Bei ihm wurde die Theaterbühne oft zur Kanzel. Kaum jemand hat auf deutschen Kabarett-Bühnen so gepredigt wie Hanns Dieter Hüsch. Aber auch wenn es bei ihm heiter zuging, war der Gedanke an das Leid und den Tod nie wirklich weit entfernt, kaum jemand konnte Heiterkeit und Ernsthaftigkeit so miteinander verbinden wie er. Dabei treffen die Adjektive „heiter“ und „vergnügt“ die Poesie und Geisteshaltung des Kabarettisten vom Niederrhein wohl am besten. So beginnt das Buch „Ein Glück, dass es den Himmel gibt“ mit einem der bekanntesten Gedichte Hüschs: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände Meine Zeit / Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen / Mein Triumphieren und Verzagen / Das Elend / Und die Zärtlichkeit.“
100 Jahre wäre Hanns Dieter Hüsch am 6. Mai 2025 geworden. Wie schön, dass aus diesem Anlass jemand an den frommen Poeten der leisen Töne erinnert. Okko Herlyn, evangelischer Pfarrer, Theologie-Professor und wie Hüsch viele Jahre als Kleinkünstler selbst auf Bühnen unterwegs, hat in einem Büchlein Texte des niederrheinischen Predigers gesammelt, in denen es um den Glauben, Gott und die Kirche geht. Herlyn trat selbst einmal in Duisburg mit „dem großen Hüsch“ auf einer Bühne auf, wie er im letzten Kapitel des Buches berichtet. Die Zeitschrift „Publik-Forum“ bezeichnete Herlyn einmal als „begnadeten Nachfahren Hüschs“.
„Eine Stimme des Evangeliums“
Der 2005 verstorbene Hüsch war ein Urgestein des deutschen Kabaretts, als ein Poet der leisen Töne. Der notorische Schnellsprecher aus Moers, der sich selbst als „Das schwarze Schaf vom Niederrhein“ bezeichnete, war über fünfzig Jahre auf Bühnen und im Radio und Fernsehen präsent. Sein Markenzeichen: eine Philicorda-Orgel, die er seit den sechziger Jahren auf der Bühne einsetzte.
Viele seiner Texte sind Plädoyers für den einfachen Glauben, der durch die harte Prüfung des Leids gegangen ist, und der am Ende keine Kraft oder keine Lust mehr hat, zu philosophieren und zu theologisieren, sondern der einfach nur noch an Gott, den Vater glauben mag. Immer wieder beginnen Texte Hüschs mit den beiläufigen Worten „Im Übrigen meine ich …“, so als befinde sich der Autor eigentlich bei der Verabschiedung an der Haustür, nachdem er zum Kaffeetrinken vorbeigekommen war.
Hüsch starb am 6. Dezember 2005 nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 80 Jahren. In einem Interview im Jahr 2000 sagte er über Gott: „Ich habe mit ihm eine Verabredung. Und weil wir beide so wenig Zeit haben, haben wir gesagt, lass uns mal nichts fest machen. Wer kommt, der kommt.“
Nikolaus Schneider, der damalige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, sagte über den Künstler, der mit seinen Predigten, Psalmen und Gebeten häufig auf Kirchentagen auftrat: „Mit Hanns Dieter Hüsch ist nicht nur eine evangelische Stimme, sondern auch eine Stimme des Evangeliums verstummt.“
Das Blödeln und das Nachdenken, das Komische und das Tragische
Eine Biografie ist Herlyns Hüsch-Buch nicht; dennoch erfährt der Leser im Vorwort viel Wissenswerte über den Kabarettisten. Hüsch wuchs in einem „protestantisch grundierten und kirchlichen Milieu“ auf. Ob Kindergottesdienst, Konfirmation, Pfarrer und Presbyter, Kantor und Küster, Kirchenchor und Beerdigung – was Hüsch von Kindheit an im Moerser Pfarrhaus von Pastor Vowe erlebte, ging in das Material für seine Texte ein. Neben seinen ganz alltäglichen, bisweilen absurd-trivialen Niederrhein-Geschichten flocht Hüsch in sein Programm den christlichen Glauben ein, als sei es das Selbstverständlichste.
