Ein Kind weint. Es ist das schmerzvolle Flehen eines Jungen, das den Besuchern des „Museums für Neue Kunst“ (ZKM) in Karlsruhe in den Ohren hallt, wenn sie Barbad Golshiris Installation in der aktuellen Ausstellung „Medium Religion“ betrachten. Auf der Suche nach dem Ursprung der Klagen fällt der Blick der Gäste zunächst auf blauen Stoff. Acht Frauen in iranischen Schuluniformen sind auf den beweglichen Hintergrund projiziert. Sie wirken wie Klone. Begleitet von Klagelauten schließen sie langsam die Augen, verblassen und verschwinden schließlich ganz.
Erst der Innenraum des Kunstwerkes zeigt den Ursprung der Laute. Auf einem Sessel „thront“ ein Fernseher mit dem Bild eines sechsjährigen Jungen. Er trauert. Um die verschwundenen Frauen. Um das Schicksal der weiblichen iranischen Bevölkerung. Unter Kopftuch und Schulkleidung gleichgemacht, verlieren die iranischen Mädchen ihre Identität – bis hin zur Selbstauflösung.
Erst auf den zweiten Blick erkennt der Zuschauer, dass es sich bei dem Jungen auf dem flackernden Bildschirm um einen islamischen Prediger handelt. Der junge Geistliche weint nicht um die Frauen. Er weint, weil er die Sünden bedauert, die das „Volk Allahs“ noch heute jeden Tag begeht. Trotz Kopftuch. Trotz Gleichmachung.
In die Irre führen – informieren – schockieren
Die Ausstellung „Medium Religion“ führt in die Irre, informiert, deckt auf oder schockiert. Dutzende Künstler beschäftigen sich in ihren Installationen und Darstellungen in Karlsruhe mit dem Thema „Religiöse Propaganda“. „Die Religion als Medium komplementiert die Medien als Religion“, heißt es auf der Homepage des ZKM. Das klingt komplizierter als es ist. Religion bedient sich der Medien, ist die erste Feststellung der Macher. Deutlich wird dies im wohl eindeutigsten Falle: die Videobotschaften Osama bin Ladens. Teile davon sind in der Ausstellung zu sehen. Religion selbst ist Medium. Auch diese These wird in Karlsruhe deutlich. Das Medium Buch in Form der Bibel ist zentraler Glaubensinhalt des Christentums. Die Installation „Bios“ zeigt einen Roboter, der die Heilige Schrift endlos reproduzieren kann.
Jesus als Werbeträger für McDonalds
Dass die Religion als Medium nicht nur rasch Verbreitung findet, sondern ebenso leicht missbraucht werden kann, zeigen die Aussteller auf unterschiedlichste Art und Weise. Da prangt etwa das Konterfei Jesu auf rotem Hintergrund neben dem Schriftzug der Fastfood-Kette McDonalds und des Getränkeherstellers Coca Cola. „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut“, lautet die Werbebotschaft unter dem Logo. Jesus als Werbeträger.
Künstlerisch-kritisch äußert sich Maja Bajevic aus Bosnien über die Religion. Thema ihres Videos ist die „religiöse Doppelmoral“. „Ich habe 55 Menschen während des Gebets im Namen Gottes erschossen“, lässt sie einen ihrer Protagonisten in fragmentarischen Filmen berichten. „Ich befreie Menschen von der Sünde. Sie geben mir Geld“, sagt ein anderer.
Christoph Büchel zeigt Ausschnitte aus der Serie „Tomorrows Pioneers“. Die Kinderserie wird von der islamistischen Terrororganisation „Hamas“ produziert und ist regelmäßig auf deren Fernsehsender „Al Aqsa TV“ zu sehen. In kindgerechter Kulisse bringt eine Mickey Mouse-Figur ihre israelfeindliche Botschaft an das junge Publikum.
Dokumentationen zeigen Christen, Muslime und Juden
Die Religionskritik wird im „ZKM“ nicht nur künstlerisch, sondern auch dokumentarisch geäußert. Gezeigt wird etwa Romuald Kamakars Film „Hamburger Lektionen“, der sich mit den „Hasspredigten“ des Hamburger Imams Mohammed Fazazi beschäftigt, oder die „Internen Scientology-Videos“ über Tom Cruise. Das Video „Für ein Leben nach dem Tod“ portraitiert die letzten Monate im Leben Papst Johannes Pauls II. Die Macher Andrée Korpys und Markus Löffler zeigen den Papst als Politiker und Medienstar, widmen sich aber auch der Darstellung katholischer Rituale.
„Das unsagbare Sagen“ wiederum zeigt Ausschnitte aus dem Glaubensleben amerikanischer Pfingstgemeindler, etwa ekstatisches Tanzen oder das „Zungenreden“, also Gebete in unverständlichen Sprachen. Das trennende Element von Religion hat Mira Pereg im Auge. Sie dokumentiert die Sperrung des ultraorthodoxen Viertels Jerusalems während des „Sabbath 2008“, wie ihr Film heißt. In dieser Zeit kommt der dortige Verkehr wie auch die Telekommunikation vollkommen zum Erliegen.
Grenzen überschreiten
Ganz bewusst überschreitet „Medium Religion“ Grenzen. Etwa wenn Oreet Ashery ein männliches Alter Ego entwirft und sich als Rabbi „Marcus Fisher“ verkleidet, sich fotografieren läßt und auf diesen Bildern Geschlechtsteile entblößt. Auf der Suche nach kultureller, religiöser und sexueller Identität, so die Künstlerin, wolle sie „Grenzen austesten“.
Auch die Installation „Golgatha“ dürfte, zumindest bei Christen, auf Empörung stoßen. Michael Schuster zeigt ein Kreuz in dessen Mitte, an Stelle des hingerichteten Jesus, eine Flasche „Pattex“-Kleber prangt. „No more nails“ – Keine Nägel mehr – ist auf der Packung zu lesen.
Es scheint, als hätten die Kuratoren von „Medium Religion“ nichts ausgelassen. Der Kritik, propagandistisch zu sein, müssen sich in Karlsruhe alle drei Weltreligionen und Sekten wie „Scientology“ in gleichem Maße stellen. Die Schau erhebt nicht den Anspruch, Gläubige anzusprechen. Auch deshalb wird hier die Grenze des Blasphemischen gezielt überschritten. Zuletzt bietet die Ausstellung dann auch noch etwas zum Schmunzeln. Ein Video zeigt „Paul Eugene’s Gospel-Aerobic“, ein Fitnessvideo zu christlicher Musik. Wem es beliebt, der darf auf einer bereitgelegten Gymnastikmatte mitschwitzen. Quietschbunt bietet das Video den perfekten Kontrast zum schreienden iranischen Jungen auf seinem Sesselthron.
„Medium Religion“ mag polarisieren, doch in einem dürfte kein Zweifel bestehen: Die Vielseitigkeit der Kunst haben die Aussteller hier bewiesen. „Medium Religion“ ist noch bis zum 19. April 2009 in Karlsruhe zu sehen. Ein umfassender Katalog mit dem Titel „Medium Religion – Faith. Geopolitics. Art.“ wird in Kürze in englischer Sprache zu 29,80 Euro erscheinen. (PRO)
Eine Antwort
Sehr gelunge werbung