„Spiegel“: „Glaubenskrieg ums Kind“

"Wie viel Mutter braucht das Kind?" fragt der "Spiegel" diese Woche in seinem Titelthema und beleuchtet die Debatte um die Kinderbetreuung. In der Politik gehe es eigentlich um Ideologie: "Nach wie vor stehen sich eifernde Krippengegner und höhnische Gluckenverdammer unversöhnlich gegenüber."
Von PRO

Bis 2013 sollen in Deutschland 500.000 neue Krippenplätze geschaffen werden. Dazu steht ein Sondervermögen des Bundes in Höhe von 2,15 Milliarden Euro zur Verfügung, das jedoch an das Kinderförderungsgesetz gebunden ist. Wird dieses nicht bis Ende 2008 verabschiedet, gibt es für Länder und Kommunen keine Mittel zum Krippenausbau mehr.

Doch derzeit hängt das Gesetzesvorhaben am Betreuungsgeld, das die CDU im Kinderförderungsgesetz verankern will, während die SPD es nur im Begleittext sehen will. „Bestenfalls vordergründig geht es dabei um jene 2,7 Milliarden Euro, die das Betreuungsgeld jährlich kosten könnte“, schreibt der „Spiegel“. „In Wahrheit“ gehe es um Ideologie.

„Es ist ein Glaubenskrieg“

„Es ist ein Glaubenskrieg“, heißt es weiter: „Drei völlig verschiedene Aspekte des Umgangs mit den Kleinen werden dabei munter durcheinandergeworfen. Erstens: Wie möchte ich als Elternteil leben? (…) Diese Frage muss jeder für sich beantworten. Zweitens: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? Sollen Frauen und Männer gleichberechtigt am Berufsleben teilnehmen? Müsste der Staat mehr Mittel in die Kinderbetreuung investieren? (…) Schließlich drittens: Was eigentlich ist gut fürs Kind?“

Bei der Frage, „wie viel Mama das Kind wirklich braucht“, sei die Wissenschaft gefordert. In den vergangenen vier Jahrzehnten wurde viel zum Thema Kinderbetreuung und Mutterbindung geforscht. Die Kölner Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert sagte dem „Spiegel“, den größten Einfluss auf die Kitaforschung hätte bisher die Bindungstheorie gehabt. Dieser Ansatz betrachtet die Bindung des Kindes an die Mutter als Grundlage für seine Persönlichkeitsentwicklung.

Die Bindungstheorie besagt, dass Babys „geboren werden mit einem Verhaltensprogramm, das darauf gerichtet ist, sich auf einen Erwachsenen zu fixieren“, erklärt der „Spiegel“ die Idee von John Bowlby, Mitbegründer der Theorie. Das Kind wecke die Fürsorglichkeit seiner Vertrauensperson zum Beispiel durch „Kulleraugen und Stupsnäschen plus Quengeln, Gurren und Lächeln“, um sein Überleben zu sichern. Daraus entwickele sich ein tiefes Urvertrauen beim Kind. „Im Alter von vier Monaten schon lässt es sich selbst aus der Ferne von der vertrautesten Person in seinem Leben trösten“, also meist von der Mutter.

Obwohl die Bindungsforschung zeige, dass Kleinkinder ihre Mutter brauchen, „muss die Krippe noch nicht des Teufels sein“, so die Psychologin Ahnert. Die Kinder erwarteten in der Krippe keinen Mutterklon, sondern „sehen die Erzieherin eher als Spielpartner“. Der „Spiegel“ resümiert: „Nimmt man diesen feinen Unterschied zur Kenntnis, entweicht der ideologischen Krippendebatte die ganze Luft.“ Es gehe nicht um „entweder oder“ von Krippe oder Erziehung zu Hause, sondern um „sowohl als auch“.

Diese und viele weitere Aspekte und Gegenargumente greifen die „Spiegel“-Autoren auf, um den Blick von der ideologischen Debatte auf andere Probleme zu lenken. So werde es für die Bundesrepublik „sehr schwer werden, die Kinderbetreuung an europäische Qualitätsstandards heranzuführen. Dank jahrzehntelangen Rabenmutterdiskussionen hinkt Deutschland weit hinter seinen Nachbarn her.“

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