Filmkritik

Erst verfolgter Jude, dann beliebtester Deutscher – 100. Geburtstag von Hans Rosenthal

„Dalli Dalli“ war eine der beliebtesten Shows im Deutschland der 70er Jahre, und Moderator Hans Rosenthal war ein Liebling der Nation. Nur wenige wussten, dass Rosenthal als Jude verfolgt worden war und einer bibeltreuen Christin sein Leben verdankt.
Von Jörn Schumacher

Am 2. April 1925, also vor 100 Jahren, wurde Hans Rosenthal geboren. Der Moderator wurde mit seiner Sendung „Dalli Dalli” zur Fernseh-Legende und einer der beliebtesten Deutschen. Dabei war es keine Selbstverständlichkeit. Denn Rosenthals Familie wurde nur wenige Jahre vorher durch das nationalsozialistische Terror-Regime ermordet. Und auch er selbst entkam nur knapp dem Tod. Das ZDF hat sich außerordentlich Mühe gegeben, an den beliebten Showmaster, aber vor allem an seine ungewöhnliche Lebensgeschichte zu erinnern.

Der Spielfilm „Rosenthal“ ist in der ZDF-Mediathek zu sehen. Für die Juden in Deutschland, die die Verfolgung überlebt hatten, war es nicht selbstverständlich, dass ausgerechnet ein Jude Millionen von ehemaligen „Ariern“ bespaßte, die zumindest weggesehen hatten, als man seine Familie umbrachte. Andererseits stand Hans Rosenthal für viele Deutsche für einen Neuanfang, vielleicht gar für so etwas wie Versöhnung. Auch diesen Aspekt spricht der sehenswerte Film an. Dass er ein jüdischer Holocaust-Überlebender war, wussten bis Ende der 1970er Jahre nur wenige. Und Rosenthal tat selbst lange nichts dafür, dass sich das änderte.

Hans Rosenthal wurde in Berlin geboren. Als er zwölf Jahre alt war, starb sein Vater an Nierenversagen. Kurz zuvor hatte ihn die Deutsche Bank entlassen, weil er „Nichtarier“ war, wie es hieß. Vier Jahre später starb seine Mutter an den Folgen von Darmkrebs. Die Vollwaise Hans hatte einen sieben Jahre jüngeren Bruder, Gert. Der wurde 1942 aus einem Waisenhaus deportiert und in einem Wald erschossen. Andere Angehörige von Hans Rosenthal wurden ebenfalls im Holocaust ermordet.

Hans kam zunächst in ein jüdisches Ausbildungslager in der Niederlausitz. Nachdem dies verboten worden war, wurde er von den Nationalsozialisten zu Zwangsarbeit herangezogen. Er arbeitete unter anderem als Totengräber sowie in einer Fabrik. Ab März 1943 konnte er in einer Berliner Kleingartenanlage unterkommen. Drei nichtjüdische Berlinerinnen halfen ihm, wie er später dankbar berichtete.

Bibeltreue Christin riskierte ihr eigenes Leben für Rosenthal

Eine dieser Frauen war Ida Jauch, eine Bekannte seiner Großmutter. Als sie 1944 starb, kümmerte sich Maria Schönebeck, eine Freundin Jauchs, um den jüdischen Jungen. Zwei Jahre und zwei Monate musste Hans Rosenthal im Versteck bleiben, nur so überlebte er den Holocaust.

Was heute weniger bekannt ist: Ida Jauch war tiefgläubige Christin. Sie versteckte den Jungen in ihrer Laube hinter einer Tapetentür in einem winzigen Verschlag, der früher als Hühnerstall gedient hatte. Sie teilte ihre spärlichen Lebensmittel mit ihm. Die „taz“ schrieb einmal über sie: „Wir wissen nicht, wie die Frau ausgesehen hat, die Hans Rosenthal das Leben rettete. Es gibt kein Foto von Ida Jauch. Sie muss eher klein gewesen sein. Und sie war sehr bibeltreu.“ Weiter heißt es: „Ida Jauch war eine unglaublich mutige Frau.“

Auch sie kommt im Spielfilm „Rosenthal“ vor, und ihr Glaube kommt gut zur Geltung. In der TV-Filmbiografie wird Jauch von der Berliner Schauspielerin Rike Eckermann dargestellt. Ida Jauch wurde am 10. Oktober 2015 posthum in Anwesenheit von Rosenthals Angehörigen als Gerechte unter den Völkern geehrt, ebenso wie Maria Schönebeck.

153 Live-Ausgaben von „Dalli Dalli“ machten ihn zum Liebling der Nation

Rosenthal machte nach dem Krieg eine Ausbildung beim Berliner Rundfunk. Dort wurde er zunächst Regieassistent, wechselte dann zur Rundfunkanstalt RIAS, wo er Aufnahmeleiter und dann Unterhaltungsredakteur wurde. Er erarbeitete Rate- und Unterhaltungssendungen, die er auch selbst moderierte, darunter die Quizsendung „Allein gegen alle“.

Seine Sendung „Dalli Dalli“ machte ihn zum Publikumsliebling der Deutschen. Rosenthal moderierte vom 13. Mai 1971 bis zum 11. September 1986 insgesamt 153 Ausgaben der Live-Sendung, in der Prominente in einfachen, fast kindlichen Spielen gegeneinander antraten. Charakteristisch war die Studio-Gestaltung in Waben-Formen sowie der Sprung des Moderators in die Luft bei einer besonderen Leistung eines Kandidaten; dann hieß es: „Sie sind der Meinung, das war spitze!“ Damals technisch beeindruckend: Das Bild fror genau in dem Moment ein, als Rosenthal in der Luft war. Fester Bestandteil der Sendung war zudem der Schnellzeichner Hans Bierbrauer, der nur „Oskar“ genannt wurde. Alles, was damals Rang und Namen hatte, war zu Gast in der Sendung, darunter Thomas Gottschalk, Mike Krüger, Uschi Glas und Judy Winter. Rosenthal war dafür bekannt, immer gute Laune zu haben und mit allen Gästen charmant und respektvoll umzugehen, berichteten später viele.

Foto: ZDF/Ella Knorz
Szene aus dem Die Terminierung von „Dalli-Dalli“ stürzt Hans Rosenthal (Florian Lukas) in einen schweren Konflikt.

Dramatisches Biopic zur besten ZDF-Sendezeit

Zu einer ganz besonderen Episode im Leben Rosenthals wurde die Ausstrahlung der 75. Folge von „Dalli Dalli“. Denn dieses Jubiläum fiel exakt auf den 9. November 1978, den 40. Jahrestag der Reichspogromnacht. An diesem Tag sollte in der Bundesrepublik die erste offizielle Gedenkfeier dazu stattfinden. Bundeskanzler Helmut Schmidt lud Rosenthal als Ehrengast ein, die Jüdische Gemeinde zu Berlin drängte den Moderator nachdrücklich, dort zu erscheinen und die Sendung abzusagen. Doch das ZDF verpflichtete Rosenthal, an diesem Tag wie immer seine unterhaltsame Show abzuwickeln. Auch diesen Aspekt geht der Film „Rosenthal“ bemerkenswert selbstkritisch an.

Die Filmbiografie zeigt die Zerrissenheit Rosenthals sehr anschaulich. „Rosenthal“ fokussiert sich auf diese dramatische Sendung vom 9. November und blendet dabei Original-Aufnahmen ein. Wer die ganze Sendung von damals anschauen möchte, findet auch die ungekürzt in der ZDF-Mediathek. In Rückblenden erzählt der Film zugleich die Geschichte des 17-jährigen Hans, der sich verstecken muss und mindestens einmal von Nazis fast entdeckt wird.

Der Film wurde in Abstimmung mit der Familie Rosenthal, einer Historikerin und dem ZDF-Archivar entwickelt, teilte der Sender mit. Außerdem zeigt das ZDF in der Doku-Reihe „Terra X History“ eine Dokumentation über Rosenthal und seine Geschichte. Hier kommt unter anderem der Comedian Hugo Egon Balder zu Wort, der selbst jüdische Wurzeln hat und ein Nachbar der heutigen Familie Rosenthal ist. Die Geschichte sei fast schon ein wenig verrückt, sagt Balder: „Hans Rosenthal hat weder angeklagt noch Vorwürfe erhoben, noch die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Das ihn zu einem Liebling aller gemacht.“

Innerer Konflikt

„Rosenthal“ ist eine gelungene, äußerst sehenswerte Biografie. Mehr als einmal werden dem Zuschauer sicher Tränen kommen – und das nicht unbedingt speziell in jenen Szenen, die in Form von Rückblicken in der Nazizeit spielen. Rosenthal wird fantastisch glaubwürdig verkörpert vom Schauspieler Florian Lukas („Good Bye Lenin!“, „Absolute Giganten“). Auch die Nebenrollen brillieren, hervorzuheben sei etwa Anatole Taubman als Vorsitzender des Zentralrates der Juden, Elias Gleitmann.

Der Konflikt muss Rosenthal innerlich zerrissen haben. Und in der Tat, seine Gesundheit litt danach. Einerseits fühlte sich der Holocaust-Überlebende dazu verpflichtet, an das Geschehene zwischen 1933 und 1945 zu erinnern; andererseits sah Rosenthal seine Aufgabe darin, „nicht durch Konfrontation, sondern durch Freude am Spiel, durch Höflichkeit, durch Respekt und Menschlichkeit die Leute auf einen anderen Kurs zu bringen“, wie es seine langjährige Assistentin Monika Sundermann im Film sagt. Sie ermahnt Rosenthal, der sogar kurz davor ist, seinen Job hinzuschmeißen: „Daran solltest Du auch jetzt festhalten.“

Die junge Jüdin Rebecca Grodzinski, die sich dafür stark macht, dass im Nachkriegsdeutschland mehr über den Holocaust aufgeklärt wird, konfrontiert Rosenthal mit einem erschütternden Faktum. Der Ausdruck „Dalli-Dalli“ komme aus dem Polnischen, erinnert sie. „Das hat die SS zu den Juden zugerufen, wenn sie aus dem Zug steigen mussten.“ Ist es nicht himmelschreiend geschmacklos, dass ausgerechnet ein jüdischer Repräsentant am 9. November eine Unterhaltungsshow moderiert? Unter diesem Show-Namen?

„Warum lässt unser Herrgott sowas zu?“

Am Ende motivierte dieser Konflikt Rosenthal dazu, sich doch der Öffentlichkeit zu öffnen und seine Biografie zu schreiben. Sie erschien 1980 unter dem Titel „Zwei Leben in Deutschland”. Die Jubiläumsshow moderierte Rosenthal, allerdings in schwarzem Anzug, er ließ Opernarien statt Schlager singen, und er verzichtete auf den „Spitze!”-Sprung. Zum Schluss sagte er zum ersten und einzigen Mal das Datum der Sendung – 9. November.

Ida Jauch, im Film dargestellt von der Schauspielerin Rike Eckermann, ist auch im Film gläubig. Jedenfalls fragt sie verzweifelt: „Warum lässt unser Herrgott sowas zu? Es ist doch unser aller Herrgott.“ Gleichzeitig gibt ihr die Bibel Zuversicht. „Der böse Zauber ist bald vorbei“, ist die überzeugt und blickt auf die Heilige Schrift neben sich.

Auch Moderator Günther Jauch war 1983 zu Gast bei „Dalli Dalli“. Er sagte in einem Interview mit der „Jüdischen Allgemeinen“ anlässlich des 100. Geburtstages Rosenthals: „Im Nachhinein dachte ich mir, er hätte mich eigentlich mal fragen können, ob ich mit dieser Frau verwandt oder verschwägert sei, der Name Jauch ist ja relativ selten in Deutschland. Er schnitt das Thema aber nicht an, weder auf der Bühne noch im persönlichen Gespräch.“ Befragt nach den Gründen für den großen Erfolg Rosenthals sagte Jauch: „Er machte nie Scherze auf Kosten anderer. Die Spiele, die bei ihm in der Sendung stattfanden, waren ja immer so etwas wie ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Da hätte es sich angeboten, die Gäste etwas lächerlich zu machen, sich über sie zu erheben oder auf ihre Kosten Witze zu machen. Das hat er nie gemacht. Das hat sich mir eingeprägt.“

Hans Rosenthal starb am 10. Februar 1987 in Berlin im Alter von 61 Jahren. Nach seinem Tod wurde die nach ihm benannte Stiftung ins Leben gerufen, um Menschen zu unterstützen, die unverschuldet in Not geraten sind. Laut seinem Sohn Gert werden jedes Jahr etwa 40 bis 50 Familien unterstützt, seit Bestehen seien in rund 4.000 Einzelfällen Menschen mit insgesamt 12,2 Millionen Euro unterstützt worden.

Rosenthal präsentierte 1983 einmal die Musiksendung „Noten, die verboten waren”. Darin erinnerte er an Komponisten und Musiker, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden. In der Abmoderation sagt er: „Wir alle können nur hoffen, dass das, was Vergangenheit war, keine Zukunft hat.”

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