Berlin ist eine Stadt der Widersprüche. Sie stand sinnbildhaft für die Trennung zwischen Ost und West. Arm und Reich trifft hier vielerorts aufeinander, Subkultur trifft auf Kommerz und fünf Tage nach dem astronomischen Frühlingsanfang wird in Berlin die Weihnachtsgeschichte gepredigt – vor versammelter Politikprominenz.
Denn am Dienstag fand der traditionelle Gottesdienst vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages statt. Dem Ruf der beiden großen Kirchen gefolgt sind Politiker aller Parteien sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, was zur Folge hatte, dass die geschäftstüchtigen Berliner rund um den weiträumig abgesperrten Bebelplatz und die Sankt Hedwig Kathedrale in Berlin-Mitte einen großen Bogen machen mussten – zum Unmut einiger Weniger. Schließlich sind Sperrungen im Regierungsviertel keine Seltenheit.
Die beim nicht öffentlichen Gottesdienst anwesenden Politiker hörten einen Teil der Weihnachtsgeschichte. In seiner Predigt sprach Prälat Karl Jüsten über die Bedeutung des „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ von Maria, als der Engel Maria verkündete, dass sie den Sohn Gottes empfangen solle. Dieses „Ja“ sei vorbildhaft für Verantwortung und Vertrauen – sowohl im persönlichen Leben als auch in der Politik, sagte Jüsten.
Einladung zum Gebet
Marias Bereitschaft, den Willen Gottes anzunehmen, sei „die Geburtsstunde des Christentums“ gewesen. Hätte Maria nicht dem zugestimmt, was Gott ihr zugemutet hat, „wäre Gott nicht als Mensch in die Welt eingetreten“, erklärte Jüsten.
Zwar habe das „Ja“ der Maria einen anderen Charakter als die freiwillige Ausübung des Mandats, doch durch den bei der Vereidigung gesprochenen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“, klinge etwas von der „Bereitschaftserklärung“ Marias an.
In seiner Predigt riet Jüsten zudem den anwesenden Politikern zum Gebet. Bei „zu großen, zu moralisch anspruchsvollen und manchmal heftig kritisierten Taten oder zu schwierigen Entscheidungen“ helfe auch das Gebet um den Beistand Gottes. Die evangelische Prälatin Anne Gidion erklärte, die Kirchen wollten dazu beitragen, Orte zu schaffen, die den Abgeordneten vermitteln, „dass Sie mehr sind als das, was Sie leisten, mehr als die Klicks und der Applaus, mehr als das Amt und der gefüllte Kalender“.
In der erst im November des Vorjahres wiedereröffneten St. Hedwigs Kathedrale erinnerte die Bestuhlung schon an die des Bundestages. Bei den in einem Kreis um den Altar angeordneten Sitzplätze gibt es allerdings keine Einteilung in die Fraktionen – wenngleich trotzdem eine gewisse Grüppchenbildung zu beobachten war. Und auch die hohe Kuppel über dem Kirchenschiff erinnert stark an die des Bundestages. Bleibt nur zu hoffen, dass die bereits kaputte Krypta der Kathedrale kein schlechtes Vorzeichen für die Stabilität der künftigen Regierung ist.