Seit diesem Wochenende ist es beschlossene Sache, am Montag wurde es offiziell: Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Ypsilanti kann sich im Landtag nicht – wie monatelang geplant und vorbereitet – zur Wahl als Ministerpräsidentin des Landes Hessen stellen. Ihr „Projekt Hessen“ ist am Montag endgültig gescheitert – und zwar an der Weigerung von vier SPD-Abgeordneten, die öffentlich erklärten, die Wahl nicht mittragen zu können.
Es sei ein menschlicher Vorgang und habe mit Politik nichts zu tun, kommentierte die Bundes-SPD in Berlin die Verweigerung der SPD-Landtagsabgeordneten Carmen Everts, Silke Tesch, Jürgen Walter und Dagmar Metzger, ihrer Parteivorsitzenden die Stimme zu geben. Wie abwegig eine solche Kommentierung ist, wurde bei der Pressekonferenz deutlich, die die vier am Montag in Wiesbaden abhielten. Sehr wohl hatte deren Entscheidung mit Politik zu tun, natürlich auch mit „Menschlichem“ – aber nur wenn beides zusammenkommt, ist Politik doch überhaupt nur möglich und richtig.
Denn im Kern begründeten Everts, Tesch, Walter und Metzger ihre Weigerung, Ypsilanti zu unterstützen, mit eigenen moralischen Wertevorstellungen, ihrem Gewissen, die ihnen die Wahl ihrer SPD-Chefin zur Ministerpräsidentin untersagten. „Wir können einer Wahl zur Ministerpräsidentin unter Tolerierung der Linkspartei nicht zustimmen“, fasste die SPD-Landtagsabgeordnete Everts, die zudem wissenschaftliche Referentin der SPD-Fraktion in Wiesbaden ist, die Entscheidung der vier zusammen. „Die Linke hat ein gestörtes Demokratieverständnis und wäre ein Schaden für das Land“, fügte sie hinzu.
„Es gibt keine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit den Linken“
Ebenso grundlegend für ihre Entscheidung war jedoch auch der Wortbruch, den Ypsilanti nach der Hessenwahl am 27. Januar vollzogen hat. „Wie verhalten Sie sich, wenn es so kommt? Ist Ihnen lieber der Roland Koch in der Staatskanzlei oder eine Tolerierung durch Die Linke?“, fragte der Chefredakteur des Magazins „Focus“, Helmut Markwort, die damalige SPD-Spitzenkandidatin vor der Wahl in Hessen. Ypsilanti reagierte darauf mit heftiger Ablehnung: „Wie oft soll ich es denn noch sagen, Herr Markwort? Sie kriegen von mir heute Abend keine andere Antwort mehr, als ich die letzten Wochen und Monate immer gesagt habe: Es gibt keine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit den Linken.“
In den letzten Tagen vor der Wahl unterstützte auch der mittlerweile abgetretene SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck Ypsilantis deutliches „Nein“. Er erinnerte damals an die Verfolgung, unter der politische Gegner in der DDR gelitten haben. Befürchtungen der CDU, Ypsilanti werde im Falle eines Falles doch die Unterstützung der Linken suchen, nannte Beck „geschichtslos“, seien doch unter dem SED-Regime auch SPD-Politiker inhaftiert worden.
Doch es kam ganz anders, Becks eigene Partei wurde „geschichtslos“. Ypsilanti wollte an die Macht, sie rechtfertigte immer wieder eine Tolerierung durch die Linkspartei, auf deren Stimmen sie bei ihrer Wahl angewiesen wäre. Die Grünen holte sie mit ins Boot – das jetzt in wenigen Stunden Leck geschlagen und untergegangen ist.
Lüge gegen Glaubwürdigkeit
Am Montag nun stehen sich Politiker mit Grundüberzeugungen gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein können. Auf der einen Seite eine SPD-Vorsitzende, die bewusst eine Wahl-Lüge in Kauf genommen hat, um sich die eigene Macht zu sichern und dafür auch von der Bundespartei unterstützt wurde. Auf der anderen Seite vier SPD-Politiker, die eines eint, wie sie am Montag sagten: Ein „extremer Gewissenskonflikt“ und eine „persönliche Gewissensentscheidung“. Beides resultiert aus der geplanten Einbindung der Linken und der Lüge Ypsilantis, über die innerhalb der Partei kaum gesprochen wurde, die aber die Bevölkerung in allen Teilen entsetzt hat.
„Letztlich habe ich mich für eine glaubwürdige Politik entschieden“, sagte Silke Tesch auf der Pressekonferenz am Montag. „Ich wollte mein Wort nicht brechen. Ich hätte am Dienstag nicht den Ja-Knopf drücken können, denn dann hätte ich gegen meine tiefsten Grundüberzeugungen gestimmt.“ Ypsilantis Stellvertreter Jürgen Walter fügte hinzu: „Ich kann diesen Weg meiner Partei in Hessen nicht mitgehen, kann aber sagen, dass ich heute in Einklang mit mir selbst bin.“
„Mit dieser Entscheidung stellen wir unsere Zukunft anderen anheim, denn es gibt wichtigere Entscheidungen als die, ob man länger Abgeordnete ist oder nicht“, sagte Carmen Everts. „Mich hat die verantwortungsethische Frage über all die vergangenen Monaten gequält.“ Dagmar Metzger hatte ihre Entscheidung schon früh öffentlich bekanntgegeben, Ypsilantis Links-Kurs nicht zu unterstützen.
Jetzt werden die vier aus Berlin angegriffen. „Moralisch verwerflich“ nannte ein SPD-Vorstandsmitglied deren Verhalten. Scheinbar haben die meisten Politiker noch immer nicht begriffen, was eigentlich „moralisch verwerflich“ ist – das Treffen einer persönlichen Gewissensentscheidung oder der deutliche Bruch einer Zusage. Solange das so ist, wird das Ansehen der Politiker in der Bevölkerung weiter sinken und in Umfragen die hinteren Plätze belegen. Doch vier SPD-Abgeordnete haben heute etwas dagegen getan.