„Den lieben Gott trifft man bei ihm vor allem bei den sogenannten kleinen Leuten“, schreibt Herlyn im Vorwort, „bei den Zukurzgekommenen und Spurenlosen, bei den Geknickten und Gekränkten, bei den Suchenden und Verrückten.“ Hüsch selbst sagte einmal: „Ich möchte mir den lieben Gott wirklich wie einen vorstellen, der plötzlich in Dinslaken in einem Stehbistro steht und da seinen Espresso trinkt.“ Hüsch habe beides zusammenbekommen: das Heitere und das Ernste, das Blödeln und das Nachdenken, das Komische und das Tragische, das Fromme und das Politische, so Herlyn.
„Gott ist nicht leicht. Gott ist nicht schwer. Gott ist schwierig.“
„Wir alle haben unser Los“, heißt es in Hüschs Gedicht „In Gottes Hand“, beim Lesen kommt man nicht umhin, Hüsch dabei vor sich zu sehen und zu hören. „Und sind getrost auf Gottes Floß die Welt entlang gefahren. Auf Meeren und auf Flüssen. Die Starken mit den Schwachen. Zu beten und zu büßen. Gott will uns schöner machen. (…) Wir alle bleiben Gottes Kind. Auch, wenn wir schon erwachsen sind. Wir werden immer kleiner, bis wir am Ende wissen, vom Mund bis zu den Zehen, wenn wir gen Himmel müssen, Gott will uns heiter sehen.“
Im Gedicht „Was den Heiligen Geist betrifft“ schreibt Hüsch: „Gott ist nicht leicht. Gott ist nicht schwer. Gott ist schwierig. Ist kompliziert, ist hochdifferenziert. Aber nicht schwer. Gott ist das Lachen, nicht das Gelächter. Gott ist die Freude, nicht die Schadenfreude. (…) Ich zum Beispiel möchte immer Virtuose sein, was den Heiligen Geist betrifft. So wahr mir Gott helfe.“
Gleich zwei „Dezember-Psalmen“ hat Hüsch gedichtet, im ersten heißt es: „Mach dich fein. Jesus kommt. Schmück dein Gesicht. Schmücke dein Haus und deinen Garten. Mein Herz schlägt ungemein. Macht Sprünge. Mein Auge lacht und färbt sich voll. Mit Glück. Jesus kommt. Alles wird gut.“ Im zweiten dichtet er: „Kleiner Herr, der du gekommen bist im Elend, wir bauen auf dich, und deine Zukunft, und schenken dir unser ganzes Vertrauen.“
Die Heiterkeit scheint als Grundhaltung im Glauben Hüschs durch: „lch kämpfe schon seit Jahren darum, dass man in der Kirche auch lachen und klatschen darf, wenn einem was gefällt! (…) Die Kirche sollte eine gute Mischung aus Alltag und Sonntag sein, aus Freude und Trauer, aus Leben und leben lassen!“
Manches wirkt zugleich hochaktuell. So heißt es in einem Text: „Wenn die Krieger kommen, lock sie aufs Dach der Taube. Lock sie ins Nest der Schwalbe. Lock sie in die Höhle der Löwen. Lock sie in den Wald der Rehe. Geh ihnen entgegen, mit offenen Händen, voll Brot und Salz, Obst und Wein, dass sie sich verlaufen im Knüppelholz deiner Tugenden. Dass sie sich verirren im Labyrinth deiner Freundlichkeit.“
In einem anderen heißt es: „Das ist wahr. Die Völker beginnen zu wandern. Die Armen klopfen an die Türen der Reichen. Und wenn wir den Frieden, der zurzeit sich so dahinschleppt, so verbraucht, verletzt und schwer krank, wenn wir diesen Frieden heilen wollen, müssen wir all unsere Zärtlichkeit, all unsere Fantasie aufbringen. Unsere Wut über das Unrecht in Mut zum Teilen verwandeln.“ Weiter heißt es: „Und alle kleinlichen nationalen Sprüche und Lieder gehören in die Steinzeit. Alle, die meinen, sie könnten, sie dürften über andere Menschen verfügen, herrschen und herfallen, gehören in die Steinzeit.“
Okko Herlyn (Hrsg.): „Ein Glück, dass es den Himmel gibt: Psalmen, Gebete und geistliche Gedanken von Hanns Dieter Hüsch“, Neukirchener Verlag, 112 Seiten, 15 Euro, ISBN: 978-3761570425, Erscheinungstermin: 13. Januar 2025