„Kirchen verzeichnen schon seit längerer Zeit einen Besucherrücklauf, doch im Internet suchen viele den Draht zu Gott“, schreibt Zoomer.de, ein deutsches Nachrichtenportal für junge Leute. Auf den bekannten sozialen Web-Netzwerken wie „Myspace“ oder „Facebook“ oder auf eigens dafür eingerichteten Webseiten von Kirchen tauschten sich die Menschen rege aus über Gebetsanliegen und -Erhörungen. „Amerikaner beten mit der Tastatur“, titelte die „Netzeitung“ zum neuen Trend, und der Berliner „Tagesspiegel“ fragt angesichts Tausender eingetragener Beter auf Internetseiten: „Werden dadurch die Kirchenbänke leer?“
Das Internet-Marktforschungsunternehmen „Comscore“ hatte mehr als 23 Millionen Menschen gezählt, die allein im Februar religiöse Internetseiten besuchten. Das sind 18 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Auf „Myspace“ gibt es über 1.000 so genannte „Prayer Groups“, auf Facebook rund 500. Deren Mitglieder beten für einzelne Menschen, für allgemeine Dinge oder einfach um des Betens Willen. Wenn man Google befragt, finden sich über zwei Millionen Treffer zum Stichwort „Online Prayer Group“. „Sprunghaft steigt die Zahl der Amerikaner, die übers Internet Gott ihre Anliegen vortragen“, schreibt dpa.
900 beten für ein Unfallopfer
Als Beispiel nennt die dpa-Autorin eine Gruppe, die sich spontan im Internet gebildet hatte, als ein Freund, der 28-jährige Trent Paul, nach einem schweren Unfall ins Krankenhaus musste. Die Freunde schlossen sich spontan virtuell zusammen, um für den Verunglückten zu beten. „Dazu gehen sie jedoch nicht in die Kirche, sondern ins Internet“, schreibt Hofmann. Die Gruppe „Prayer Chain for Trent Paul“ (Gebetskette für Trent Paul), wuchs innerhalb weniger Tage auf mehr als 900 Mitglieder an. Leider verstarb Trent Paul wenige Tage nach seinem Unfall, am 14. März. Doch die Gebetsgruppe löste sich keineswegs auf, sie wuchs sogar weiter. Sie widmete die Webseite dem Verstorbenen und würdigte sein Leben.
„Online-Beten ist eine ausgezeichnete Möglichkeit für Menschen, die Hilfe suchen und die selbst helfen wollen“, sagte die Direktorin für Gebetsanliegen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, Kathrin Love. Auf der entsprechenden Kirchen-Webseite seien im Jahr 2001 monatlich rund 800 E-Mails eingegangen – inzwischen seien es fast 30.000 Anfragen im Monat. Sie kämen aus aller Welt, sogar aus Bangladesch. „Viele Menschen gehören keiner Kirche an, möchten aber trotzdem mit Gott sprechen. Deshalb wenden sie sich ans Internet“, sagte Love.
Der dpa-Bericht stellt zudem die christliche Video-Plattform Godtube.com vor, eine christliche Version des erfolgreichen Video- Portals „Youtube“. Fast 320.000 Mitglieder hat Godtube eigenen Angaben zufolge. Hier können nicht nur Videos gezeigt, abgerufen und kommentiert werden, auch hier gibt es eine „Gebetswand“, eine Art schwarzes Brett, auf dem User elektronisch Gebetsanliegen hinterlassen können.
Kein Ersatz für Gemeinde
Kritik hingegen äußerte der Baptisten-Pfarrer Mike Gilbart-Smith aus Washington: in den virtuellen Gebetstreffen sieht er die Gefahr, dass eine künstliche Gemeinde vorgetäuscht werde. Gebete gehörten eigentlich immer noch in die Gemeinde, ist er laut einem Bericht der „Washington Times“ überzeugt. Beten im Internet könne den Gläubigen auch isolieren, warnt er. Doch auch seine eigene Kirche ist längst im Web angekommen: Einmal die Woche werden gesammelte Gebete der Gemeindemitglieder per E-Mail rundum gesendet. (PRO)