Der Gott der Schrittgeschwindigkeit

Wir verschwenden zu viel Zeit vor Bildschirmen. Diese Erkenntnis brachte den christlichen Bestsellerautor Carlos Whittaker dazu, ein Experiment durchzuführen. Über seine zwei Monate „digitales Detox“ schrieb er ein Buch.
Von Jörn Schumacher

„Die durchschnittliche Zeit, die ein Amerikaner vor dem Einschlafen mit dem Scrollen auf einem Handy verbringt, beträgt 35 Minuten. Nach dem Aufwachen sind es 30 Minuten.“ Der christliche Bestsellerautor Carlos Whittaker begann durchzurechnen, wie viel Lebenszeit er selbst vor irgendwelchen Bildschirmen verbringt und war entsetzt. Er beschloss eine radikale Kur: zwei Monate ohne Handy, Laptop, Fernseher oder sonstige Bildschirme.

Sein eigenes Smartphone teilte ihm mit, wie viel Zeit er wieder einmal damit verbracht hatte. „Ich hatte durchschnittlich sieben Stunden und 23 Minuten pro Tag mit meinem Handy verbracht“, sagt Whittaker im christlichen Podcast „Nothing is Wasted Ministries“. Zusammengerechnet seien das 49 Stunden pro Woche, und im ganzen Jahr über drei Monate. „Wenn ich 85 Jahre alt werde, werde ich über elf Jahre meines Lebens mit dem Handy verbracht haben“, sagte der Amerikaner. „Das kann nicht richtig sein.“

Der christliche Influencer, der bereits sechs Bücher geschrieben hat, lebt selbst vom Internet. Er betreibt einen Podcast, sein Youtube-Kanal hat 22.500 Abonnenten, auf Instagram hat er 314.000 Follower. Whittaker, der mit seiner Frau und drei Kindern in Nashville, Tennessee, lebt, kam zu dem Schluss: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen zwar besser vernetzt sind, als je zuvor, aber gleichzeitig wird das Gefühl immer größer, allein zu sein. Er beschloss, zwei Monate ohne Bildschirme auskommen.

Körperliche Entzugserscheinungen

Im Sommer 2022 verbrachte er sieben Wochen völlig ohne Bildschirme. Um das besser durchzustehen, begab er sich in ein entsprechendes Umfeld. Zunächst lebte er bei 20 Benediktinermönchen in der „Saint Andrews Abbey“ in Südkalifornien, die 23 Stunden am Tag schweigen. Dort betete er sechsmal am Tag. Eine der ersten Sachen, die ihm dabei klar wurde, war, dass Menschen Wesen aus Körper, Seele und Geist sind. „Wir wurden nicht dafür erschaffen, all die Inhalte in dieser Masse zu konsumieren, wie wir es inzwischen tun“, sagte Whittaker im Podcast „Nothing is Wasted Ministries“.

Sein Experiment sei diesbezüglich vergleichbar mit einem Abbremsen „von 1.000 km/h auf 6 km/h“. „Es war wie ein Detox für meinen Körper!“ Entsprechend habe er regelrecht Entzugserscheinungen gehabt, inklusive Schlaflosigkeit und Schweißausbrüchen. „An Tag vier fühlte ich mich endlich wie gereinigt.“ Mit den Mönchen habe sich seine neue Geschwindigkeit wie sechs Kilometer pro Stunde angefühlt, die durchschnittliche Schrittgeschwindigkeit eines Menschen. Danach zog er für einen Monat auf eine Schaffarm von Amish in Ohio.

Er habe es aushalten müssen, mit seinen Gedanken allein zu sein, sagte Whittaker im Interview mit der christlichen Podcasterin Annie F. Downs. „Ich hatte auf einmal nicht mehr den ständigen Strom an Podcasts, Videos, Audiobüchern und Predigten um mich herum. Gott wurde dadurch größer, anstatt kleiner. Die Bildschirme machen Gott am Ende kleiner und nicht größer. Ich wünsche mir viel mehr, dass die Leute mehr Fragen stellen, als dass ich versuche, Antworten zu geben. Gott kann jede Frage beantworten.“

Schon immer hätten Menschen auf diesem Planeten Zeiten der Einsamkeit erfahren – ob gewollt oder ungewollt. „Diese Zeiten gibt es kaum noch“, so Whittaker. Er habe verstanden, warum das Leben der Mönche insgesamt langsamer abläuft. „Jesus lief sehr viel in seinem Leben“, so der Podcast, „man kann sagen, sein Dienst spielte sich in Schrittgeschwindigkeit ab!“ Christliche Gemeinden, die gefühlt ein Tempo von 100 km/h an den Tag legten, verpassten das Wort Gottes dabei vielleicht.

„Die Welt auf dieser Seite des Bildschirms ist schön!“

In der bekannten amerikanischen ABC-Fernsehsendung „Good Morning America“ berichtete der Influencer, dass er sein Gehirn vor und nach dem Experiment habe scannen lassen. Ohne näher darauf einzugehen, sagte er, dies habe gezeigt, wie sich der Zustand seines Kleinhirns verbessert habe. Auch seine Erinnerungsfähigkeit sei messbar angestiegen.

Auch nach dem siebenwöchigen Experiment stelle er mittlerweile die Benachrichtigung seines Smartphones auf stumm. „Ich fokussiere mich vollständig auf die Menschen, mit denen ich spreche.“ Eine weitere Sache, die er aus dieser Zeit mitgenommen habe, sei, das GPS seines Handys auszuschalten und sich nur noch ohne die digitale Hilfe zu orientieren. „Klar, ich verlaufe mich ab und zu. Aber ich lerne neue Menschen kennen.“ Außerdem habe er in seiner handyfreien Zeit alte Technologien wieder für sich wiederentdeckt. Einen Wecker etwa oder die Zeitung aus Papier.

Smartphones nicht schlecht machen

Bei den Mönchen und ihren regelmäßigen Gebetszeiten habe er gelernt, Gott auch dann zu suchen, wenn er ihn gar nicht fühlen konnte. „Selbst wenn ich Gott nicht spüre, lese ich im Wort Gottes, ich bete nach dem Aufstehen und stelle ihm ganz konkrete Fragen. Und wenn ich keine konkrete Antwort bekomme, frage ich ihn erneut. Manche Menschen verbringen Jahrzehnte damit, auf Gott zu warten.“

Im Podcast „Nothing is Wasted Ministries“ sagte Whittaker, die Hauptaussage seines Buches sei jedoch nicht: „Smartphones sind schlecht!“ Es gehe vielmehr darum, zu vermitteln: „Die Welt auf dieser Seite des Bildschirms ist schön!“ Wenn man das einmal verstanden habe, lasse man sein Smartphone automatisch häufiger links liegen.

Ganz ohne digitale Technik kam Whittaker übrigens nicht aus, wie er in einem Interview mit Annie F. Downs zugab. Regelmäßig nahm er Videos auf, zunächst als Tagebuch für sich selbst; doch das Material will er nun zu einer Dokumentation verarbeiten. Immerhin habe er 60 Stunden Videomaterial aufgenommen, darunter sind auch Interviews. „Ich wollte ohne Bildschirme auskommen, nicht ohne Digitaltechnik“, betont Whittaker.

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