Im August begann das Experiment, das sogar in der internationalen Presse ein Echo fand: In der Peterskapelle in Luzern, der ältesten Kirche der Stadt, nahm ein von Künstlicher Intelligenz geführter Jesus Besuchern die Beichte ab. Im Beichtstuhl standen ein Computer und ein Bildschirm, über den die Beichtenden mit dem Abbild des künstlichen Jesus sprechen konnten.
Das Projekt mit dem Namen „Deus in Machina“ (Gott in der Maschine) sorgte bereits beim Start für kontroverse Diskussionen. Die Peterskapelle wurde im 12. Jahrhundert gebaut und ist das älteste Kirchengebäude der Stadt. Das Experiment mit dem KI-Jesus stellt somit einen bewusst gewählten Kontrast zur jahrhundertealten Geschichte der Kirche dar.
Das zeitlich begrenzte Experiment ist nun vorbei, die Verantwortlichen haben die Ergebnisse ausgewertet und am Mittwochabend präsentiert. Die KI wurde von der Kirche in Zusammenarbeit mit dem „Immersive Realities Lab“ der Hochschule Luzern erstellt. Vor dem KI-Jesus arbeiteten das Team bereits an ähnlichen VR- und AR-Projekten, die eine digital-affine, jüngere Zielgruppe wieder für die Kirche begeistern sollten.
Bevor der Besucher seine Beichte beginnen konnte, fragte der KI-Jesus zunächst nach dem Einverständnis zur Datenverarbeitung, außerdem warnte er davor, keine persönlichen Daten preiszugeben. Wahrscheinlich fielen allein deshalb die Beichten nicht ganz so persönlich aus, wie man es von einer Beichte sonst gewohnt ist.
Es handele sich hierbei auch nicht um ein offizielles Sakrament der Beichte, betonen die Initiatoren. Vielmehr gehe es darum, kritisch über die Grenzen der Technologie im religiösen Kontext nachzudenken. Das KI-Programm wurde zuvor mit theologischen Texten und der Bibel trainiert. Es kann in 100 Sprachen kommunizieren.
Internationales Medieninteresse
Nach über zwei Monaten stellten am Mittwoch Christian Preidel, Pastoraltheologe von der Universität Luzern, und Aljosa Smolic, Co-Leiter des „Immersive Realities Research Lab“ erste Ergebnisse des Versuchs in Luzern vor. Demzufolge wurden während der Ausstellung etwa 900 Gespräche aufgezeichnet, 290 Besucher füllten nach dem Gespräch den Fragebogen aus.
„Die Gespräche deckten eine breite Palette von Themen ab, darunter Liebe, Beziehungen und Glück“, teilten die Forscher der Hochschule Luzern gegenüber PRO mit. „Fragen über Gott; die Kirche; Einsamkeit, Depression und Gewalt; Ängste vor dem Tod und Gedanken über das Jenseits; Selbstverbesserung und Lebenssinn; LGBTQ+-Themen; sowie das Streben nach innerem und äußerem Frieden.“
Obwohl viele Besucher ernsthafte Diskussionen führten, habe es „Hinweise auf (anfängliche) Skepsis gegenüber der KI“ gegeben, heißt es weiter. Die Fragebögen zeigen, dass die meisten Besucher älter und überwiegend katholische Christen waren, mit kleineren Gruppen von Protestanten, Atheisten, Agnostikern und nicht-christlichen religiösen Teilnehmern.
Ein Fernsehteam der britischen BBC, des amerikanischen Senders „Fox News“ und viele andere seien vor Ort gewesen, sagten die Verantwortlichen. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtete über das ungewöhnliche KI-Kirchen-Experiment und vermeldete: Der KI-Jesus wurde von den Besuchern offenbar insgesamt positiv angenommen.
Unter den Beichtenden waren auch Muslime und Touristen etwa aus China und Vietnam. Das Feedback zeige, dass zwei Drittel von ihnen von einer „spirituellen Erfahrung“ sprachen. Andere waren negativer, einige sagten, es sei ihnen nicht möglich, sich länger mit einer Maschine zu unterhalten.
Den Glauben übernimmt keine KI
Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter der Peterskapelle, erklärte gegenüber der britischen Zeitung, einige Besucher hätten sich getröstet und bestärkt gefühlt, andere allerdings empfanden die Antworten als oberflächlich oder klischeehaft. „Es war ein Experiment“, sagte Schmid. „Wir wollten sehen und verstehen, wie die Menschen auf einen KI-Jesus reagieren. Worüber würden sie mit ihm sprechen? Wären sie daran interessiert, mit ihm zu sprechen?“
Schmidt betonte, die Idee haben großes Potenzial. „Es ist ein wirklich einfaches, zugängliches Werkzeug, mit dem man über Religion, über das Christentum, über den christlichen Glauben sprechen kann“, sagte er. Abgesehen von der Neugier auf die Technik suchten viele Menschen offenbar nach geistlichem Input. Schmid weiter: „Ich glaube, es besteht ein Durst, mit Jesus zu sprechen. Die Menschen wollen eine Antwort, sie wollen Worte und wollen hören, was er sagt.“
Eine Reporterin von „Swiss Info“ testete den KI-Jesus und stellte fest: Der elektronische Beichtvater verstand zwar, was sie sagte, erkannte an ihrer Stimme aber nicht, dass sie eine Frau ist.
Sie urteilte: „Letztlich ist das Gespräch mit dem Avatar faszinierend: Er beantwortet meine Fragen sinnvoll, einfühlsam und klug. Manchmal ist er jedoch abgedroschen, repetitiv und strahlt die Weisheit von Kalendersprüchen aus. Es bleibt eben eine Maschine.“
Auch ein Fernsehteam der „Deutschen Welle“ (DW) besuchte den Beichtstuhl in Luzern und stellte fest: „Jesus neigt zu Gegenfragen, kommt aber überwiegend gut an.“ Eine Besucherin sagte den Journalisten: „Ich war überrascht, denn es war so leicht. Er hat mir Ratschläge in christlicher Hinsicht gegeben. Ich bin wirklich erleichtert rausgegangen.“ Gegenüber DW sagte Schmid, ein Vorteil der KI sei, dass sie anders als menschliche Seelsorger rund um die Uhr erreichbar sei. Auch sei der Zugang für jeden sehr einfach.
Für seinen Roman „Der elektrische Mönch“ (1987) dachte sich der britische Science Fiction-Autor Douglas Adams einen Roboter aus, dessen Aufgabe es war, Dinge zu glauben, um dies allen anderen Menschen abzunehmen. Bei aller KI in der Kirche bleibt die Hoffnung, dass wenigstens das Glauben weiter echte Menschen aus Fleisch und Blut übernehmen.