Nach dem Sturz von Baschar al-Assad wächst unter den religiösen Minderheiten in Syrien die Angst vor Racheakten und weiteren Einschränkungen ihrer Rechte. Vor allem Christen, Alawiten und Ismailiten fürchten Vergeltung durch sunnitische Islamisten. Die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) warnt davor, dass die neuen Machthaber in Syrien ihre Versprechen, die Rechte der Minderheiten zu wahren, möglicherweise nicht einhalten werden. „Sollte in Syrien eine ‚Islamische Republik‘ entstehen, wird das dramatische Folgen für Minderheiten und Frauen haben“, sagte der Gfbv-Nahostreferent, Dr. Kamal Sido, am Dienstag.
Im Gouvernement Tartus trauten sich viele Angehörige religiöser Minderheiten nicht mehr auf die Straße. Ihnen werde vorgeworfen, das Assad-Regime zu unterstützen, erklärte Sido. Nach Angaben der GfbV mehren sich die Anzeichen, dass die neuen Machthaber, darunter die Islamisten der HTS-Miliz, ihre Versprechen nicht einhalten. Besonders beunruhigend sei, dass sunnitische Imame und islamische Gelehrte nun in staatliche Funktionen eingebunden würden. Dies könne die Rechte religiöser Minderheiten weiter gefährden.
Christen droht Freiheitsverlust
Erste Berichte über die Zerstörung von Kirchen und diskriminierende Maßnahmen gegen Frauen lassen befürchten, dass dies der Beginn einer breiteren Verfolgung sein könnte.
In einigen Gebieten wurden Frauen bereits aufgefordert, sich zu verschleiern und sich von Männern zu trennen. Besonders betroffen sind Christinnen wie Naya und Yara, zwei junge Studentinnen aus Damaskus. Nach einem Gottesdienst in ihrem Viertel äußerten sie ihre große Sorge: „Wir haben Angst, dass unsere Freiheit bald eingeschränkt wird“, sagten sie am Montag gegenüber der „Bild“-Zeitung. Den Versprechungen der islamistischen HTS-Miliz trauen beide nicht. Ihre Befürchtungen werden durch Erfahrungen aus anderen islamistischen Ländern verstärkt, wo Frauenrechte unter den Taliban trotz anfänglicher Versprechungen drastisch eingeschränkt wurden.
„Wir werden unsere Freiheit niemals aufgeben, ich werde auch meine Haare nicht verdecken“, sagte Naya. Die christliche Gemeinschaft in Syrien, die seit Jahrhunderten im Land verwurzelt ist, sieht sich zunehmend in Gefahr. „Wir sind auf der einen Seite froh, dass das alte Regime weg ist, aber gleichzeitig wissen wir nicht, wie es weitergehen wird“, sagte Paul Bedenian, ein Priester, der die Situation sowohl in Syrien als auch in Deutschland verfolgt.
Bischof: Versprechen der HTS-Miliz garantieren Christen Sicherheit
In Städten wie Manbidsch und Aleppo werden nicht nur Kurden, sondern auch Christen zunehmend Opfer von Übergriffen. Die Türkei und ihre Verbündeten, die in der Region aktiv sind, tragen zu einer weiteren Eskalation bei. Diese Entwicklungen könnten nicht nur die religiösen Minderheiten in Syrien weiter bedrohen, sondern auch Auswirkungen auf syrische Flüchtlinge in Deutschland haben, wo es immer wieder zu Konflikten zwischen konservativen Syrern, die islamistische Gruppen unterstützen, und den geflüchteten Kurden und Christen kommt, beschreibt Sido. „Deutsche Politiker dürfen die Gefahren des politischen Islam nicht unterschätzen – weder in Syrien noch in Deutschland“, sagte Sido.
Der Bischof der armenisch-orthodoxen Kirche, Armash Nalbandjan, äußerte sich in einem Interview des „Deutschlandfunks“ optimistisch über die Entwicklung in Syrien. Nach dem Sturz des früheren Präsidenten Assad herrsche Freude. Insbesondere nachdem die neuen Machthaber den Christen „Sicherheitsgarantien“ zugesichert hätten, sieht Nalbandjan derzeit keine Gefahr für die Christen. Zudem sollten Christen als Teil der syrischen Gesellschaft gesehen werden, erklärt Nalbandjan.
Die Christen in Syrien sind seit Jahrhunderten Teil des Landes. Derzeit leben etwa 500.000 Christen im Land. Die meisten von ihnen sind Syrisch-Orthodoxe und Maroniten.