. Die „innerkirchliche Frontbegradigung“ sei mißlungen, schreibt das Magazin „Der Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe. Noch am Tag der Wiederaufnahme, dem 21. Januar, strahlte das schwedische Fernsehen ein im November 2008 aufgezeichnetes Interview mit Williamson aus. Dort erklärte er: „Ich glaube, dass 200.000 bis 300.000 Juden in Nazi-Konzentrationslagern umgekommen sind, aber keiner von ihnen durch eine Gaskammer.“ Die Zahl von sechs Millionen getöteten Juden verneint Williamson, er glaubt stattdessen an eine Ausbeutung der Deutschen. Diese hätten Entschädigungsgelder zahlen müssen, obwohl die Hinrichtungen nicht belegt seien.
Wiederaufnahme des Antisemiten Williamson schockiert
Schon Jahre zuvor hatte sich Williamson derart antisemitisch geäußert. Dass er seinen Worten so kurz vor der Wiederaufnahme in die katholische Kirche erneut Nachdruck verlieh, gibt den Zweifeln an der Amtshandlung Papst Benedikts neue Schlagkraft. Dieser betonte kurze Zeit später zwar seine „Solidarität mit den Juden“, äußerte sich aber nicht zu Williamson – ein fast noch größerer Skandal.
Der Vorwurf des Antisemitismus ist für den Papst nicht neu. Seit Antritt seines Amtes bemüht er sich um die Seligsprechung Pius XII. Immer wieder wurde dem 1958 verstorbenen Geistlichen vorgeworfen, er habe geschwiegen, als die Nationalsozialisten in Europa Juden in Vernichtungslager deportierten. Andere Stimmen behaupten, er habe den Verfolgten geholfen: auf Pius‘ Geheiß etwa seien falsche Pässe unter ihnen verteilt worden. Klar ist: die Rolle des ehemaligen Papstes ist umstritten.
Papst machte sich auch im Islam Feinde
2006 erregte Papst Benedikt mit seiner Augsburger Rede Aufsehen. Darin zitierte er eine Aussage des spätmittelalterlichen Kaisers Manuel II. Palaiologos: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Rasch wurde kritisiert, der Papst habe es versäumt, sich in seiner Rede ausreichend von diesen Zeilen zu distanzieren. Vor allem von Seiten muslimischer Verbände musste er harsche Kritik für seinen Ausspruch einstecken.
„Er hat zuerst die Muslime beleidigt und jetzt auch noch die Juden gründlich verärgert“, zitiert der „Spiegel“ den Theologen Hans Küng. „Dass das alles durch einen deutschen Papst geschieht, ist doppelt schwerwiegend. Die nachträglichen Entschuldigungen können das zerbrochene Porzellan nicht mehr kitten“, erklärt er weiter. Ebenfalls im „Spiegel“ äußert sich Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Wiederaufnahme Williamsons durch den Papst: „Dass er seine Entscheidung gleichwohl zu einem Zeitpunkt verkündet hat, als die Äußerungen bereits öffentlich bekannt waren, ist mir wegen der absehbaren Wirkung völlig unverständlich.“ Papst Benedikt, so ist Lammert sicher, habe den Dialog mit jüdischen Organisationen aufs Stärkste geschädigt.
Ein Rätsel ist letztlich vor allem Benedikts Schweigen. „Trotz aller Bemühungen zum Dialog mit China, den Ostkirchen, dem Islam – immer wieder stolpert dieser Papst über das Thema Holocaust, als wäre er verdammt dazu“, heißt es im „Spiegel“. Das Unverständnis für das Handeln des Papstes ist wohl ein Grund für das Abebben der Jubelrufe. Laut „Spiegel“ sind die Pilgerzahlen bei den Mittwochsaudienzen auf dem Petersplatz kontinuierlich zurückgegangen – von drei Millionen Menschen im Jahr 2006 auf zwei Millionen im vergangenen Jahr. (PRO)