Eine der letzten Sitzungswochen dieser Legislaturperiode endet mit einer bitteren Erkenntnis: Die demokratische Mitte ist nicht in der Lage, eine gemeinsame Mehrheit für die Lösung drängender Probleme zu finden.
Die Probleme der Migration liegen nicht erst seit den jüngsten Messermorden auf der Hand. Landräte und Bürgermeister, von Grünen über SPD bis zur CDU, schlagen seit Monaten Alarm: Wir schaffen es nicht mehr.
Der Migrationsforscher Daniel Thym hat jüngst in einem Podcast mit dem „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer analysiert, warum Deutschland trotz besten Absichten von Migration überfordert ist, was auch linke Politiker mehr und mehr so erkennen. Demnach funktioniert das rechtsstaatliche System der Einzelfallprüfungen nur bis zu einer bestimmten Grenze. 10.000, 30.000 oder vielleicht auch 50.000 Asylverfahren könnten die Behörden noch bearbeiten. Aber wenn über einen langen Zeitraum mehr als 100.000 Menschen hier Asylanträge stellen, ist das System überfordert.
Es gibt reale Probleme
Dazu kommen fehlende Behandlungsplätze für psychisch kranke Menschen, fehlende Arbeitsmöglichkeiten, mangelnde Befugnisse der Bundespolizei. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass es fast ausgeschlossen ist, dass ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden.
Die Folgen schlagen sich täglich auf den Straßen und in den Kriminalitätsstatistiken nieder.
Die Aufgabe demokratischer Parteien muss sein, diese Probleme wahrzunehmen und zu lösen. Das verlangt der Wähler von ihnen. Doch als Unionsfraktionschef Friedrich Merz am Freitag im Deutschen Bundestag unter anderem darauf hinwies, dass es täglich Gruppenvergewaltigungen gebe, erntete er aus den Reihen von SPD und Grünen Hohn und Spott dafür.
Ein Blick auf die Fakten zeigt: 2023 wurden 761 Gruppenvergewaltigungen angezeigt (davon 48 Prozent nichtdeutsche Tatverdächtige), 2022 waren es 789 (davon 50 Prozent nichtdeutsche Tatverdächtige), die Vorjahre zeigen ähnliche Zahlen. Wie können ausgerechnet feministische Parteien die Nennung solcher Fakten mit Gejohle kommentieren, statt alles zu tun, um Frauen zu schützen?
Was Unionsfraktionschef Friedrich Merz im Bundestag zur Abstimmung gestellt hat, war keine asylpolitische Revolution, wenn auch eine Verschärfung der Migrationspolitik:
- Das Wort „Begrenzung“ im Blick auf den Zuzug von Ausländern sollte als Ziel wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden. Noch 2023 stand es dort, bis die Ampel es strich.
- Der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige soll ausgesetzt werden. Das betrifft Menschen ohne Asylanspruch, die aber andere triftige Gründe haben, warum ihnen in ihrem Heimatland Schaden droht. Zwischen 2016 und 2018 hatte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD diesen Familiennachzug bereits ausgesetzt.
- Außerdem soll die Bundespolizei mehr Befugnisse bekommen. Das sind laut „Tagesschau“ 5.700 Bahnhöfe, für die sie mit zuständig ist. Sie sollen „künftig selbst Anträge auf Haft und Gewahrsam stellen können, um die Abschiebung nicht aufenthaltsberechtigter Ausländer zu gewährleisten“. Bisher muss sich die Bundespolizei dazu an die jeweilige Landespolizei wenden.
Die ersten beiden Punkte waren bereits geltendes Recht, der dritte Punkt findet sich sogar in einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. Auch SPD- und Grünenpolitiker haben mitgestimmt. Warum können sie es jetzt nicht mehr?
Linksradikale besetzen CDU-Zentralen
Dass sich SPD und Grüne diesen Punkten in pathetischen Reden verweigert haben, zeigt, dass es ihnen in dieser Woche nicht um die Sache ging und sie keine schnellen und sinnvollen Lösungen wollten. Natürlich hätte das „Zustrombegrenzungsgesetz“ längst nicht alle Probleme gelöst. Aber es wäre zumindest ein Anfang gewesen.
