Die Bundesregierung und die Vertreter der Bundesländer und Kommunen sowie sechs Verbände haben bei dem Gipfel einen „Nationalen Integrationsplan“ erörtert, der einer besseren Eingliederung, Bildungschancen und Berufsperspektiven der etwa 15 Millionen Einwanderer in Deutschland dienen soll. Erarbeitet haben diesen Plan 367 Vertreter von Staat, Migrantenorganisationen und anderen Verbänden.
Es habe eine „muntere und intensive Diskussion“ gegeben, teilte Merkel nach dem Gipfel mit. Dabei sei ein „nachprüfbares Werk“ entstanden, das eine „Neuerung“ sei, „wie wir sie vielleicht noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatten“. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) berichtet, umfasst es 406 Selbstverpflichtungen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen. Deren Umsetzung sollen beim nächsten Gipfeltreffen im Herbst 2008 überprüft werden.
Streitpunkt deutsche Sprache
Der Bund will künftig 750 Millionen Euro mehr in Integrationsbemühungen investieren als bisher. Dazu gehört vor allem eine Intensivierung der Sprachausbildung von Neubürgern, aber auch von Ausländern, die schon lange in Deutschland leben. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) forderte zudem von den Muslimen in Deutschland, das Freitagsgebet in Moscheen häufiger auf Deutsch zu halten. So werde ein leichterer Zugang geschaffen zu dem, „was dort gelehrt wird“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Der neue Integrationsplan der Bundesregierung sieht vor, dass Ehepartner, die nach Deutschland nachziehen, vor ihrer Einreise grundlegende Deutschkenntnisse nachweisen müssen – etwa 200 bis 300 Worte. Das Nachzugsalter der einreisenden Ehepartner wird zudem auf 18 Jahre heraufgesetzt. Besteht der Verdacht auf eine Scheinehe, können die Ämter die Einreise künftig ganz verhindern.
Die Teilnehmer des Gipfels sahen es als wichtigen Bestandteil der Integration von Ausländern an, die Bildungschancen der jüngeren Generation zu verbessern. Laut einer Studie des Deutschen Studentenwerkes in Berlin haben acht Prozent der Studenten in Deutschland einen Migrationshintergrund. Zu 41 Prozent stammen diese aus unteren sozialen Schichten.
Einwanderungsgesetz als „Diskriminierung und „Rassismus“ bezeichnet
Die vier größten türkischen Verbände lehnten eine Teilnahme am Integrationsgipfel ab: die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD), der Rat Türkeistämmiger Staatsbürger, die Föderation Türkischer Elternvereine und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), die der deutsche Ableger des türkischen Religionsamtes ist. In einer gemeinsamen Erklärung protestierten sie bereits am Mittwoch, die Bundesregierung sei ihrer Forderung nach Änderungen im Einwanderungsgesetz nicht nachgekommen. In Form eines Ultimatums forderten sie, das Zuwanderungsgesetz müsse geändert werden, denn es mache viele Migranten zu Bürgern zweiter Klasse. Der Vorsitzende der TGD, Kenan Kolat, kündigte eine Verfassungsklage gegen das Gesetz an, sollte es von Bundespräsident Horst Köhler unterschrieben werden. Hauptkritikpunkt sei laut Kolat, dass etwa beim Familiennachzug zwischen Staatsangehörigen deutscher und nichtdeutscher Herkunft unterschieden werde. „Das ist eine Diskriminierung“, sagte er. Dass Ehepartner künftig vor der Einreise erste Deutschkenntnisse nachweisen müssen, lehnen die vier Organisationen ab. Die auch in Deutschland einflussreiche türkische Tageszeitung „Hürriyet“ schrieb von „schlichtem Rassismus“.
Laut der F.A.Z. erwägt die evangelische Kirche, eine mögliche Verfassungsklage gegen das Gesetz zu unterstützen, „falls sich denn ein deutscher Kläger findet, der sich benachteiligt fühlt, weil seine minderjährige Ehefrau vor der Einreise Deutsch lernen soll“. Auf Nachfrage von pro-medienmagazin.de dementierte das Büro des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik, Stephan Reimers, allerdings diese Information. Es gebe „definitiv keine Überlegungen, die Klage der türkischen Verbände zu unterstützen“, hieß es aus Berlin.
Vertreter der boykottierenden türkischen Organisationen protestierten während des Gipfels vor dem Bundeskanzleramt, anstatt daran teilzunehmen. Merkel kommentierte ihre Forderung mit den Worten: „Der Bundesregierung stellt man keine Ultimaten.“ Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, verteidigte den Integrationsplan und warf den protestierenden Verbänden vor, zu wenig gegen Integrationsprobleme der nachziehenden Frauen zu tun: „Wenn zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, fehlt die für einen erfolgreichen Spracherwerb wichtige familiäre Unterstützung.“ Die in der Türkei geborene Frauenrechtlerin Seyran Ateş bezeichnete die Boykottdrohung in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ als „abstrakten Unsinn, kontraproduktiv und kindisch“.