PRO: Serkan, Sie waren Muslim und sind jetzt Christ. Was ist der größte Unterschied zwischen damals und heute?
Serkan: Mein Glauben hat eine ganz andere Ernsthaftigkeit. Ich möchte heute ein Leben zur Ehre Gottes führen. Als Muslim habe ich meinen Glauben eher beiläufig gelebt, ich habe nicht fünfmal am Tag gebetet oder am Ramadan durchgefastet. In meiner Familie war der Glaube, auch wenn ich eher liberal aufgewachsen bin, allerdings immer wichtig. Aber irgendwie war er mit Druck verbunden.
Was war das konkret für ein Druck?
Der Islam hat mich in meinem Lebensstil unter Druck gesetzt. Ich habe immer mit der Angst gelebt: Reicht es am Ende, um wirklich Gottes Gnade zu erfahren und sich das Paradies zu verdienen? Da war so ein Leistungsdruck: Du musst etwas erbringen, um dir Gottes Barmherzigkeit zu verdienen. Es war wie ein Checklistenkatalog, den man abhakt.
In meinem Kopf war immer ein Zwiespalt, denn ich hatte Freunde, wollte mein Leben genießen und etwas erleben. Aber Allah fordert, dass du nach seinen Regeln lebst. Alkohol trinken, Partys, Frauen – das ist im Islam nicht gerne gesehen.
Und im Christentum ist das anders, da darf man das alles?
(Lacht). Genau, die Reaktion bekomme ich manchmal von Muslimen: Jetzt bist du ja Christ und kannst weiter sündigen, denn Jesus hat dir ja alles vergeben, oder? Meine Antwort darauf ist: Nein. Es gibt keinen Freifahrtschein, so einfach ist das nicht. Ich nehme den Glauben ja nicht auf die leichte Schulter, sondern lebe ernsthaft.
Der Gott der Bibel wünscht sich, dass wir nach seinem Willen leben, um eine Beziehung mit ihm zu haben. Es ist eine greifbare Beziehung – und die gibt es mit Allah nicht, da ist immer eine Distanz. Mit dem Gott der Bibel hast du Nähe.
Im Islam hatte ich ein schlechtes Gewissen der Religion gegenüber, wenn ich getrunken oder eine Frau mit nach Hause genommen habe. Heute lebt Gott durch seinen Heiligen Geist in mir und macht mir klar: Serkan, ich habe einen guten Plan mit deinem Leben und du schadest dir selbst und anderen, wenn du sündigst.
Ich glaube, dass Gott das Beste will für mein Leben. Er liebt mich so, wie ich bin, und legt in mein Herz, was gut und was nicht gut ist. Aber ich habe heute das Druckgefühl nicht mehr, das ich früher hatte.
Wieso war der Druck im Islam da und im Christentum nicht?
Der Islam hat mir keinen Spielraum gelassen. Es ging um Leistung mit der Erwartung: Du musst liefern. Ich dachte: Wie soll ich dem gerecht werden? Ich kam mir nicht genügend vor, einfach nicht genug. Selbst wenn ich versuchte, alle Regeln einzuhalten, hatte ich am Ende doch nicht die endgültige Sicherheit, dass ich gerettet werde. Denn Allah bindet sich nicht an sein Wort, sagt der Koran.
Als ich mich mit dem Gott der Bibel auseinandergesetzt habe, habe ich erkannt: Dieser Gott hält sich an sein Versprechen. Das war der Moment, wo ich dachte: Wow. Ich fühlte mich ohnehin im Leben schon wie eine Art schwarzes Schaf. Doch in der Bibel fand ich nicht, dass Gott nur die liebt, die ihm gehorsam sind und alle Regeln befolgen. Und dass er die anderen hasst. Stattdessen las ich, dass Gott schon immer alle Menschen retten wollte, weil er jeden einzelnen von ihnen liebt.
Wie hat für Sie als Muslim das Christentum bedeutet?
Wenn ich das Wort „Christ“ gehört habe, habe ich immer gleich an den katholischen Glauben gedacht. Ich hatte große Bauwerke vor Augen, Orgelspiel, einen katholischen Priester, der das Ave Maria betet. Und ich habe das Christentum mit den Missbrauchsskandalen in Verbindung gebracht und gedacht: Schau mal, die leben ihren Glauben auch nicht so überzeugend.
Meine Ansicht war, dass die Christen in ihrer Religion versagt haben und Allah Mohammed schicken musste, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Die Menschen müssten erkennen, dass der Islam die einzig wahre Religion und der einzige Weg sei, ins Paradies zu kommen. Viele Muslime denken, dass der Islam die Vollendung ist.
Wie kam es, dass Sie sich näher mit dem Gott der Bibel beschäftigt haben?
Durch meine damalige Freundin, die jetzt meine Frau ist. Irgendwann haben wir uns tiefer über den Glauben unterhalten. Ich habe von meiner Religion erzählt und sie von ihrem Glauben an Jesus. Sie erzählte, dass sie zu ihm eine richtig enge Beziehung im Gebet habe und er sie so liebe, wie sie sei.
