„Die Zeit“ über die Gefahren des Internets

"Kinder müssen lernen, mit Fernsehen, Videospielen und Internet umzugehen und Maß zu halten." Das sagte der Hamburger Therapeut Georg Romer im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". In der Ausgabe am heutigen Donnerstag hat Romer über die Suchtgefahr der Medien, dessen Zusammenhang mit der Gewaltbereitschaft und die Alternative Sport gesprochen.
Von PRO

„Die Zeit“ widmete dem Thema „Verloren in der virtuellen Welt“ einen dreiseitigen Artikel inklusive Interview mit Romer. „Fernsehen, Videospiele und Internet können süchtig machen. Manche Bilder sind sogar darauf angelegt. Kinder müssen lernen, damit umzugehen und Maß zu halten“, sagte der stellvertretende Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das sei wie beim Alkohol, den man kaufen könne. Aber man müsse damit umgehen lernen.

Laut Romer sei der Zusammenhang von Gewaltbereitschaft und gewaltverherrlichenden Videospielen gut belegt. „Allerdings nur als statistisches Phänomen. Welches Kind gewalttätig werden wird und welches nicht, lässt sich nicht vorhersagen“, so der Therapeut. Vor allem Kinder im Grundschulalter müssten vor medialer Reizüberflutung geschützt werden.

„Freie Marktwirtschaft stark einschränken“

Um Gefahren abzuwenden, „müssten wir die freie Marktwirtschaft zum Beispiel bei Internet oder Computerspielen stark einschränken“, sagte Romer. Vor pornografischen Bildern, Killerspielen und Gewaltfilmen seien insbesondere sozial randständige Kinder gefährdet, deren Probleme – Einsamkeit oder soziales Versagen – sich durch den Medienkonsum vervielfältigten.

Die Ursache, wieso vor allem Jungen nach solchen Spielen süchtig würden, liegt Romer zufolge darin, dass „Jungs von Natur aus wettkampforientiert sind und die Auseinandersetzung suchen“. Das Problem hierbei: Auseinandersetzungen seien gesellschaftlich nicht mehr gewünscht. „Jede Rangelei auf dem Schulhof ist heute ein Fall für den Psychologen“, sagte der Therapeut. „Frühere literarische Vorbilder wie Mark Twain oder Tom Sawyer wären heute ein Fall für die Kinderpsychiatrie.“ Also verlegten die Jungs ihre Wettkämpfe in virtuelle Welten.

Sport ist eine mögliche Alternative zur Medienwelt

Eine bessere Möglichkeit sei der Sport: „Ich halte Sport für eine gute Alternative zur Bildschirmflut. Spielerischer Wettkampf statt Bildschirmkrieg.“ Medien könnten zum Ersatzbedürfnis werden, wenn das primäre Bedürfnis – wie die Begegnung mit anderen Kindern – nicht erfüllt wird. Weiter sagte Romer: „Die Gefahr sehe ich weniger in der Frage, was die Kinder in den künstlichen Welten erleben, als vielmehr darin, was sie in der Zeit, die sie vor dem Bildschirm sitzen, nicht erleben. Sie versäumen echte, beziehungsstiftende Erlebnisse.“

Der stellvertretende Direktor des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bezeichnete die deutsche Kultur als „Innovationskultur, also eine Antitraditionskultur.“ Ständig gäbe es neue Entwicklungen. „Deshalb ist es eine Gesetzmäßigkeit, dass die Jungen sich Rituale und Gewohnheiten schaffen, bei denen die Alten nicht mitkommen“, so Romer.

Das „Überhandnehmen der Flatrates“ oder des „Dauerquasselns“ deutete der Psychologe als Wertlosigkeit der sozialen Bindungen zu anderen. Zur Beziehungsfähigkeit eines Menschen gehöre, dass er die Verbindung zu anderen in seinen Gedanken, seinem Innenraum stabil halten könne, ohne dauernd online zu sein. Romer: „Und auf die Tragfähigkeit von Beziehungen ist unsere globalisierte Gesellschaft extrem angewiesen.“

Cyber-Mobbing: Hassbotschaften über das Internet

In dem dreiseitigen Artikel der „Zeit“, geschrieben von Stephan Lebert, Sabine Rückert und Stefan Willeke, geht es um verschiedene Fallbeispiele, die die Ausmaße und Komplexität der virtuellen Welten verdeutlichen. So berichten sie unter anderem von Laura Jansen, einer 18-jährigen Schülerin der Gesamtschule Brachenfeld in Neumünster. Die Schülerin wurde Opfer des „Cyber-Mobbings“, was dazu führte, dass sie Angst davor hatte, weiterhin in die Schule zu gehen. Mädchen schrieben ihr bis zu zehn Hassbotschaften am Tag. Es sei viel einfacher, Laura mitten ins Herz zu treffen, wenn man ihr nicht persönlich begegnen müsse, schrieben die Autoren. „Alles schreibt sich so leicht dahin. Alles ist so schwerelos geworden im Zeitalter der Monitore, so bedenkenlos.“

Nun wäre die Erkenntnis, dass etwas nicht mehr stimmt mit den Kindern, auch schleichend über das Lehrerkollegium gekommen. „Es begann bei den Jungs: Seit einigen Jahren lassen ihre Leistungen dramatisch nach. Rege, intelligente Kinder schreiben plötzlich Fünfen und gaben zu, dass sie bis in die Morgenstunden in ihre Computerspiele versunken waren. Die fehlende Nachtruhe holten sie im Unterricht nach. Was plötzlich zählte, war nicht mehr der Aufstieg in die höhere Klasse, sondern in den höheren Level der Games“, so die Autoren.

Die Sorgen an Deutschlands Schulen sind überall gleich

Dass es sich hierbei keineswegs um einen Einzelfall handelt, zeigt die Tatsache, dass Schulen in Bayern, Sachsen oder im Rheinland mit dem gleichen Problem kämpfen: „Überall kämpfen Lehrer gegen die Handy-Epidemie auf Pausenhöfen und in den Klassenräumen. Überall ähneln sich die Sorgen. Überall werden Verbote gegen das Mitbringen von elektronischen Medien verhängt, weil man sich anders nicht zu helfen weiß. Überall werden Klassenkonferenzen einberufen, weil Schüler ganz ohne Argwohn peinliche Fotos ihrer Klassenkameraden und Lehrer ins Netz gestellt haben.“

Eine Mutter beantwortete die Frage, was Kinder bräuchten: „Sie brauchen gute Eltern und andere Kinder zum Spielen. Fernsehen und Computer brauchen sie nicht.“ Eine andere Mutter erkennt: „Aus dem Fernseher kommt kein Trost, kein Rat und keine Anteilnahme. Er hat nur Ablenkung zu bieten.“

Zurück zum Internet: Dort sei ein großer Marktplatz der Eitelkeit entstanden, so die Autoren. Jens Abke, Gründer des Internetforums „SchülerCC“: „Die wichtigste Währung ist Aufmerksamkeit.“ Man sammle Freunde, „die in Wahrheit natürlich keine sind“. Das alles sei viel Schein bei der Darstellung des eigenen Lebens, eine Menge Trug, so Abke. (PRO)

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