Kolumne

Naghmeh Jahan – eine Brückenbauerin

Naghmeh Jahan war Muslima. Dann hörte sie die Stimme Gottes und bekehrte sich zum christlichen Glauben. Dass sie ihrer früheren Religion trotzdem mit Respekt und Wertschätzung begegnet, beeindruckt Uwe Heimowski.
Von PRO
Uwe Heimowski, Naghmeh Jahan

„Islamische Kalligraphie – Ästhetik der Schrift im Islam“ – ein ungewöhnliches, schönes Thema für eine Habilitationsvorlesung im Fachbereich Religionswissenschaft. Und was daran besonders bemerkenswert ist: Dr. Naghmeh Jahan, die diese Vorlesung an der Universität Jena hält, ist eine Konvertitin. Sie hat sich vom Islam zum Christentum bekehrt – ohne dabei den Respekt und die Wertschätzung vor ihrer früheren Religion zu verlieren.

Wir treffen uns in Wetzlar. Naghmeh und ich sind gemeinsam zu einer Talksendung eingeladen. Nach den ersten Instruktionen und der Maske sitzen wir bei einem Kaffee und plaudern ein wenig. Zunächst ein wenig schüchtern, erzählt die jugendlich wirkende Naghmeh immer offener von ihrer Geschichte. Ich bin berührt und beeindruckt.

Im Visier der Mullahs

Naghmeh Jahan wird 1980 im Iran geboren. Es sind unruhige Zeiten. Nur ein Jahr vorher ist die Revolution im Land ausgebrochen, Monarch Schah Reza Pachlavi gestürzt worden. Die Monarchie wird abgeschafft, der Iran zur islamischen Republik erklärt, Staatsoberhaupt wird Ajatollah Ruhollah Chomeini. Die neuen Machthaber führen scharfe Religionsgesetze gemäß der Scharia ein: Abschlagen einer Hand für Diebstahl, Steinigung für Ehebruch, die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen oder die Abkehr vom Islam.

Naghmehs Vater, wie ihre Mutter ein Lehrer, sieht die Entwicklungen im Land sehr kritisch. Mit dieser Meinung hält er nicht hinter dem Berg. Er schreibt Artikel, veröffentlicht Bücher – und wird damit immer mehr zum Feindbild der Mullahs. Die Eltern werden mit einem Berufsverbot belegt. Immer wieder kommt der Vater wochenlang nicht nach Hause, die Mutter erfindet Ausreden für die Kinder. Erst später erfährt Naghmeh von wiederholten Verhaftungen und davon, dass ihr Vater gefoltert wurde.

Doch er lässt sich nicht abschrecken und publiziert weiterhin regimekritische Texte. Als Naghmeh acht Jahre alt ist, wird sie von einem Auto angefahren und liegt mehrere Wochen im Koma. Ob der Unfall wirklich ein Unfall oder ein Anschlag auf die Familie ist, wird nie aufgeklärt. Einige Jahre später hat auch der Vater einen Unfall. An Zufall glaubt die Familie nun endgültig nicht mehr. Es sei eine übliche Methode, der iranischen Geheimdienste, Unfälle zu inszenieren, um unliebsame Personen still verschwinden zu lassen, erklärt Naghmeh.

Kurze Zeit später erhält ihre Mutter die Warnung: Der Vater wird gesucht, er soll hingerichtet werden. Es gelingt ihm, rechtzeitig das Land zu verlassen, 1997 flieht er in die Türkei, nach Ankara. Die Familie folgt ihm ein Jahr später, direkt nachdem Naghmeh ihren Schulabschluss gemacht hat. Sieben Jahre lebt die Familie in der Türkei, 2004 kommt sie nach Deutschland.

Ein veränderter Vater

Beim Wiedersehen erlebt sie einen veränderten Menschen: Ihr Vater war Christ geworden.

Religion spielte für Naghmeh immer eine Rolle. Schon als kleines Kind will sie Gott gefallen, will in den Himmel kommen. „Ich wäre bereit gewesen, für meinen Glauben zu sterben, so ernst war es mir“, erinnert sie sich. Und doch erlebt sie Allah als unpersönlich, unnahbar – die Kontrolle der Mullahs über die Religion im Iran und die strengen Vorschriften besonders für Frauen tun ein Übriges, dass sie vor allem Angst vor Gott empfindet.

Als ihr Vater in die Türkei flieht, kommt ihr Glaube in eine schwere Krise. Sie fragt sich, warum ausgerechnet sie und ihre Familie so viel Schlechtes erleben. Wie soll sie all das aushalten? Ist das Leid eine Strafe Gottes? Oder will Gott ihren Glauben prüfen? Naghmeh zweifelt an Gott und findet bei ihm doch auch Halt. Und sie hat Angst: Würde alles es noch schlimmer werden, wenn sie den Glauben verliert?

„Ich habe dich gewählt, du bist meine Tochter.“

Als Naghmeh 22 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Istanbul. Dort gibt es eine große christliche Gemeinde, der sich der Vater anschließt. Wie es Tradition ist, geht die ganze Familie mit dem Vater Woche für Woche zum Gottesdienst. Naghmeh passt sich äußerlich an, bleibt aber eine stille Muslima und betet zu Allah. Doch vieles im Christentum zieht sie an: Die Veränderungen an ihrem Vater sind offensichtlich. Und der Gott, von dem die Christen sprechen, ist anders als der Gott der Mullahs: Er ist liebevoll, ein guter Vater.

Gott spricht

Sie ringt mit sich, bis eines Tages betet: „Allah, zeig mir den richtigen Weg.“ Die Antwort kommt kurz danach. Naghmeh hat einen Traum. Dass Gott ihnen im Traum begegnet, ist eine Erfahrung, die tatsächlich viele Konvertiten aus dem Iran machen. In dieser Nacht hört Naghmeh eine Stimme: „Ich habe dich gewählt, du bist meine Tochter.“

Sie ist tief berührt, und weiß, dass es nicht einfach ein Traum ist. „Ich wusste, dass Gott mit mir gesprochen hat“, erzählt sie mit leuchtenden Augen. Wenige Wochen später wird sie in der Gemeinde getauft und ist nun offiziell eine Christin. Dass sie hier auch ihren späteren Mann kennenlernt, einen Pastor, macht ihr Glück vollkommen.

Nach Deutschland kommt sie, um zu studieren. In Hermannsburg schreibt sie sich für „Theology and Mission Studies“ ein und macht die Bachelor, anschließend absolviert sie in Göttingen ein Doppelstudium in „Religionswissenschaft“ (M.A.) und „evangelische Theologie“ (Diplom). Im Jahr 2020 wird sie in Jena im Fach „Religionswissenschaft“ promoviert. Mit ihrer Habilitation ist sie nun Privatdozentin an der Universität Jena. Eine bemerkenswerte Karriere.

Wir werden ins Studio zur Aufnahme gebeten. Naghmeh erzählt auch dort noch einmal von ihrer Bekehrung. Selten habe ich das bei einem Konvertiten gesehen: eine Begeisterung für Jesus – und eine hohe Wertschätzung für die Schönheiten in ihrer ehemalige Religion. Naghmeh Jahan, denke ich, kann in unserem Land eine wertvolle Brückenbauerin werden zwischen Christen und Muslimen.

Zum Autor

Uwe Heimowski ist Leiter der christlich-humanitären Hilfsorganisation „Tearfund“ und Mitglied des Vorstandes der Christlichen Medieninitiative pro, die auch das Christliche Medienmagazin PRO herausgibt. An dieser Stelle schreibt er einmal im Monat darüber, was er mit Menschen aus aller Welt erlebt.

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