So ein bisschen holprig naiv wie der Titel „Religion – Konflikt oder Frieden?“ der ZDF-Sendung ist, so geht sie auch das Thema Judenhass an. Aber aus einer Berliner Sicht ist der Horizont eben oft weiter, vieles ist möglich, was im Rest der Republik schon von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Die 45-minütige Dokumentation, die das ZDF am Zweiten Weihnachtsfeiertag ausstrahlt, stellt Projekte des interreligiösen Dialogs im deutschen „Melting Pot“ vor.
„Der religiöse Konflikt scheint einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben“, stellt am Anfang die Sprecherin im Off klar. Allgemein alle Religionen betreffend behauptet sie: „Religion wird zum Manipulationsmittel.“
Diese undifferenzierte Sicht scheinen die zufällig ausgewählten Passanten bei der Straßenumfrage des Fernsehteams im überwiegend atheistischen Berlin zu bestätigen: „Die Religionen haben nur Krieg gemacht“, zeigt sich eine Passantin fast schon empört. „Jede Religion hat Dreck am Finger.“ Ein anderer sagt: „Religion verursacht weltweit ganz viele Kriege.“ Kurz: Religionen sollte man am besten alle abschaffen. Möglich, dass eine solche Straßenumfrage in einer Stadt wie Münster oder München anders ausgefallen wäre – geschenkt. Der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg indes bestätigt: „Wenn zu viel politische Macht mit Religion verknüpft ist, dann ist die Missbrauchsgefahr unendlich.“
Die Frauenrechtlerin Seyran Ateş ergänzt: „Religion ist ein gutes Machtinstrument, um seine Herrschaft über eine Gruppe von Menschen zu manifestieren und zu stabilisieren.“ Der Schnitt geht danach auf Christen, die auf einer Straßenkundgebung rufen: „Jesus Christus, der wahre einzige Gott im ganzen Universum.“
Die Filmemacherin wollte zu Beginn kurz die Frage klären, warum es diese Kirchen überhaupt gibt, und kam offenbar auf die für eine Berliner Perspektive naheliegendste Idee: Es muss, wie so vieles in dieser Stadt, mit dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit zu tun haben. „Berlin 1945“, heißt es da, „der Wiederaufbau beginnt. Die beiden christlichen Kirchen waren nach dem Krieg wichtige gesellschaftliche Anlaufstellen und Kommunikator für die Besatzungsmächte.“ Das muss als Erklärungsversuch für eine jahrhundertealte und weltweite Entwicklung der christlichen Religion reichen.
Nicht Fanatismus ist das Problem, sondern mangelnder Dialog
Das „House of One“, das in Berlin entsteht, will den jüdisch-christlich-islamischen Dialog fördern.
Menschen verschiedener Religionen sollen hier zusammenkommen, beten und sich austauschen können, erklären die drei Initiatoren Gregor Hohberg, Sohn eines Pfarrer-Ehepaars aus der DDR, der Imam Kadir Sanci und der Rabbiner Andreas Nachama, Sohn von Holocaust-Überlebenden.
Sanci bestätigt das Credo: „Menschen bekriegen sich eher dann, wenn sie das Gespräch nicht haben.“ Die Frage, ob es im Hinblick auf Israel und den Terror der Palästinenser wirklich lediglich der mangelnde Dialog ist, der zum Krieg führt, kann diese Dokumentation nachvollziehbarerweise nicht ausführen, geschweige denn überhaupt ansprechen. Spannend wäre es allemal gewesen: Nach islamischen Recht ist es eben nicht akzeptabel, dass auf einem Land, das einmal islamisch war, „Ungläubige“ herrschen.
Deshalb geht es auch in Teilen der muslimischen Welt vorrangig darum, ganz Israel zu vernichten und nicht den Dialog oder gar einen Kompromiss zu suchen. Der uralte Ruf „From the river to the sea“, der in diesem Jahr sogar in nicht-islamischen, deutschen, Berliner Kreisen so einen starken Widerhall gefunden hat, zeugt davon.
