PRO: Herr Häggström, Sie sind Kriminalkommissar und Leiter der Prostitutionseinheit der Stockholmer Polizei. In Ihrem Buch „Auf der Seite der Frauen“ teilen Sie persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse aus Ihrer Polizeiarbeit. Was hat Sie motiviert, ein Buch darüber zu schreiben?
Simon Häggström: Ich habe 2008 als junger Polizist mit der Arbeit gegen Straßenprostitution begonnen. Anfangs gab es nur wenig Ausbildung und Unterstützung in diesem Bereich. Das öffnete mir die Tür zu einer völlig neuen Welt. Denn meine Kollegin und ich begannen nun, hauptberuflich in diesem Bereich zu arbeiten. Die Hauptaufgabe bestand darin, Sexkäufer und Zuhälter auf der Straße zu verhaften. Als ich merkte, wie wenig Menschen über das Thema Prostitution Bescheid wussten, hatte ich den Wunsch, meine Erfahrungen zu teilen. Ein Kollege riet mir, ein Buch zu schreiben, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Ich hatte keine Erfahrung als Autor, aber mit der Unterstützung eines Freundes wurde das Buch schließlich realisiert.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch die emotionalen und körperlichen Auswirkungen Ihrer Arbeit.
Diese Arbeit hat mich verändert. Früher habe ich die Welt schwarz-weiß gesehen, aber jetzt habe ich erkannt, dass es viele Grautöne gibt. Mein Beruf hat mir eine neue Perspektive gegeben und mich dankbarer für das Leben gemacht. Es gibt so viele Dinge, die viele Menschen für selbstverständlich halten. Aber wenn man diesen Job macht und all diese Frauen aus der ganzen Welt trifft, die ausgebeutet werden, dann verändert das einen. Die häufigste Frage, die mir gestellt wird, ist: Wie kannst du in so einer dunklen Welt arbeiten? Natürlich ist es jeder Tag tragisch, aber es gibt auch etwas Gutes daran. Wenn ich mit Hilfe von Sozialdiensten und anderen Organisationen jemandem helfen kann, ein neues Leben zu beginnen, dann ist das großartig. Das gibt mir Energie weiterzumachen.
Hat sich Ihre Meinung über Prostitution und Menschenhandel im Laufe der Jahre geändert?
Früher habe ich nicht verstanden, wie sehr Männer den Menschenhandel finanzieren, indem sie Sex kaufen. Der wahre Grund für den Menschenhandel ist die Nachfrage nach bezahltem Sex. Wenn es diese Nachfrage nicht gäbe, dann gäbe es auch keinen Menschenhandel. Wir müssen uns nicht nur auf die Menschenhändler konzentrieren, sondern auch auf die Käufer. Solange wir nichts gegen die Millionen von Männern unternehmen, die weltweit bereit sind, für Sex zu bezahlen, werden wir das Problem des Menschenhandels nie lösen können.
Wie beurteilen Sie die Einstellung der Gesellschaft gegenüber den Freiern? Gibt es ein ausreichendes Bewusstsein dafür, dass sie Teil des Problems sind?
In Schweden ist es vielen Menschen mittlerweile klar, dass der Kauf von Sex die Kriminalität fördert. In Deutschland hingegen wird das Thema noch kontrovers diskutiert. Es ist wichtig, das Bewusstsein zu schärfen und den Zusammenhang zwischen Sexkauf und Organisierter Kriminalität zu erklären. Dafür wird es Zeit brauchen, bis das nötige Wissen vorhanden ist – übrigens auch in der Politik, um dann die Gesetzte entsprechend zu ändern und Sexkauf zu verbieten.
Das „Nordische Modell“ für Prostitution
Das „Nordische Modell“ basiert im Kern auf einem Verbot des Sexkaufs, bei dem jedoch nicht die Prostituierten, sondern die Käufer von sexuellen Dienstleistungen strafrechtlich verfolgt werden. Da den Prostituierten keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen, können sie verstärkt von Hilfsangeboten und Ausstiegsprogrammen Gebrauch machen. Dieses Modell, das 1999 in Schweden eingeführt wurde, hat sich seitdem in weiteren nordischen Ländern wie Norwegen und Island etabliert und wird auch international zunehmend diskutiert.
In Ihrem Buch erzählen Sie Geschichten von Frauen, die oft durch Armut oder andere äußere Umstände in die Prostitution gezwungen wurden. Was kann getan werden, um diese Frauen besser zu unterstützen und den Kreislauf der Ausbeutung zu durchbrechen?
Um Frauen zu helfen, aus der Prostitution herauszukommen, ist es wichtig, ihnen nicht nur Freiheit vor strafrechtlicher Verfolgung, sondern auch soziale Hilfe anzubieten. Es gibt kaum eine Frau mit einem guten Leben, mit Geld auf dem Konto und einer liebevollen Familie, die ohne Missbrauch jemals in der Prostitution landen würde. Es gibt immer einen Grund: Armut, Sucht, sexueller Missbrauch und so weiter. Das heißt, wenn wir die Sexkäufer und Zuhälter strafrechtlich verfolgen, müssen wir auch betroffenen Frauen Möglichkeiten, Hilfe und Unterstützung anbieten, um auszusteigen und ihr Leben zu ändern. Jede Frau braucht individuelle Hilfe, sei es durch Rehabilitationsprogramme, Bildungsangebote oder generelle Unterstützung, um ihre Lebenssituation zu verbessern.
Sie beschreiben im Buch auch, wie schwierig es ist, ständig mit Leid konfrontiert sein. Wie hat diese Arbeit Ihren Blick auf die Menschlichkeit und auf die guten Dinge im Leben verändert?
Die Arbeit hat mir oft Angst gemacht. Ich traf viele Männer aus angesehenen Berufen, die in Prostitution verwickelt waren. Es fiel mir schwer, anderen zu vertrauen, weil ich mich ständig fragte, was sich hinter der Fassade verbirgt. Aber um nicht zynisch zu werden, versuche ich, Menschen grundsätzlich empathisch zu begegnen.

Simon Häggström: „Auf der Seite der Frauen“, Edition Wortschatz, 420 Seiten, 20 Euro
Wie hat sich die Arbeit gegen Menschenhandel und Prostitution in Schweden in den letzten Jahren entwickelt?
Es gibt Fortschritte, aber es gibt immer noch Herausforderungen. Das nordische Modell findet immer mehr Unterstützung, sowohl bei der Polizei als auch in der Gesellschaft. Es ist nicht mehr umstritten, Sexkauf zu verurteilen, so wie es früher der Fall war.
Was können andere Länder im Umgang mit Menschenhandel und Prostitution von Schweden und dem „Nordischen Modell“ lernen?
Schweden war 1999 das erste Land, das das Nordische Modell eingeführt hat, und viele andere Länder sind unserem Beispiel gefolgt. Das Modell basiert auf der Gleichstellung der Geschlechter und der Erkenntnis, dass Prostitution schädlich für die Gesellschaft ist. In Ländern wie Deutschland, in denen junge Männer aufwachsen und glauben, dass sie für Sex genauso bezahlen können wie für einen Hamburger bei McDonald’s, hat das Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung von Frauen. Wenn Frauen als Objekte betrachtet werden, betrifft das alle Frauen in der Gesellschaft.
Vielen Dank für das Gespräch!