Religiöser Boom hält „Gottvergessenheit“ nicht auf
In der aktuellen Ausgabe des „Tagesanzeigers“ (Zürich) kritisiert der Journalist bestimmte Massenveranstaltungen, die Religion zu Events reduzieren und dabei aussagekräftige Inhalte vernachlässigen würden. In seinem Artikel bezieht sich Meier auf die Aussagen von Religionssoziologen, die den Begriff der „Eventisierung der Religion“ geprägt hätten. Hierbei werde religiöses Erleben zum „bloße[n] Ergriffenwerden“; das Erleben „erschlossene[r] Inhalte“ verliere dabei an Bedeutung. Mit einem „Kirchenfrühling“, wie dies der Wiener Kardinalerzbischof Christoph Schönborn angesichts des Weltjugendtages zu erkennen glaubte oder gar einer Rechristianisierung der Gesellschaft, habe das Ganze wenig zu tun.
Von einer Wende im säkularisierten Europa zu sprechen, sei laut Meier, „mehr Wunschdenken als Realität“. Auch Papst Benedikt XVI. bleibe diesbezüglich auf dem Boden der Tatsachen. Er habe erkannt, dass die Säkularisierung im öffentlichen Leben weiter voranschreite und mache dabei gleichzeitig auf einander scheinbar widersprechende Phänomene wie „Gottvergessenheit“ und „Boom des Religiösen“ aufmerksam. Diese Tendenzen führten dazu, dass Religion zu einem „Marktprodukt“ werde.
In dem Zusammenhang kritisierte der Papst bei einer Messe auf dem Marienfeld in Köln: „Man sucht sich heraus, was einem gefällt. Und manche wissen Gewinn daraus zu schlagen.“ Das Herauspicken einzelner inhaltlicher Elemente gehe laut Meier so weit, dass teilweise die religiöse Botschaft zu Gunsten des religiösen „Subjektes“ ganz in den Hintergrund zu rücken drohe. Der Soziologe Gerhard Schulze spricht von einer „erlebniszentrierten Nachfrage nach Religion“, die zunehmend mit individuellen, ästhetischen und therapeutischen Interessen verbunden werde.
Inhalte verblassen vor dem Hintergrund gemeinschaftlichen Erlebens
Die Religionssoziologie redet in diesem Zusammenhang von „Patchwork- oder Auswahlchristentum“ und meint die Ursache dafür in der allgemeinen Individualisierung und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach Kollektivität zu finden. Im Falle des Weltjugendtags bedeutet dies, dass Jugendliche Spiritualität in der Gemeinschaft erleben wollen: „Im kollektiven Ritual treten [sie] aus sich heraus und erleben eine Art Kontrollverlust oder selbstvergessene Ekstase – ähnlich wie bei Rockkonzerten“.
Entscheidend sei in dieser religiösen Erfahrungswelt nicht so sehr der Inhalt, als vielmehr das „bloße Ergriffenwerden“. Im Zentrum steht also das religiöse Subjekt und weniger die Botschaft. Sowohl beim Weltjugendtag wie auch bei dem Dalai-Lama Treffen in Zürich, das rund 30.000 Menschen besuchten, wurden keine eindeutigen Botschaften und Bekenntnisse geäußert. Im Vordergrund stand das Zusammensein, wesentliche Glaubensinhalte kamen nicht zur Sprache.
Ideologieanfällige Eventkultur
Die religiöse Eventkultur sei auch eine Reaktion auf die „verkopften Kirchen und deren rationalistische Botschaft“, meint Meier. Diese Reaktion diene als Beweis dafür, dass Glauben erfahren werden wolle. Im „Ergriffenwerden in der Masse“ sieht Meier allerdings die Gefahr, dass verstandesmäßiges Denken aussetzen kann, was die Eventkultur anfällig für Ideologien mache. Er rät dringend zu einem reflektierten Umgang mit der Erlebnisreligion.
Erlebniswelt: Religiöse Großveranstaltungen
Meier versucht, religiöse Megaevents in unser Gesellschaftssystem einzuordnen. Er bezeichnet beispielsweise den Weltjugendtag als eine Erlebniswelt neben vielen anderen wie StreetParade, Hiphop, Graffiti oder Comics: „Heute leben wir in einer Minderheitengesellschaft. Der Weltjugendtag steht genauso wie die Street Parade nur für eine Minderheit und ist eine unter vielen anderen Erlebniswelten.“