Ellen Nieswiodek-Martin & Andreas Dippel
Geht es nach dem Willen der großen Medien-Konzerne, sitzen wir im Jahr 2020 nur noch vor Bildschirmen: „Handy-TV“ und „Überall-Fernsehen“ sind die Schlagwörter der Zukunft, denen sich Mobilfunkkonzerne verschrieben haben. Internet und Fernsehen verschmelzen, es soll in Zukunft keinen Ort mehr geben, an dem nicht irgendein Bildschirm flimmert. Kindergärten und Schulen werden mit Computern vollgestopft, damit die Kleinen früh genug lernen, worauf es offenbar im beruflichen Alltag einmal ankommt. Auch vor den Kinderzimmern machen TV und PC schon lange nicht mehr Halt:
Beinahe 40 Prozent aller Kinder haben mittlerweile zusätzlich zum Fernsehgerät ihrer Eltern im Wohnzimmer einen eigenen Apparat in ihrem Zimmer. Bei den Computern oder Spielkonsolen sieht das kaum anders aus. In einigen Regionen Deutschlands können gar 63 Prozent der Viertklässler ein Fernsehgerät ihr eigen nennen, 56 Prozent eine Playstation, 52 Prozent einen Computer.
„Dank neuer Medien“: Erziehung wird immer anspruchsvoller
Die Auswirkungen dieser nahezu allgegenwärtigen Bildschirme sind verheerend. Wie etwa in der Erziehung der Kinder. Wie, fragen immer mehr Pädagogen, sollen Eltern gegen die geballte Macht der Medien heute noch ankommen? Entweder, Eltern halten sich dauernd auf dem Laufenden, können mitreden über die angesagtesten Action-Spiele und trendigsten Serien – oder werden vom eigenen Nachwuchs schlicht überholt. „Erziehung ist viel anspruchsvoller geworden als früher. Noch vor 25 Jahren gab es kein Privatfernsehen, keine Computerspiele, kein Handy“, sagt etwa Margot Käßmann, Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche Hannover und Mutter von vier erwachsenen Töchtern.
Diesem Anspruch können Eltern kaum noch gerecht werden. Zu rasant treiben die Multi-Media-Firmen die Entwicklung immer neuer Geräte und Formate voran. Die Kinder haben sie dabei aber fest im Griff. Schon allein deshalb, weil auf den Schulhöfen über kaum ein anderes Thema als die neuesten Fernseh- und Spiele-Trends gesprochen wird. Da wirken Äußerungen wie die von ZDF-Intendant Markus Schächter in den Ohren vieler Eltern wie blanke Ironie: Erziehende sollten sich doch mit den neuen Medientechnologien vertraut machen, appellierte der Medienprofi. Und gestand gleichzeitig, dass er selbst die Hilfe seines Sohnes brauche, um einen neuen Laptop einzurichten.
Der Psychologe und Mediziner Manfred Spitzer, Professor an der Universität Ulm, ist ein Freund deutlicher Worte. „Wer verständlich schreibt und redet, geht das Risiko ein, verstanden zu werden“, schreibt der Spezialist für Lernforschung in seinem neuen Buch „Gott-Gen und Großmutterneuron“, in dem er sich kapitelweise mit den neuesten Erkenntnissen über die Auswirkungen von Fernsehen & Co. auseinander setzt.
Schon Spitzers Motivation lässt aufhorchen: „Weil wir über die Gehirnentwicklung einiges wissen, weil wir über Lernen einiges wissen und weil unsere Kinder und Jugendlichen nach dem Schlafen – letzteres etwa 7 bis 8 Stunden – die zweitmeiste Zeit vor Bildschirmmedien verbringen – nämlich 5,5 Stunden –, kann man nicht gelassen zur Kenntnis nehmen, dass die Inhalte der Sendungen von reinen Profitinteressen bestimmt werden. Nicht nur die Gehirne der nächsten Generation werden vermüllt; letztlich geht es um die Zukunftsfähigkeit eines ganzen Landes.“
Der Wissenschaftler kritisiert dabei zwei grundlegende Fehlentwicklungen, die Medien bewirken. Zum einen ist es das Bild einer immer währenden Ellenbogenmentalität. Ohne Kontrahenten, Konflikte und zwischenmenschliche Spannungen verliert jede Serie, jeder Film seinen Unterhaltungswert. Und weil Langeweile sofort mangelnde Einschaltquoten und das wiederum geringere Werbeeinnahmen bedeutet, streiten, bekämpfen und fetzen sich die Schauspieler auf den Bildschirmen bis zum Abwinken.
Kinder erleben durch die Flimmerkiste, dass Konflikte durch Gewalt und Aggressionen gelöst werden. Spitzer schreibt: „Nicht Konkurrenz, sondern Kooperation ist in den Kindergärten und Schulen, in der Wirtschaft und in der Wissenschaft grundlegend und daher zu fördern. Nicht Angst gilt es zu schüren und über alle Kanäle zu verbreiten…, sondern Freude, Mitmenschlichkeit und Anteilnahme. Dies liegt uns Menschen eigentlich; aber wir können uns dummerweise auch einreden, dass es anders sei.“
Teil 2 des Beitrages „Fernsehen & Co.: Unbequeme Wahrheiten“ lesen Sie am Mittwoch auf www.pro-medienmagazin.de.
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