PRO: Herr Becker, Sie touren derzeit mit dem Stück „Todesduell“ durch Deutschland. Es basiert auf einer Predigt, die John Donne im Jahr 1631 in England hielt. Mit dem Stück sind Sie ein erhebliches Risiko eingegangen. Der Stoff ist sperrig. Er setzt viel Bibelwissen voraus. Wie reagieren Ihre Zuschauer darauf?
Ben Becker: Ich hatte ein bisschen Sorge, dass das Stück für manche aufgrund seiner Dichte schwierig werden könnte. Es ist ein bisschen wie bei meinem Stück „Ich, Judas“. Man muss beim Zuschauen dran bleiben und mitdenken. Auch ich entdecke in der Auseinandersetzung mit diesen Texten immer wieder etwas Neues.
So würden viele Christen vermutlich auch ihren Zugang zur Bibel beschreiben – man kann immer etwas Neues entdecken. Gibt es da eine Parallele?
Mich interessiert tatsächlich vor allem die Verbindung und der Austausch zwischen geistlicher und weltlicher Dimension. Für mich ist die Schöpfung als solche göttlich – etwa die Schönheit in der Natur. Ich würde aber nicht sagen, sie ist von Gott gemacht. Der Glaube ist für viele Menschen ein Anker und das sehe ich sehr positiv. Mir persönlich reicht das aber nicht aus. Ich brauche die Auseinandersetzung und das ewige Hinterfragen. Ich kann nicht sagen: Ich habe den Weg zu Gott gefunden und nun ist das abgeschlossen. Dennoch: Die Auseinandersetzung mit den existenziellen Texten der Bibel interessiert mich. Liebe, Tod, Vergänglichkeit, Hass, Gewalt, das sind die großen Themen, mit denen ich mich beschäftigen will. Das kommt sowohl bei Shakespeare, als auch in der Bibel vor.
Es ist in der Tat auffällig: Seit vielen Jahren beschäftigen Sie sich immer wieder mit biblischen Inhalten. Sie haben die Bibel als Hörbuch eingelesen und aufgeführt, Sie haben Judas gespielt, Luther für einen Film und jetzt den großen Prediger John Donne. Sie kommen nicht mehr weg davon, oder?
Ja, die Bibel habe ich als Show gemacht. Unter anderem, weil ich wie einst die Countrysängerin Dolly Parton die Treppe herunterschreiten und dabei singen wollte: „He’s alive“. Zuerst plante ich, nur das Neue Testament zu machen, aber im Gespräch mit Theologen bin ich dann in der Vorbereitung darauf gekommen, mich auch mit dem Alten Testament zu beschäftigen. Weil es das Fundament des Neuen Testaments ist. Dann wurde aus meiner Show also ein Zweiteiler. Und so ging es immer weiter, ich habe mich in die Geschichten der Bibel verstrickt. Viele hielten die ganze Inszenierung damals für übertrieben. Aber ganz ehrlich: In Amerika machen die Prediger auch aus allem eine Show. Und das ist ganz normal. Bei manchen Dingen, die ich da so sehe, denke ich: Jesus würde sich im Grabe umdrehen, wenn er da noch liegen würde.
Was fasziniert Sie denn so an dem Stoff?
Ich denke, es ist der Traum davon, miteinander in Frieden auszukommen. Ich bezeichne Jesus als meinen Freund. Wenn ich den Mann da oben am Kreuz sehe, dann bin ich mir sicher, dass er weiß, dass ich reinen Herzens bin. Wer immer dieser Jesus war, er hat eine Revolution gewagt. Er wollte Frieden unter die Menschen bringen. Und wurde dafür gekreuzigt. Er nahm diese Strafe hin, wusste genau, was geschehen würde. Allein deshalb kann ich schon nicht von der Bibel lassen. Es sind Geschichten wie diese, die uns helfen, uns zurechtzufinden in dieser Welt. Ich glaube, ich wäre ein guter Prediger gewesen – obwohl ich Schauspiel studiert habe und nicht Theologie.
Was macht Sie zu einem guten Prediger?
Ich kann Leute mitnehmen, wenn ich eine Bühne betrete. Ich kann ihnen Geschichten erzählen und sie folgen mir. Das ist ein gottgegebenes Talent. Umso mehr freue ich mich, dass ich als Schauspieler meinen Weg in die Kirche gefunden habe und die Kirche wiederum auch den Weg zu mir, im Sinne, dass ich sie gelegentlich zur Theaterbühne machen darf. Das ist gut so.
