Ein Fünftel bis fast ein Drittel der Deutschen sind ansprechbar für Verschwörungsnarrative. Das geht aus dem aktuellen Religionsmonitor hervor, den die Bertelsmann-Stiftung am Donnerstag veröffentlicht hat. Zudem ist das Misstrauen der Bevölkerung in die Politik gewachsen. Diese Entwicklung sehen die Autoren der Studie als großen Risikofaktor.
Demnach hielten es im vergangenen Jahr 28 Prozent der Deutschen für wahrscheinlich, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf die Politik ausüben. Der Wert lag zwei Jahre zuvor noch bei 33 Prozent. 17 Prozent halten es für gut möglich, dass der Staat alle Bürger genau überwacht.
Laut aktueller Zahlen sind Verschwörungsanfällige eher antisemitisch, antimuslimisch und politisch rechts eingestellt. 34 Prozent der Anfälligen haben eine deutlich ausgeprägte antisemitische Haltung, während es unter Verschwörungsfundamentalisten sogar 57 Prozent sind. Zum Vergleich dazu liegt der Wert in der gesamten Bevölkerung bei 19 Prozent.
Verschwörungsanfällige haben hohes Ungerechtigkeitsempfinden
In der gesamten Bevölkerung misstrauen sechs Prozent der Wissenschaft, bei Verschwörungsanfälligen sind es dreimal so viele (18 Prozent). 56 Prozent der Verschwörungsanfälligen drücken ein allgemeines Empfinden von Ungerechtigkeit aus, in der Gesamtbevölkerung sind es 40 Prozent. Muslime sind in dieser Gruppe überrepräsentiert, während evangelische Christen unter ihnen seltener zu finden sind.
Im Herbst 2024 fühlte sich fast jeder zweite Deutsche im Stich gelassen (49 Prozent) und hatte das Gefühl, dass sich kaum jemand um seine Probleme kümmert. Im internationalen Vergleich sind die Länder besonders anfällig für Verschwörungsglauben, in denen der Katholizismus stark ist. Spanien rangiert vor Polen (43, beziehungsweise 41 Prozent). In Deutschland liegt der Anteil bei 21 Prozent.
Ein Faktor für politisches Misstrauen scheint die Sozialisation in Ostdeutschland zu sein. Viele Ostdeutsche fühlten sich gegenüber Westdeutschen benachteiligt. Dazu kommen erlebte Krisen, enttäuschte Erwartungen und empfundene Benachteiligungen. Um dies zu verbessern, schlagen die Autoren vor, über Desinformation in den sozialen Medien aufzuklären.
Religionsgemeinschaften haben eine Schlüsselrolle
Eine wichtige Rolle könnten die Religionsgemeinschaften einnehmen, indem sie helfen, Brücken zu bauen. In der Pandemie hätten die Kirchen gängigen Verschwörungsnarrativen ausdrücklich widersprochen. Für die Autoren der Studie ist Religion daher unter den richtigen Umständen eine wichtige Ressource im Kampf gegen „spaltende Tendenzen und für den Zusammenhalt“. Gemeinden, die Dialog und Selbstreflexion förderten, könnten vor Verschwörungsglauben schützen.
Auch Politiker könnten das Vertrauen in den politischen Prozess durch transparente und offene Debatten stärken. Ziel müsse es sein, das verhältnismäßig hohe Niveau an Vertrauen in die Wissenschaft langfristig aufrechtzuerhalten. Weiterhin sei es wichtig, über den Islam aufzuklären, Wissen zu vermitteln und Vorurteile abzubauen, erklären die Studienmacher. Die zurückgehenden Zahlen seien noch kein Grund zur Entwarnung. Durch tiefgreifende Krisen könnte das Risikopotenzial wieder aktiviert werden.
Die Ergebnisse der Studie „Verschwörungsglaube als Gefahr für Demokratie und Zusammenhalt. Erklärungsansätze und Prävention“ basieren laut Stiftung auf den Daten des Religionsmonitors vom Juli 2022 sowie auf einer Nacherhebung im September 2024. Dabei befragte Forsa mehr als 3.000 Erwachsene in Deutschland. Für den Religionsmonitor 2023 hatte das Sozialforschungsinstitut Infas in Deutschland 4.363 Menschen befragt.