Vielmehr ging es Rot-Grün um die Form, und die war in der Tat kritikwürdig. Merz hatte nach der Ermordung eines zweijährigen Jungen marokkanischer Herkunft und eines 41-jährigen Helfers in Aschaffenburg angekündigt, sein Gesetz – das im Innenausschuss schon rauf- und runterdiskutiert wurde – zur Abstimmung zu stellen, egal wer mitstimme, AfD und BSW eingeschlossen. Das kann man kritisch sehen und verurteilen. Doch die Reaktionen darauf ließen jedes Maß vermissen. Es drohe ein neues 1933, Merz wolle mit Rechtsextremisten „paktieren“ – als stünde die Republik kurz vor dem Untergang, hieß es im Bundestag und auf Social Media.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Freitag in Richtung Union gar: „Der Sündenfall wird Sie für immer begleiten. Aber das Tor zur Hölle, ja ich sage es, können wir noch gemeinsam schließen. Sie müssen die Brandmauer wieder hochziehen. Kehren Sie zurück in die Mitte der Demokratie.“ CSU-Mann Alexander Dobrindt konterte: „Wenn Sie‘s schon mit Himmel und Hölle hier so ernst nehmen, gebe ich Ihnen Jakobus mit auf den Weg: Wer das Richtige tun kann und es nicht tut, der versündigt sich.“
Die Folgen der verbalen Ausfälle zeigten sich schnell in Taten. Linke machten mobil gegen die Union, demonstrierten für ein Verbot von AfD und CDU, rissen Plakate ab. In Berlin bat die Polizei die Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Hauses, das Gebäude aus Sicherheitsgründen zu verlassen. In Hannover besetzten Linksradikale die CDU-Zentrale, die Mitarbeiter schlossen sich in ihren Büros ein und warteten auf die Polizei.
Der grüne Vizekanzler Robert Habeck sagte, man könne mit ihnen ja über alles diskutieren, aber nicht unter Erpressung. Damit hatte er einen Punkt. Denn wenn man will, dass der politische Gegner mitstimmt, muss man vorher miteinander reden. Oder wenigstens Gespräche anbieten. Merz hat das vor dem entscheidenden Freitag getan. Wie kompromissbereit er dabei gewesen ist, ist allerdings nicht öffentlich bekannt. SPD und Grüne wollten das aber offensichtlich nicht. Also ließen sie es darauf ankommen.
Nun herrscht Klarheit
Die FDP bot in letzter Minute an, das Gesetz wieder in den Innenausschuss zu verweisen. Mit dem Ziel, dass es dort in Ruhe noch einmal diskutiert und ergänzt werden kann. Damit gab es auch keine „Erpressung“ mehr. Bedingung: Es soll noch vor der Wahl am 23. Februar zur Abstimmung kommen. Doch SPD, Grüne, FDP und Union konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Die dafür kursierenden Gründe widersprechen einander.
Man kann vieles an dieser Woche lebhaft debattieren. Doch etwas Gutes hat sie gezeigt: Dass es wieder ganz klare inhaltliche Unterschiede gibt, die die etablierten Parteien unterscheiden. Zuvor hatten viele den Eindruck, der Bundestag bestehe aus AfD und Nicht-AfD. Den Eindruck hat Friedrich Merz in dieser Woche korrigiert.
Im Bundestag gibt es aktuell drei klare Blöcke: Rot-grün, Schwarz-Gelb und die AfD. Zwischen ihnen kann sich der Wähler entscheiden. Wenn die Union nicht „ihre Seele verkauft“ (Merz), wird sie nicht mit der AfD koalieren, sich auch nicht in einer Minderheitsregierung von ihr tolerieren lassen. Das bedeutet: Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für die Regierungsbeteiligung einer linken Partei.
Die Union wird nach der Bundestagswahl höchstwahrscheinlich auf die Grünen oder die SPD angewiesen sein, wenn es für sie und die FDP nicht noch steil in den Umfragen nach oben geht. Die Demokraten müssen also gesprächsbereit bleiben. Es ist zu hoffen, dass das auch nach dieser erhellenden Woche so ist.
Bis dahin sind alle gut beraten, einmal tief durchzuatmen. Und sich dann um die realen Probleme zu kümmern.