Bischöfin Margot Käßmann hält die neue Flut anti-religiöser Publikationen und Strömungen insbesondere in den USA für eine Reaktion auf „fundamentalistische Strömungen in den Kirchen. Der neue Atheismus hat wahrscheinlich mit Befürchtungen vor einer Re-Klerikalisierung zu tun, Angst vor zu viel Einfluss der Religion im Staat. Ich halte die Trennung von Staat und Kirche für den richtigen Weg in einer Demokratie“, so Käßmann.
In den USA entstehe „im sogenannten Bibelgürtel ein großer Druck. Mit evangelischer Freiheit hat das oft wenig tun. Dass die fundamentalistischen Strömungen zunehmen, hat auch die Delegation des Rates der EKD bei ihrem jüngsten Amerikabesuch festgestellt. Genauso ist es in Brasilien, das einst als katholisches Land galt, heute gehören 30 Prozent der Bevölkerung zur evangelikalen-charismatischen Bewegung.“
In Deutschland könne jedoch keine Rede davon sein, dass die Evangelikalen maßgeblich zu vollen Kirchen beitrügen. „Das Gerede über die ganz leeren Kirchen entspricht doch gar nicht überall der Wirklichkeit. Ja, die Treuen gibt es unter den so genannten Evangelikalen, aber wir haben auch im Bereich der ganz normalen Volkskirche Menschen, die sich treu zu ihrer Kirche halten und durchaus Wachstumsbereiche, nicht nur zu Weihnachten, auch etwa bei Schulgottesdiensten“, sagte die Bischöfin gegenüber Dagmar von Taube und Gernot Facius. Den Menschen werde zunehmend klar, dass es nicht primär darum gehe, ob ihnen der Gottesdienst etwas bringt, sondern darum, dass sie sich einbringen in die Gemeinschaft der Christen.
Wenn Zusammenbleiben „erzwungen“ wird
Die Bischöfin hatte sich im Mai dieses Jahres von ihrem Mann scheiden lassen, was in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. Gegenüber der „Welt am Sonntag“ sagte sie: „Ich stehe zum Leitbild Ehe und Familie. Ich habe vier Kinder groß gezogen, war 26 Jahre verheiratet und halte die Ehe für eine gute Institution.“ In den reformatorischen Kirchen sei die Ehe kein Sakrament, trotzdem ist sie für Käßmann kein „Firlefanz“. Zu ihrer Scheidung sagte die Bischöfin: „Wenn Zwei nicht mehr aneinander wachsen, sondern sich gegenseitig kleiner machen, kann es nicht Gottes Wille sein, dass ein Zusammenbleiben erzwungen wird.“
Diskussion über Kindererziehung entspricht „Schwarz-Weiß-Denken“
Auch zum Thema Kindererziehung bezog Käßmann Stellung: „Mir scheint wichtig für die Kinderfreundlichkeit im Land, dass unterschiedliche Lebensentwürfe nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ Auch ihr seien wegen ihrer Berufstätigkeit häufig Vorwürfe „von außen“ gemacht worden, erzählt Käßmann. Die Vereinbarung von Familie und Karriere koste viel Kraft. „Da braucht eine Frau nicht noch Vorwürfe“, so die Bischöfin.
In diesem Zusammenhang bezeichnete sie die Diskussion um die von der ehemaligen Fernsehmoderatorin und Buchautorin Eva Herman vertretenen Thesen über Kindererziehung als „Schwarz-Weiß-Denken“, das nicht der „Realität von Familien“ entspreche. Man müsse aufhören, „die Krippendiskussion so zu führen, als ginge es um eine Zwangsbeglückung à la DDR“. Besonders für vernachlässigte Kinder sei eine frühe Förderung ihrer Sprach- und Sozialkompetenz von enormer Bedeutung.
Käßmann sieht es als eine Aufgabe der Kirche an, Probleme zu benennen. Die Kinderbetreuung vor der Einschulung ist dabei für die Bischöfin ein zentraler Punkt. Gleichzeitig erwarte sie „mehr gesellschaftliches Engagement“. Der Durchschnittsbürger konsumiere 220 Minuten Fernsehen pro Tag, aber es werde nicht wahrgenommen, dass in der Nachbarschaft ein Mensch auf Besuch warte oder gar ein Kind verhungere. Aus diesem Grund plädiert die Bischöfin für eine „Kultur der Achtsamkeit“ oder schlicht „mehr Nächstenliebe“.