Wie sah Jesus aus?

Die Bibel sagt erstaunlich wenig über das Aussehen Jesu. Historiker bemühen sich dennoch, anhand aller Fakten, die man aus seiner Epoche zusammentragen kann, ein mögliches Erscheinungsbild zu rekonstruieren.
Von Jörn Schumacher
Wie Jesus wirklich ausgesehen hat, weiß heute niemand

Die mittelalterliche Kunst in Europa zeigte Jesus typischerweise als jungen weißen Mann mit braunem oder blondem Haar und blasser Haut. Dieses Bild wurde während der italienischen Renaissance durch berühmte Gemälde wie „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci verstärkt. Moderne Jesus-Darstellungen in Filmen neigen ebenfalls dazu, das Stereotyp des langhaarigen, bärtigen Jesus aufrechtzuerhalten. In manchen Kulturen wird Jesus auch als Schwarzer oder als Latino dargestellt; weil sich die Menschen so mit ihm besser identifizieren können. Aber was kann die Wissenschaft zuverlässig über das Aussehen des Gottessohnes sagen?

Auffallend ist, dass die Bibel nicht viele Beschreibungen vom Aussehen Jesu enthält. Die britische Zeitung „Daily Mail“ ist dennoch der Frage auf den Grund gegangen und hat Experten dazu befragt. Anhand der wenigen vorliegenden biografischen Angaben haben Experten einige Einzelheiten seiner wahrscheinlichen Gesichtszüge zusammengetragen. 

Die bekannteste Version von Jesus hat oft braunes, wallendes, schulterlanges Haar und einen Vollbart. Doch mit der tatsächlichen Erscheinung habe dieses Bild wohl wenig zu tun, sagen Experten. Jesus sah wie andere Mitglieder der judäischen Gesellschaft im ersten Jahrhundert nach Christus aus, war also eher unauffällig, sagen Historiker.

Kurze Locken, kurzer Bart

Einig ist sich die Wissenschaft, dass Jesus der jüdischen Ethnie angehörte und aus der Region des heutigen Israels stammte. Das bedeutet, dass sein Haar und sein Bart eher schwarz und lockig als braun und glatt gewesen sein müssten. Ebenso sei es sehr wahrscheinlich, dass Jesus sein Haar und seinen Bart eher kurz trug.

Genau wie heute seien Bärte auch im römischen Reich im Laufe der Jahre mal in Mode gewesen, dann wieder aus der Mode. Während es für die Römer zur Zeit Jesu im ersten Jahrhundert Mode war, glatt rasiert zu sein, trugen Juden den Experten zufolge wahrscheinlich einen gepflegten Bart. Römische Münzen aus dieser Zeit zeigen gefangene Judäer mit kurzen, lockigen Bärten, was darauf schließen lässt, dass dies der Mode der damaligen Zeit entsprach.

Joan Taylor, Professorin für die Ursprünge des Christentums am King‘s College in London, sagte gegenüber der „Daily Mail“: „Lange Haare und ein langer Bart waren im antiken Judentum ein Zeichen dafür, dass man ein besonderes Gelübde einhielt und keinen Wein trank.“ Von Jesus aber heißt es, dass er durchaus Wein getrunken habe, ein solches Gelübde galt für ihn also für die meiste Zeit seines Lebens nicht. Taylor sagte weiter, dass im ersten Jahrhundert langes Haar bei Männern als „ziemlich unpassend“ galt.

Erste Bilder zeigen Jesus ohne Bart

In der Kirche der Ruinenstadt Dura Europos in Syrien fand man ein Gemälde von Jesus, das wahrscheinlich das allererste Bild von Jesus darstellt. Es stammt aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts und zeigt Jesus glattrasiert und mit Haaren, die knapp über den Kragen geschnitten waren. Doch wie so viele unserer modernen Darstellungen von Jesus sagen diese Merkmale mehr über die Kultur der Entstehungszeit aus als über die historische Figur. Ab dem vierten Jahrhundert wurde Jesus auf Abbildungen jedoch zunehmend mit langen Haaren und Bart gezeigt, je nachdem, was der Künstler hervorheben wollte.

Meredith Warren, Dozentin für Bibel- und Religionswissenschaften an der Universität Sheffield, sagte gegenüber „Daily Mail“: „Wenn man Jesus mit der Vorstellung des guten Hirten in Verbindung bringen oder Parallelen zu römischen Vorstellungen über Dionysos oder Apollon ziehen wollte, hatte er längeres Haar; auch wenn sie Jesus als Philosophen hervorheben wollten, bekam er einen längeren Bart.“

Man nimmt an, dass Jesus erst ab dem Jahr 400 mit Bart auftauchte. Dies sollte wohl zeigen, dass er ein weiser Lehrer war, da Philosophen zu dieser Zeit typischerweise mit Gesichtsbehaarung dargestellt wurden. Das konventionelle Bild eines vollbärtigen Jesus mit langen Haaren etablierte sich erst im sechsten Jahrhundert im östlichen Christentum und viel später im Westen.

