Die Forscherinnen Nathalie Hallin und Hajdi Moche von der Universität Linköping in Schweden wollten der Frage auf den Grund gehen, ob religiöse Menschen großzügiger spenden als Ungläubige, und inwiefern die Religion dabei eine Rolle spielt. Sie veröffentlichten ihre Studie in der Fachzeitschrift „Judgement and Decision Making”. Die Autorinnen erwähnen dabei, dass Hallin selbst Atheistin, ihre Kollegin Moche Christin sei.
„Geldgroßzügigkeit ist eine Art prosoziales Verhaltens, es zielt also darauf ab, das Wohlergehen anderer Menschen zu schützen oder zu fördern”, schreiben die Autorinnen der Studie. „Viele Religionen betonen die Bedeutung prosozialen Handelns und Großzügigkeit.” Die Forscherinnen verweisen auf Bibelverse wie „Dich selbst aber erweise als Vorbild guter Werke, ohne Falsch in der Lehre und ehrbar.” (Titus, 2,7), aber auch auf den Koran. In Sure Al-Ma’idah 93 heißt es: „Hüte dich vor dem Bösen und tue Gutes. Denn Allah liebt die, die Gutes tun.”
In der Wissenschaft herrschte bislang das Bild vor, dass allgemein die Prosozialität unter religiösen Menschen höher sei. Allerdings wiesen Forscher darauf hin, dass die meisten Studien nicht darauf achteten, inwiefern die Wohltätigkeit mit der Religionszugehörigkeit der Empfänger zusammenhing. So gebe es auch religiöse Beispiele, in denen Prosozialität auf die eigene Gruppe vorgeschrieben ist, etwa der jüdisch-christliche Brauch, den Zehnten zu geben, oder die dritte Säule des Islam, einen Teil seines Vermögens zu geben, die sogenannte Zakat.
Frühere Studien (etwa von Michael H. Pasek, Jesse Lee Preston und Ryan S. Ritter) zeigten 2023, dass religiöse Teilnehmer großzügiger auf an Mitgliedern anderer Religionsgruppen spendeten, wenn sie zuvor aufgefordert worden waren, an Gott zu denken. Sollten sie vor dem Spenden nur allgemein an Religion denken, wuchs die Spendenbereitschaft nur gegenüber Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe.
Jeder bevorzugt seine eigene Gruppe
An Hallins und Moches Studie nahmen in Schweden 398 Personen teil, davon waren 23 Prozent Christen, sieben Prozent Muslime, 27 Prozent Agnostiker, 36 Prozent Atheisten, ein Prozent Buddhisten und 0,8 Prozent Juden.
Die Studie wurde online durchgeführt, und das Geld war nur hypothetisch. Es wurden jeweils sechs Runden durchgeführt. In jeder von sechs Runden entschieden die Teilnehmer, wie sie einen Topf mit 100 Schwedische Kronen (umgerechnet etwa 9 Euro) zwischen sich und drei anderen hypothetischen Spielern aufteilen würden. Sie konnten nicht das ganze Geld für sich behalten, sondern mussten etwas davon an mindestens einen der anderen Spieler abgeben. Eine dieser sechs Runden war die kritische Runde, in der religiöse Informationen über die anderen Spieler präsentiert wurden. Die restlichen Runden betrafen Hobbys (Runde 1), Urlaubsvorlieben (Runde 2), Lieblingsschulfach (Runde 4), Lieblingsfilmgenre (Runde 5) und ideologische Meinungen (nach dem Zufallsprinzip Runde 3 oder 6).
Die Teilnehmer wurden außerdem gebeten, ihre Religionszugehörigkeit anzugeben und auf einer Skala von 0 bis 100, wie stark sie an Gott glaubten. Außerdem wurde mit verschiedenen Fragen ausgelotet, wie groß das religiöse Engagement ist.
In den USA werteten die Forscherinnen die Ergebnisse von 713 Teilnehmern aus. Davon waren 24 Prozent Christen, 21 Prozent Muslime, 26 Prozent Agnostiker und 28 Prozent Atheisten. Das Design der Studie war identisch mit dem der Studie in Schweden.
Das Ergebnis: Religiöse und nicht-religiöse Teilnehmer spendeten im Schnitt gleich viel Geld. Doch sobald Informationen über die Religion der Empfänger bekannt waren, zeigten Gläubige eine größere Spendenbereitschaft gegenüber Menschen, die denselben Glauben haben. Auch Atheisten bevorzugten ihre eigene Gruppe, wenn auch in geringerem Ausmaß.
Muslime spendeten mehr
Muslime gaben den Ergebnissen zufolge insgesamt mehr Geld als Christen dem christlichen Spieler oder Atheisten dem atheistischen Spieler. Um diesen Unterschied zwischen der Großzügigkeit der Muslime und der Großzügigkeit der anderen Gruppen genauer zu untersuchen, führten die Forscherinnen eine weitere Studie in zwei Ländern mit vornehmlich muslimischer Bevölkerung durch, nämlich im Libanon und in Ägypten. Die Ergebnisse von 475 Teilnehmern aus Ägypten und 175 aus dem Libanon flossen in das Ergebnis ein. Davon waren 12 Prozent Christen, 85 Prozent Muslime, 0,8 Prozent Atheisten. Das Ergebnis: muslimische Teilnehmer waren gegenüber ihrer eigenen Gruppe signifikant großzügiger.
Die Studienleiterinnen kommentieren in ihrem Fazit, man könnte einerseits herausstreichen, dass Religiosität insgesamt offenbar zu einer höheren Spendenbereitschaft führen könne; andererseits könnte man die Spendenbereitschaft vor allem gegenüber Glaubensgenossen als engstirnig sehen. Doch immerhin gab es eine höhere Großzügigkeit innerhalb der religiösen Gruppe, die sonst vielleicht gar nicht existieren würde.
Die Autoren merken zudem kritisch an, dass das Geld sowie die anderen Spieler in der Studie nur hypothetisch waren. „Daher können wir nicht wissen, ob die Ergebnisse in unseren Studien dieselben gewesen wären, wenn die Teilnehmer echte Entscheidungen getroffen hätten.” Es sei aber in derartigen Studien üblich, vom Verhalten mit hypothetischem Geld auf das mit echtem Geld zu schließen.
Wer sich attraktiv fühlt, spendet mehr
Noch einen anderen Einfluss auf die Spendenbereitschaft fanden vor kurzem Forscher der Universität Tel Aviv. Sie deckten eine überraschende Verbindung zwischen äußerem Erscheinungsbild und sozialem Verhalten auf. Menschen, die sich selbst als attraktiv wahrnehmen, zeigen eine deutlich höhere Bereitschaft, großzügig zu handeln und für wohltätige Zwecke zu spenden. Die Studienleiterin Danit Ein-Gar sagte: „Wenn wir unser Aussehen verbessern und uns schön fühlen – etwa nach einem neuen Haarschnitt –, verhalten wir uns sozial bewusster.”