Rezension

Einsamkeit: das stille Problem der modernen Welt

In „Einsamkeit, die stille Gefährtin“ setzt sich Stephanie Hecke mit den emotionalen Auswirkungen von Einsamkeit auseinander. Sie fordert eine stärkere Verantwortung für Bedürftige und zeigt den Glauben als Kraftquelle in Zeiten der Einsamkeit.
Von Petra Kakyire
Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Problem in ganz Europa

Die evangelische Theologin Stephanie Hecke eröffnet in ihrem Buch „Einsamkeit, die stille Gefährtin“ einen ehrlichen und oft unbequemen Dialog über ein Thema, über das in unserer Gesellschaft wenig gesprochen wird, obwohl es viele betrifft: die Einsamkeit.

Sie beginnt mit einer Feststellung, die für viele Menschen gelte: „Wir schämen uns für das Gefühl, einsam zu sein.“ Sie spricht von seelischen Kämpfen, die geprägt sind von Angst und Scham, die Menschen in sich trügen. Das Gefühl, außen vor zu bleiben, während andere scheinbar mühelos Beziehungen aufbauen, Freundschaften pflegen oder Partnerschaften eingehen, hinterlasse bei vielen ein quälendes Gefühl der Unzulänglichkeit. Einsamkeit wecke den tiefen Wunsch, „dazuzugehören, gesehen zu werden, geschätzt zu werden, geliebt zu werden“, heißt es in dem Buch. Die Autorin, Expertin für Diakoniewissenschaft, unterscheidet zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Sie macht deutlich, dass Einsamkeit nicht zwangsläufig mit dem Fehlen von Gesellschaft verbunden ist.

„Einsamkeit ist viel mehr als die Abwesenheit anderer Menschen. Denn das Alleinsein kann man wollen. Anders verhält es sich mit der Einsamkeit: Einsam wird man“, schreibt Hecke. Sie geht weiter und nennt die Einsamkeit ein „Alarmsignal“ der Seele. „Sie erinnert uns daran, dass wir ohne die Nähe und Wärme anderer Menschen nicht wirklich leben können“, sagt sie. Je weniger der Mensch in Beziehungen zu anderen Menschen ist, und sich diesen zugehörig fühlt, desto mehr fühle dieser Mensch sich einsam, erklärt die Autorin.

Die Folgen der Einsamkeit spüre der Mensch als Leere in der Seele. Dabei leide nicht nur das emotionale Wohlbefinden, sondern auch der Körper. Sie verweist dabei auf Studien, die zeigten, dass chronische Einsamkeit ähnlich schädlich für die Gesundheit sein kann wie Rauchen oder starkes Übergewicht. „Sie schwächt das Immunsystem, erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und kann im schlimmsten Fall sogar unser Leben verkürzen“, schreibt Hecke.

Armut ist ein soziales Konstrukt

Die Autorin stellt in ihrem Buch auch einen Zusammenhang zwischen dem Thema Armut und Einsamkeit her. „Armut bringt daher nicht nur finanzielle Probleme mit sich, sondern geht häufig auch Hand in Hand mit Einsamkeit“, schreibt die Autorin. Darüber hinaus sei Armut auch mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit verbunden. Diese sei auch in der christlichen Tradition verwurzelt.

Die biblische Perspektive, die in der Tora und den Propheten klar formuliert sei, spreche sich eindeutig für den Schutz der Armen aus. Hecke verweist auf die Tora, die schon damals umfassende Sozialgesetze zum Schutz der Armen, Witwen, Waisen und Fremden und zur Verhinderung von Armut aufstellte. Die Autorin kommt zu dem Schluss: „Weil Gott selbst die Armen beschützt, sollen auch die Menschen fürsorglich mit denjenigen umgehen, die in Not geraten sind.“

Foto: adeo Verlag

Stephanie Hecke: „Die stille Gefährtin“, adeo, 224 Seiten, 20 Euro

Sozialer Status, Geschlecht, Herkunft, Zugang zu Bildung und Arbeit seien nach wie vor entscheidende Faktoren, die über Armut und Wohlstand entscheiden. Die biblischen Gebote, die von der Gesellschaft verlangen, sich der Bedürftigen anzunehmen, seien heute so relevant wie damals.

Gott als Kraftquelle in Zeiten der Einsamkeit

Die Autorin erklärt, dass der Glaube an Gott in Zeiten der Einsamkeit eine wichtige Quelle des Trostes und der Kraft sein kann. „Ich glaube an einen liebenden Gott, der mich sieht und bei mir ist. Das gibt mir jeden Tag neue Kraft“, erklärt Hecke. Glaube solle die Einsamkeit nicht leugnen oder schönreden. Der Glaube könne die Einsamkeit auch nicht einfach wegzaubern. Vielmehr eröffne er eine neue Perspektive, Einsamkeit nicht als Defizit, sondern als Teil unserer menschlichen Erfahrung zu begreifen.

Gerade in Krisenzeiten und Zeiten der Einsamkeit sei die Beziehung zu Gott eine wichtige Kraftquelle im Alltag. „In der Einsamkeit beginnt oft ein Ringen – eine Suche nach Sinn, nach Antworten, nach dem Warum“, schreibt sie. Die Sinnsuche könne eine Einladung sein, Gott mit in den Prozess einzubeziehen und somit seine Begleitung zu spüren. In diesem Zusammenhang nennt die Autorin einen Vers aus den Psalmen: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ (Psalm 23,4).

Das Buch „Die Stille Gefährtin“ zeigt in einer Zeit, in der die Gesellschaft zunehmend vom Individualismus geprägt ist, die Notwendigkeit auf, Einsamkeit als gesellschaftliches und persönliches Problem ernst zu nehmen. Die Autorin lädt dazu ein, die stillen Begleiter in der Einsamkeit nicht nur zu erkennen, sondern auch aktiv nach Wegen der Heilung und der Begegnung zu suchen. Sie inspiriert auch dazu, Gott als Kraftquelle und Begleitung im Zustand der Einsamkeit zu sehen.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen