Mit einem Mausklick zum Islam

W e t z l a r (PRO) – Online-Fatwas, Videopredigten und islamische Videoportale - der Islam entdeckt die Möglichkeiten des Internet. Während die Medien ihre Aufmerksamkeit überwiegend auf extremistische Propagandaportale richten, wächst nebenher die Zahl der gemäßigten islamischen Angebote im Internet an. "Zeit"- Redakteur Stefan Apfl hat sich in seinem Artikel "Allah im Netz" mit den Facetten des Islam im Netz beschäftigt.
Von PRO

Wenn Muslime eine Frage zu den Regeln ihrer Religion haben, suchen sie Rat beim Mufti, der üblicherweise islamisches Recht studiert hat. Immer häufiger aber suchen sie die Antworten in Online-Fatwas. Auf Seiten wie alislam.com oder islamonline.net erklären islamische Gelehrte per Email oder im Livechat die Rechtsgutachten und beantworten auch individuelle Fragen. Das Innenministerium des Landes Nordhrein-Westfalen erklärt die Funktion der Fatwa so: „Als Fatwa wird ein Rechtsgutachten bezeichnet, in dem ein islamischer Gelehrter von entsprechendem Rang seine Meinung zu einer Rechtsfrage unter Anwendung des islamischen Rechts, der Scharia, darlegt.“

Großer Bedarf an Informationen über Islam

Seit dem Attentat auf das World Trade Center am 11. September blühte nicht nur das radikal-islamische Internetangebot auf, sondern laut „Zeit“ auch die Nachfrage nach islamischen Inhalten und Erklärungen. Experten beziffern die Zahl der extremistischen Propagandaseiten auf 5.000 bis 7.000. Daneben existiert eine bunte Vielfalt an Angeboten für muslimisch Interessierte. Noch heute „steigen nach jedem islamistischen Attentat globaler Dimension die Zugriffszahlen auch auf gemäßigtere islamische Seiten“, so die „Zeit“.

Durch die verstärkte Internetnutzung ergeben sich aber auch neue Fragestellungen, beobachtet Apfl. Beispielsweise werfe die Verbreitung von Online-Heiratsagenturen für Muslime die Frage auf, ob ein Chat zwischen Männern und Frauen verwerflich sei. Unter den zahlreichen Angeboten bleiben kommerzielle Angebote nicht aus. Online können Gebetskleidung oder Kopftücher für diverse Freizeitbeschäftigungen gekauft werden.

Rüdiger Lohlker, Orientalistik-Wissenschaftler von der Universität Wien, erforscht seit Jahren die Entwicklung islamischer Webseiten. Er erinnert sich, dass muslimische Akademiker in der Migration bereits Mitte der 90er Jahre die ersten Seiten mit islamischem Inhalt ins Netz setzten. Offizielle Stellen wie Parteien, Universitäten und Organisationen seien dagegen erst Ende des vergangenen Jahrhunderts online gegangen. Noch sei das Internet allerdings in der arabischen Welt ein Elite-Phänomen, das in Internetcafes stattfinde – und dessen Nutzung überwiegend männlich geprägt sei. Angebote für die muslimische Damenwelt seien eher selten. Welche Folgen die Zunahme an islamischen Internetangeboten haben wird, sieht auch „Zeit“-Autor Apfl als große, aber unbeantwortete Frage.

Muslime gründen eigene Online-Gemeinschaften

Auswirkungen der muslimischen Individualisierung zeigen sich auch in der Entstehung diverser Pendants zu bekannten Portalen wie „Youtube“. Sie heißen „Islamictube“ und „Faithtube“. Bisher halten sich die Einträge auf „Islamictube“ mit 24 Videos und 6 Videoblogs zwar in überschaubaren Größen, wenn die Entwicklung aber so rasant verlaufen sollte wie bei den bekannten Portalen, könnte sich dies schnell ändern. „Die spannendste Entwicklung ist der virtuelle Individualisierungsprozess“, zitiert „Die Zeit“ den Islamwissenschaftler Gary Bunt von der Duke-Universität in Wales. Immer mehr muslimische User stellen Blogs, Kommentare und Videos ins Web, Organisationen und Parteien seien zwar immer noch da, aber „das Individuum wird wichtiger“.

Dabei bleiben auch Konfrontationen nicht aus: auf dem Freundesportal Facebook gibt es seit Monaten Diskussionen über die Gruppe mit dem Nicknamen „Fuck Islam“. Eine Gegenbewegung bei der Onlinecommunity hat inzwischen knapp 80.000 Mitglieder. Sie drohen damit, die Internetgemeinschaft zu verlassen, wenn die Gruppe „Fuck Islam“ nicht geschlossen werde.

Auf „Faithtube“ zeigt ein Video eine Situation aus dem Schulalltag. Vor der Tür eines Klassenzimmers redet eine Lehrerin auf eine junge Muslima ein. Das Mädchen soll in der Schule das Kopftuch ablegen. Sie erwidert, sie habe sich noch nie ohne Kopftuch gesehen und habe Angst davor. Die Lehrerin lässt nicht locker, bis das Mädchen das Kopftuch ablegt und schüchtern vor die neue Klasse tritt.

„Das Internet ist heute längst in den islamischen Diskurs integriert“, erklärt Gary Bunt in dem „Zeit“-Artikel. „Die Orte, wo und die Arten, wie Entscheidungen getroffen werden, haben sich durch das Internet ebenso verändert wie die Autoritäten.“

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