Das hat mich aufhorchen lassen. Denn Jesus war für mich ein Prophet, ein wichtiger, aber einer von vielen. Und ich dachte: Wieso betet sie zu einem Propheten, man betet doch nur zu Gott? Das war mir erstmal suspekt. Als sie sagte, dass Jesus für sie mehr sei als ein Prophet, nämlich Gottes Sohn und sogar Gott selbst, war das für mich ein rotes Tuch. Das ging mir als Muslim zu weit!
Aber es interessierte mich, als sie von dieser Beziehung sprach, in der es keine Regelwerke gab, die man erfüllen musste, um von Gott angenommen zu werden. Anders als in meinem Glauben. Und sie fragte mich: „Wie fühlst du dich denn dabei?“ Das war irgendwie ein Gamechanger. Das hatte mich noch niemand gefragt, wie es mir eigentlich mit dem geht, was der Islam von mir fordert. Und ich lehnte mich für einen Moslem schon ein bisschen aus dem Fenster, indem ich dachte: Das fühlt sich nicht gut an.
Das war ein erstes Interesse, aber wie kam es zu dem Schritt, tatsächlich dem Gott der Christen zu glauben?
In mir hat es gearbeitet. In meinen muslimischen Augen war ja die Bibel eine Fälschung. Aber ich habe angefangen, in ihr zu lesen. Und je mehr ich in den Evangelien gelesen habe, dass Gott seine Barmherzigkeit jedem Menschen gegenüber ausschüttet, sei er gläubig oder ungläubig, desto mehr dachte ich: Das ist Liebe. Allah hat 99 Namen, aber ich wüsste nicht, dass einer davon Liebe ist.
Ich wollte mehr über Jesus wissen. Und dann habe ich laut ein Gebet gesprochen: „Jesus, wenn du der Sohn Gottes bist, wie es in der Bibel steht, dann komm und offenbare dich mir, damit ich an dich glaube. Ich möchte wissen, wer du bist, was du getan hast, und ob es stimmt, was ich über dich höre. Du weißt, woran ich als Muslim glaube. Wenn du wirklich der bist, als der du dich ausgibst, dann beweise es mir.“
Ich bin mit meiner Freundin auch in christliche Gottesdienste gegangen, überwiegend in Freikirchen, und die Predigten dort haben mich sehr bewegt. Denn als Muslim habe ich immer in der Angst gelebt, dass mir meine Sünden nicht vergeben werden. Und hier hörte ich, dass Jesus für die Menschen alles gegeben hat und dass mir alle meine Sünden vergeben werden. Ich habe das aufgesaugt und es hat mich tief in meinem Herzen berührt. Aber ich habe über drei Jahre gebraucht, bis ich mich dann selbst für Jesus entschieden habe.
Muslime fragen mich oft, wie es genau war, als ich Christ geworden bin. Aber der Moment lässt sich nicht mit Worten beschreiben, man muss ihn erleben. Meine Antwort ist daher immer: Du musst dem Gott der Bibel eine Chance geben, ihn kennenzulernen. Das habe ich getan und Jesus hat den Prozess in die Hand genommen. Er hat beim Lesen in der Bibel in mir gearbeitet und sich mir durch sein Wort offenbart.
Was raten Sie Christen, wie sie Muslimen begegnen sollten?
Die Muslime waren einst meine Brüder und Schwestern und ich wünsche mir, dass Christen sie nicht alle über einen Kamm scheren, sondern sie auch in ihrem Glauben achten. Ich weiß, dass viele Muslime ihren Glauben sehr ernst nehmen und Gott gefallen wollen, indem sie sich zum Beispiel um die Armen kümmern.
Christen können für Muslime ein Zeugnis sein, wenn sie ihren Glauben wirklich ernsthaft leben, sodass es auch im Alltag sichtbar wird. Man zeigt Jesu Licht am meisten nach außen, wenn man allen Menschen mit Barmherzigkeit begegnet. Gott ist mir mit Barmherzigkeit begegnet. Also möchte ich auch mit meinen Mitmenschen barmherzig sein.
Fragt man mich heute nach dem Sinn des Lebens, antworte ich: In einer engen Gemeinschaft mit Gott zu leben. Dieses Angebot möchte ich auch Muslimen machen. Ich will sie nicht belehren oder bekehren. Aber das Angebot machen: Komm und sieh selbst! Denn das ist unsere Botschaft als Nachfolger von Jesus.
Vielen Dank für das Gespräch!
Von: Christina Bachmann, Lektorin des Buches „Feuer der Barmherzigkeit“, in dem Serkan seine Geschichte erzählt
Serkan, Ronja Treibholz: „Feuer der Barmherzigkeit. Ein Muslim begegnet Jesus“, SCM Hänssler, 224 Seiten, 23 Euro