Wo wir schon beim Predigen sind: Im „Todesduell“ tun Sie genau das. Was ist für Sie die wichtigste Aussage von John Donne?
Das zentrale Anliegen von Donne ist es, den Egoismus, sowohl den eigenen, als auch den in der Welt, infrage zu stellen. Es sind Fragen nach Ungerechtigkeit, die John Donne stellt. Übrigens hielt er seine Predigt im Beisein des britischen Königs Charles I. Donne traute sich was. Er ging so weit, zu sagen: „Aller Reichtum, ja selbst, diese Körper, die Tempel des Heiligen Geistes waren, kommen zu diesem Verfall.“ Alles wird zu Ruinen und zu Staub, aber das Leben geht darüber hinaus. Das ist die Botschaft des Abends.
Man könnte Donne auch ganz anders zusammenfassen: Das Leben besteht eigentlich nur aus Leid und Tod. Die Hoffnung liegt im Himmel. In Gottes Gnade. Und die ist unendlich groß. Stimmen Sie zu?
Das kann man so interpretieren. Für mich ist es so: Am Ende des Abends gehen in meinem Stück auf einem Güterbahnhof die Lampen an. Das heißt: Da sitzt noch einer im Kraftwerk und drückt den Schalter. Und dann kommt der Zug des Lebens und ich reise darin gemeinsam mit meiner Tochter weiter. Das heißt: Ich bin gut aufgehoben in dieser Welt, in der ich spielen und arbeiten darf. Ich brauche das Bild des Himmels nicht. Du kommst von der Erde und wirst wieder zu Erde. Damit kann ich gut leben.
Was sollen die Zuschauer denn mitnehmen aus Ihrem Stück?
Ich möchte, dass sie ein Gefühl von Geborgenheit und Hoffnung mit nach Hause nehmen. Und dass mein Stück nachhallt. Mehr kann ich mit der Kunst nicht erreichen und wenn es so ist, dann macht mich das unheimlich glücklich.
Was gibt Ihnen denn Hoffnung?
Das Staunen und die Neugier eines kleinen Jungen, die ich mir erhalten habe. Ich staune etwa über die Schönheit des Menschseins. Was wir alles können, was wir alles schaffen. Das ist wundervoll. Bei allen Abgründen, die es auch gibt. Warum fahren Menschen mit Panzern herum, warum gibt es Völkermorde? Ich weiß es nicht, ich verstehe es nicht, aber ich bin auch nicht bereit, aufzugeben. Ich träume von einer versöhnten Welt. Ohne diesen Traum könnte ich keine Kunst machen.
Können Sie mit der christlichen Idee von Versöhnung etwas anfangen? Also Jesus hat den Menschen mit Gott versöhnt durch seinen Tod?
Was soll das heißen? Es gibt so viel Leid in dieser Welt, ich möchte schon die Frage stellen dürfen, warum das dann so ist. Wenn Mord und Todschlag gottgegeben sind, dann möchte ich mich nicht zu ihm hin retten. Ich werde wohl nie den Schritt gehen, mein Leben in Gottes Hände zu legen. Ich sage immer gerne: Ich bin Kommunist. Christlicher Kommunist. Und damit beziehe ich mich nicht auf den real existierenden Sozialismus, Stalin oder sonst irgendeinen Idioten.
In einem sozialistischen System dürften sie John Donne möglicherweise gar nicht aufführen.
Ich meine den philosophischen Grundgedanken des Kommunismus. Der fasziniert mich und an dem halte ich fest.
Wie ist das eigentlich in der Kunstszene, wenn man da als Schauspieler immer wieder mit biblischen Stoffen hantiert? Nehmen die Kollegen das ernst? Oder wird das belächelt?
Es gibt viele, die sagen, ich spinne. Ich habe auch schon den Satz gehört: Wenn ich sowas möchte, dann gehe ich in die Kirche, aber nicht zu Ben Becker. Ob das daran liegt, dass manche Künstler da Berührungsängste haben? Ich weiß es nicht genau. Aber ich stehe dahinter und scheue den Kontakt nicht. Kirche und Theater sind für mich in gleicher Weise heilige Orte. Und so fügt sich das zusammen.
Wir haben viel über das Predigen gesprochen: Welche Predigt würden Sie den Menschen am liebsten mal halten?
Ich würde gerne von der Liebe predigen. Wir brauchen kein volksverdummendes Fernsehen, keine 25 Waschmittelsorten und auch kein teures Auto. Liebe ist alles, was wir brauchen. Das glaube ich und das predige ich – auf der Theaterbühne, in der Kirche.
Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch!