Der neu gewählte Deutsche Bundestag ist am Dienstag zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen. Die Abgeordneten haben dabei darüber abgestimmt, wer in den nächsten planmäßig vier Jahren die Sitzungen des Parlaments leitet. Dieses Amt ist in der deutschen Politik höher angesiedelt als das des Kanzlers, auch wenn es nicht so prestigeträchtig ist. Die Präsidentin des Bundestages und ihre Stellvertreter wachen darüber, dass die von den Bürgern gewählten Abgeordneten die Regeln der Debatte einhalten. Das Präsidium muss dafür sorgen, dass das Parlament in einem geordneten Prozess zu seinen Entscheidungen kommt. Dazu gehört es, die Sitzungen unparteiisch und gerecht zu leiten und Kollegen, wenn nötig, zu ermahnen, wenn sie sich nicht an ihre Redezeit halten oder sich daneben benehmen.
Wer ein solches Amt anstrebt, braucht über die Fraktionen hinweg das Vertrauen seiner Kollegen. Einmal im Amt, haben die Mitglieder des Präsidiums es bis zum Ende der Wahlperiode inne – eine Abwahl ist nicht möglich. Die CDU hat die katholische Christin Julia Klöckner dafür vorgeschlagen. 382 von 630 Abgeordneten stimmten für sie – mit 62 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis, das es für dieses Amt bisher gab. Ihre Stellvertreter Andrea Lindholz (CSU), Josephine Ortleb (SPD) und Omid Nouripour (Grüne) fanden mehr Zustimmung bei ihren Kollegen. Bodo Ramelow, den die Linke vorschlug, erreichte die Mehrheit gerade so mit einem Plus von drei Stimmen. Daran zeigt sich: Die Wahl für die Spitzenposten des Parlaments ist nicht nur Formsache. Daran drückt sich Zutrauen, Vertrauen oder Misstrauen aus – und das ist je nach Kandidat unterschiedlich ausgeprägt.
Auch die AfD, zweitstärkste Fraktion im Parlament, schickte mit Gerold Otten einen Kandidaten ins Rennen. Aber er fiel in drei Wahlgängen durch. Wie auch schon alle früheren Kandidaten seit die AfD im Bundestag sitzt. Otten sprach denn auch von einem Tiefpunkt des Parlamentarismus, seine Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla sahen es einmal mehr als Beleg dafür, dass die anderen Fraktionen die AfD ausgrenzen und diskriminieren. Es ist das übliche Opfer-Narrativ der populistischen Partei. Und ja, man kann es so sehen, dass hier eine politische Kraft bewusst blockiert wird, indem die Mehrheit gegen ihre Kandidaten votiert.
AfD braucht die Opfer-Erzählung
Allerdings, wie gesagt, ist dieses Amt eines, für das es überparteilich Vertrauen braucht. Gerade weil Abgeordnete einer Partei dafür unparteiisch handeln müssen. Und da muss sich die AfD selbst fragen, ob sie dieses Vertrauen beanspruchen kann. Es ist doch ihr erklärtes Ziel, die „Altparteien“ zu „jagen“. Das Verhältnis der Partei zu den anderen wurde auch gleich zu Beginn der Sitzung offenbar, als sich der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann zur Geschäftsordnung zu Wort meldete. Gleich mehrmals sprach Baumann, wie es seine Partei gern tut, vom „Machtkartell“ aus Union, SPD und Grünen.
Warum sollten diese dann einem AfD-Vertreter eine unparteiische Sitzungsleitung anvertrauen? Einer Partei, die davon lebt, andere herabzusetzen? Sollte jemand aus der Fraktion, die in der vergangenen Legislatur die meisten Ordnungsrufe erhalten hat, dafür sorgen, dass es in den Debatten gesittet zugeht? Bärbel Bas, Präsidentin des vorigen Bundestags, sprach davon, dass manche AfD-Politiker ihre Ordnungsrufe wie eine Trophäe im Internet präsentierten.
Die Frage lässt sich natürlich auch anders herum stellen: Warum sollten AfD-Politiker den Kandidaten der anderen Parteien ihr Vertrauen aussprechen? Die Stimmenanteile der geheimen Wahl lassen vermuten, dass das Misstrauen auf Gegenseitigkeit beruht. Schließlich fühlt die AfD sich ihrerseits ungerecht behandelt. Das mag hier und da sein. Aber diese Rede davon, immer das unschuldige Opfer zu sein, hat ebenso System wie das Pöbeln gegen die anderen. Es ist das Geschäftsmodell der Partei. Vertrauen wird sie so keines gewinnen. Vielleicht will sie es auch gar nicht, denn gegen wen sollte sie dann wettern?