Keine besonderen Merkmale

Warren ist überzeugt: „Jesus hatte braune Haut und braune Augen, wie die einheimische Bevölkerung. Er starb, bevor er 40 wurde. Er war nicht reich und verbrachte viel Zeit im Freien, daher hatte er wahrscheinlich einige Falten. Seine Hände und Füße waren wahrscheinlich schwielig und rau.“

Die Bibel enthält immerhin Informationen, die darauf schließen lassen, dass Jesus anderen Männern seiner Zeit eher ähnlich gesehen haben könnte und nicht viele besondere Merkmale aufwies. Als etwa die römischen Soldaten kamen, um ihn aus dem Garten Gethsemane abzuholen, musste Judas ihnen zeigen, wer von den Männern Jesus war. Sein Aussehen zeigte offenbar keine besonderen Merkmale, die im Volk bekannt waren, obwohl Jesus allseits bekannt war. Ebenso wird er im Johannesevangelium von Maria Magdalena auf der Suche nach seinem Leichnam für einen Gärtner gehalten.

Warren verweist auf ägyptische Porträts junger Männer, die zwischen 80 und 120 in einem ähnlichen Teil der Welt wie Jesus lebten. Sie zeigen Männer mit dunklen Augen, brauner Haut, kurzem lockigem Haar, Bärten und Gesichtszügen, die für die Menschen im heutigen Ägypten, Palästina und Israel charakteristisch gewesen seien.

Im Jahr 2015 hatte der Künstler Richard Neave mithilfe forensischer Techniken und anhand von drei Schädeln, die in Israel gefunden wurden, das Gesicht eines jüdischen Mannes rekonstruiert. Das Porträt zeigte ein breites Gesicht, dunkle Augen, einen buschigen Bart und kurzes, lockiges Haar sowie eine gebräunte Hautfarbe, die für Juden in der Region Galiläa typisch gewesen sein könnte. Erst vor kurzem versuchte man, mithilfe von Künstlicher Intelligenz das Angesicht Jesu aus dem Abdruck im Turiner Grabtuch zu rekonstruieren. Sogar kurze Filme wurden aus diesem Modell erstellt, in denen Jesus ein paar Worte aus der Bergpredigt spricht. Allerdings sind diese Abbildungen sehr mit Spekulation behaftet; allein die Authentizität des Grabtuches ist nicht gesichert.

Muskulös und in Sandalen

Doch in einem überraschenden Detail stimmen die modernen Darstellungen Jesu tatsächlich mit historischen Annahmen überein. Obwohl es seltsam erscheinen mag, dass Jesus oft mit sichtbaren Bauchmuskeln abgebildet wird, sind sich Experten einig, dass er wahrscheinlich stark und schlank gewesen sein muss. Warren erklärte gegenüber „Daily Mail“, dass diese muskulösen Darstellungen „nicht völlig daneben“ seien. „Jesus kommt aus einer Familie, in der körperliche Arbeit die Norm war.“

Taylor erklärt dazu: „Jesus war während seiner Mission viel zu Fuß unterwegs und war von Beruf Zimmermann, er war also kein Stubenhocker. (…) Er und seine Jünger lebten im Wesentlichen von Gastfreundschaft, Wohltätigkeit und sie teilten Essen, also glaube ich nicht, dass er so viel aß. Ich halte ihn eher für drahtig als für stämmig.“

Kein langes Gewand

Auf Gemälden trägt Jesus oft ein langes weißes Gewand, das bis zu seinen Knöcheln reicht. Im Judäa des ersten Jahrhunderts galten lange Gewänder jedoch als Frauenkleidung. Stattdessen trugen die Männer aus dieser Region eine kurze, aus zwei Teilen bestehende Wolltunika, die in der Taille mit einem Gürtel oder Band zusammengebunden war, und darunter eine dünnere Leinentunika.

Nur römische Bürger durften eine Toga tragen, doch Jesus hüllte sich vermutlich in einen dicken Wollmantel, ein sogenanntes Himation, um sich warmzuhalten. Da es sich bei Jesus um einen jüdischen Mann handelte, war sein Mantel möglicherweise an jeder Ecke mit einer geknoteten Quaste, sogenannten Zizit, versehen. Was die Farbe betrifft, zeigen Darstellungen von Jesus ihn oft mit einem roten oder blauen Mantel über seinem weißen Gewand. Archäologische Funde aus dieser Zeit zeigen, dass die Menschen tatsächlich bunte und gemusterte Kleidung trugen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Kleidung Jesu etwas gedeckter war. „Viele Kleidungsstücke wurden in leuchtenden Farben gefärbt, aber es galt als männlicher, gedecktere Farbtöne oder ungefärbte Kleidung zu tragen“, sagt Taylor der britischen Zeitung.

Die Historikerin fügte hinzu: „Aussehen und Kleidung spielen eine Rolle, und Jesus war diesbezüglich ganz klar: Er forderte diejenigen, die er in seinem Namen aussandte, auf, nur eine Tunika und ein Paar Sandalen zu tragen und kein Geld zu haben, so wie Flüchtlinge, die ohne irgendetwas anhaben, in einem bedürftigen Dorf ankommen könnten. Er selbst wäre dann sehr einfach gekleidet gewesen.“

Das Einzige, was unser modernes Bild von Jesu Kleidung wahrscheinlich richtig darstelle, sei die Tatsache, dass zu Jesu Lebzeiten die Menschen in Judäa Ledersandalen trugen. Archäologen haben in den Höhlen des Toten Meeres und von Masada sogar Beispiele von Sandalen aus dem ersten Jahrhundert gefunden. Diese zeigen, dass die Sandalen Jesu sehr einfach gewesen sein müssen: Die Sohlen bestanden aus dicken, zusammengenähten Lederstücken, und der obere Teil bestand aus Lederriemen, die durch die Zehen gingen.

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