Rabbi Nachama ist überzeugt: „Mit Gewalt löst man keine Probleme.“ Das ist so trivial wie unrichtig. Oft führen Probleme zu menschlichen Katastrophen, wenn keine Waffen eingesetzt werden. Weit weg von Berlin im fernen Israel sei die Frage vielleicht schon erlaubt: Was löste denn der Vorschlag zu weniger Gewalt bei einem tief sitzenden Antisemitismus in der islamischen Welt aus? Man fühlt sich in diesen Tagen auch erinnert an die mittlerweile erstaunlich weit verbreitete Ansicht, nicht der Aggressor sei das Problem, der ein anderes Land angreift, sondern dass man nicht ausreichend mit ihm spreche.
Der Film spricht erfreulicherweise die Verbindung des „House of One“ mit der Fethullah-Gülen- oder auch Hismet-Bewegung an. Denn deren Lehre ist eben nicht gerade von einem toleranten, weltoffenen Islam geprägt, der Andersgläubige oder auch Frauen gleich behandelt. „Übergriffe und Straftaten gegen jüdische und muslimische Menschen haben sich im letzten Jahr fast verdoppelt“, heißt es dann weiter. Allerdings ohne, wie im Film auch sonst üblich, zwischen den Religionen zu unterscheiden. Ein Blick auf die absoluten Zahlen wären hier allerdings interessant gewesen: Das Bundesinnenministerium zählte 2023 1.464 Straftaten gegen Muslime und 2024 mehr als 3.200 Straftaten gegen Juden. Es leben in Deutschland aber nur rund 225.000 Juden und 5,6 Millionen Muslime.
Die Imamin der „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“, Seyran Ateş, steht für einen liberalen Islam, dafür erhält sie Morddrohungen und muss unter Polizeischutz leben. Trotzdem arbeitet sie weiter – sowohl für den inner- als auch den interreligiösen Dialog. Ateş überlebte 1984 einen Angriff auf sie.
Erstaunlich ist nicht nur, dass der Film unerwähnt lässt, wen Ateş da angegriffen hat, nämlich die türkische rechtsextreme Gruppe „Graue Wölfe“, deren „Wolfsgruß“ in den letzten Jahren auch hierzulande mittlerweile populär wurde. Erstaunlich ist auch, dass die gläubige Muslima im Film dann selbst nicht konkret den Islam kritisieren mag, sondern wieder nur „die Religionen“. „Ich sehe in der Religion sehr viel Geschlechterungerechtigkeit und Diskriminierung.“ So als seien Angriffe von Juden auf Rabbiner oder von Christen auf Pfarrer mindestens ebenso normal. Es scheint, als habe man Ateş, deren mutiger Kampf gegen den fanatischen Islam bekannt ist, hier einfach nur unvollständig wiedergegeben.
Die Medien sind (mit)schuld
Der Israeli Oz Ben David und der Palästinenser Jalil Debit zeigen, wie sich Ressentiments zwischen Religionen abbauen lassen: Seit Jahren pflegen sie eine intensive Freundschaft und betreiben das Restaurant „Kanaan“ am Prenzlauer Berg mit jüdisch-palästinensischen Speisen. Doch der Überfall der Hamas auf Israel hätte sie fast auseinander gebracht. David war frustriert: „Es wird nie eine Chance auf Frieden geben.“ Debit zeigte ihm seinen Sohn, und David wurde klar, dass es Hoffnung einfach geben muss. Die beiden laden regelmäßig Schulklassen in ihr Restaurant ein und versuchen zu zeigen, dass die gemeinsame freundschaftliche Begegnung Hass überwinden kann.
Zu den Bildern von pro-israelischen und denen gegenüber pro-palästinensischen Demonstrationen, heißt es dann aus dem Off: „Die Medien haben eine wichtige Verantwortung bei der Meinungsbildung. (…) Es gibt Vorwürfe der einseitigen Berichterstattung. So werde in den Medien eher zu Israel gehalten wegen der besonderen Schuld Deutschlands.“
Ohne dass es hier konkreter wird, findet auch Pfarrer Hohberg, es gebe in Deutschland „keine ausdifferenzierte Berichterstattung“ und er fügt die gewagte und gefährliche These an: wahrscheinlich wegen der „deutschen Geschichte“. So als unterdrücke der deutsche Journalismus heimlich die Wahrheit, weil zwischen 1933 und 1945 Nazis Juden verfolgt haben. Wo wir schon von objektiver Berichterstattung über Muslime und Juden in Berlin sprechen: Warum thematisiert „Religion – Konflikt oder Frieden?“ mit keinem Wort, dass mittlerweile regelmäßig Juden, die mit einer Kippa oder einem Davidstern durch Berlin gehen, verprügelt werden von Muslimen, zuletzt und medial breit behandelt der Student Lahav Shapira?
Alle Organisationen und Personen werden in diesem Beitrag sehr positiv und mit viel Wohlwollen dargestellt. Mit einer Ausnahme: Die „International Christian Fellowship“ (ICF) wurde eben nicht in erster Linie ins Leben gerufen, um den Dialog mit anderen Religionen zu suchen, sondern um die Botschaft des eigenen Glaubens anderen kundzutun. Das wirkt in diesem Beitrag und in diesem Kontext verdächtig.
Beim ICF, die als „kontrovers diskutierte Glaubensgemeinschaft“ eingeführt wird, habe „das Missionieren Priorität“. Dort wolle man „Deutschland mit dem Evangelium überfluten“, und hier werde ein „konservatives Christentum“ vertreten, bei dem „Homosexualität und vorehelicher Geschlechtsverkehr als Sünde“ bezeichnet werden. Dass die Christengruppierung auch schon zum Tod von Juden aufgerufen oder Imame auf der Straße verprügelt hat, weil sie muslimische Kopfbedeckungen trugen, wird nicht behauptet. Aber der Prediger Lukas Repert ist überzeugt: „Wir glauben, dass es einen Unterschied macht, ob jemand Jesus in seinem Leben hat oder nicht.“ Im dialogbezogenen toleranten Berlin ist es vielleicht eben bereits ein Affront, wenn jemand seine Religion gut findet.
Eine Szene steht dann exemplarisch in diesem Film für das eigentliche Problem, wahrscheinlich sogar ungewollt. Im Restaurant „Kanaan“ ist eine Berliner Schulklasse zu Gast. Die Schülerinnen und Schüler kochen gemeinsam und sitzen an den Tischen und genießen palästinensisches sowie israelisches Essen. Maja, die aus Israel nach Deutschland kam, geht in diese Klasse, ebenso wie Salem, ein palästinensischer Junge. Doch Salem darf „aus Sicherheitsgründen“ nicht gezeigt werden, sein Gesicht ist nur unscharf zu sehen. Ob er nun wegen seiner muslimischen Glaubensgenossen oder wegen Berliner Juden geschützt werden muss? Der Film lässt das offen. Um den Hals trägt Salem dann auch noch eine allerdings gut sichtbare Kette: Sie zeigt das vollständige Land Israel, und darauf prangt die palästinensische Flagge. „From the river to the sea“ heißt offenbar nicht, dass man nicht auch mal mit einer jüdischen Klassenkameradin in Prenzlauer Berg Humus essen darf. Es gibt Hoffnung!
„Religion – Konflikt oder Frieden?“, ein Film von Susanne Bohlmann, 45 Minuten, ZDF: Donnerstag, 26. Dezember 2024, 18.15 Uhr, ZDFmediathek: ab Donnerstag, 26. Dezember, 8 Uhr