Microsoft-Gründer Bill Gates führte jahrelang die Liste der reichsten Menschen dieses Planeten an. Inzwischen rangiert er mit etwa 128 Milliarden US-Dollar jenseits von Platz 15. Längst ist er vor allem als Philanthrop bekannt, der sogar andere Milliardäre in dem viel beachteten „Giving Pledge” (dem „Geber-Versprechen”) dazu brachte, es ihm gleich zu tun und die Hälfte ihres Vermögens wohltätigen Zwecken zur Verfügung zu stellen.
Mit seiner ehemaligen Ehefrau Melinda gründete Gates 1999 eine Stiftung und konzentrierte sich auf Hilfsstrategien in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Wasser, Hygiene, Finanzdienstleistungen und Bildung weltweit.
Ist dieser Mann fromm? Es heißt, er pflege einen katholischen Glauben. Vor zehn Jahren sagte er in einem Interview, er besuche mit seiner Familie regelmäßig eine katholische Kirchengemeinde. „Ich habe viel Glück gehabt, und deshalb habe ich die Pflicht, zu versuchen, die Ungleichheit in der Welt zu verringern”, sagte Gates damals gegenüber dem „Rolling Stone Magazine”. Das sei für ihn auch eine Konsequenz eines religiösen Glaubens: „Es ergibt Sinn, an Gott zu glauben.“ Bringt die neue Autobiografie, die Gates nun veröffentlichte, hier Licht ins Dunkel?
„Christliche Wissenschaft” der Oma
Eines kann man nach der Lektüre von „Source Code. Meine Anfänge” – auf Deutsch nun im Verlag Piper erschienen – feststellen: Gates wuchs in einer intakten Familie mit viel Liebe auf. Seine Eltern unterstützen ihn schon früh in seiner schier unermesslichen Wissbegier. Und sie vermittelte ihm einen moralischen Kompass, den Gates auch als milliardenschwerer Unternehmer beibehalten sollte.
So braucht es in dem 384 Seiten starken Buch keine 20 Seiten, bis es bereits um den Glauben geht. Seine Großmutter mütterlicherseits, genannt Gami, hatte großen Einfluss auf ihn. Sie spielte nicht nur viel mit dem kleinen Bill Karten, sie vermittelte ihm auch grundlegende Werte. Und die fußten auf den Überzeugungen der „Christlichen Wissenschaft” (Christian Science), der Gami angehörte – eine Glaubensbewegung, die in der Verbindung aus Religion und Wissenschaft das Heil sieht und sich auch in weiteren wesentlichen Punkten vom Christentum unterscheidet. „Die Eltern meiner Mutter teilten die Überzeugung, dass die wahre Identität eines Menschen im Spirituellen und nicht im Materiellen zu finden sei”, schreibt Gates. Allerdings habe die „Christliche Wissenschaft” in seiner Familie ansonsten keine große Rolle gespielt.
Gates stellt jedoch in Bezug auf seine Großmutter, die in der Bibel las, fest: „Wahrscheinlich trug ihr Glaube dazu bei, dass sie so starke Prinzipien an den Tag legte. Schon damals konnte ich erkennen, dass Gami strenge persönliche Anforderungen in Bezug auf Fairness, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit hatte.” Ein gutes Leben sei für sie ein einfaches Leben gewesen, „in dem man seinen Mitmenschen Zeit und Geld schenkte und vor allem auch seinen Verstand benutzte und sich mit der Welt beschäftigte”. Seine Großmutter habe „nie die Beherrschung” verloren, „sie tratschte und kritisierte nicht. Sie war zu keiner Hinterlist fähig”.
In der Glaubensrichtung der „Christlichen Wissenschaft” gehe es „vor allem um Struktur und Disziplin”, erklärt Gates. Und diese Kerntugenden scheint er zu einem großen Teil durch die vielen Stunden mit seiner Großmutter verinnerlicht zu haben.
„Man sollte ein guter Treuhänder sein”
Tatsächlich ist Gates nicht dafür bekannt, sein Geld für egoistischen Luxus auszugeben, sondern für andere Nützliches damit zu tun. Anders als Apple-Gründer Steve Jobs umgab Gates auch nie die Aura eines Rockstars, eher die eines fleißigen Beamten. Die Autobiografie bestätigt: Gates wurde der reichste Mann der Welt durch sehr viel Arbeit, unglaublichen Ehrgeiz und viele Nächte ohne Schlaf, nicht nur selbstbewusstes Auftreten, Charisma oder besonders viel Glück.
Seine Mutter brachte Struktur in die Familie, schreibt Gates, mit „Routinen, Traditionen und Regeln”. „Ihre Gebote, die ich meine ganze Jugend über immer wieder hörte, habe ich inzwischen verinnerlicht.” Die Kurzfassung der Philosophie seiner Mutter” laute: „Man sollte ein guter Treuhänder sein.”
Im Buch geht es insgesamt sehr technisch zu – auch wenn es der Verlag ein wenig anders angekündigt hat. Die Jugend des Nerds Bill Gates bestand aus Computer-Faszination, den ersten Mikrochips, den ersten Computerspielen und dem ersten Internet (Arpanet). Mädchen tauchen in diesem Buch quasi nicht auf, und wer hofft, etwas über das Kennenlernen mit seiner späteren Ehefrau Melinda zu erfahren, wird enttäuscht. Der Leser erfährt etwas über den langen, beschwerlichen, und durchaus faszinierenden Weg hin zu Gründung von Microsoft. (Und ja, auch Steve Jobs und dessen Unternehmen Apple werden erwähnt.) Doch nichts über den heutigen Bill Gates, seine Stiftung oder die „Giving Pledge”.
Bibel-Studium wie Programmieren
Gates besuchte regelmäßig die Kirche, ging zur Sonntagsschule und wurde konfirmiert. Über seine 2.000 Mitglieder umfassende Gemeinde in Seattle schreibt er: „Pastor Turner war eher liberal und kombinierte die Heilige Schrift mit progressiven Ansichten, er unterstützte die Rechte von Homosexuellen und die Bürgerrechtsbewegung. Er wurde ein enger Freund meiner Eltern.” Und weil dieser Pastor jedem Kind versprach, ihm ein Essen auszugeben, wenn es die Bergpredigt auswendig aufsagen kann, lernte Gates die Bergpredigt auswendig.
„Ich saß auf dem Rücksitz im Auto bei einem Familienausflug an die Küste Washingtons mit der Bibel auf dem Schoß und lernte ‚Selig sind die, die da geistig arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer …‘ und den Rest der Morallehren Christi im Matthäusevangelium.” Gates gewann das Abendessen. Der Milliardär schreibt weiter: „Einen Teil von Jesu Botschaft habe ich verinnerlicht, aber vor allem wollte ich mit dieser Übung herausfinden, ob mein Gehirn diese Aufgabe schaffte.”
Als einmal das Computer-Labor seiner Schule geschlossen wurde, brauchte der junge Gates Ersatz für die plötzlich frei gewordene Zeit. Er beschloss, das Neue Testament zu lesen. Und das ging er dann genau so an wie das Programmieren: „Ich war mir über meinen Glauben immer noch nicht ganz sicher, also las ich – wie jedes Mal, wenn ich etwas herausfinden wollte. Ich rechnete mir aus, dass ich bei fünf Kapiteln pro Abend in 50,4 Tagen den Rest der 252 Kapitel des Neuen Testaments, die ich noch nicht gelesen hatte, schaffen würde. Da ich etwas früher fertig war, las ich auch noch Bücher über das Christentum.”
Im Epilog blickt Gates zurück und erkennt die Privilegien an, die er genießen durfte (als weißer Mann in einem wohlhabenden Land geboren worden zu sein, zum Beispiel). Dann schreibt er: „Es war meine Mutter, die mich regelmäßig daran erinnerte, dass ich nur ein Verwalter des Reichtums war, den ich erwarb. Mit dem Reichtum kommt auch die Verantwortung, ihn zu verschenken, sagte sie mir immer.” Dann fügt er hinzu: „Ich bedaure, dass meine Mutter nicht lange genug gelebt hat, um zu sehen, wie sehr ich versucht habe, dieser Erwartung gerecht zu werden.”

Bill Gates: „Source Code. Meine Anfänge”, Verlag Piper, 384 Seiten, erschienen am 4. Februar 2025, 24 Euro, ISBN: 978-3492073110