Die Debatte über die Abschaffung des Paragrafen 218 zu Schwangerschaftsabbrüchen geht weiter. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erklären namhafte Juristen und Mediziner am Donnerstag, die Reformbewegung sei „von einseitiger Perspektive, unzutreffenden Prämissen und fehlerhaften Ableitungen geprägt“. Sie ignoriere neue Erkenntnisse der Pränatalmedizin und verzerre die Rechtslage nach Verfassungs- und Völkerrecht. Ein Gesetzesentwurf von Abgeordneten der SPD, der Linken und der Grünen könnte noch im Dezember erstmalig im Deutschen Bundestag diskutiert werden.
Fötus ist Individuum
Da schon der Fötus heute zum Patienten werde – Krankheiten seien schon früh in der Schwangerschaft diagnostizier- und therapierbar – müsse er mehr denn je als ungeborenes Individuum gelten. „Wenn Ärzte zögern, einen Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Schwangeren vorzunehmen, dann nicht, weil der Schwangerschaftsabbruch mit Strafe bedroht ist, sondern weil sie sich ihrem Selbstverständnis nach auch für das Wohl des von ihnen in seiner Individualität erfassten Ungeborenen als eines zweiten Patienten verantwortlich fühlen und wissen“, schreiben die Fachleute. Und weiter: „Wer Mensch ist, ist es von Anfang an.“ Das bezeuge auch das Grundgesetz, indem es jedem Menschen dieselbe Würde zuspreche.
Zudem erachten die Verfasser den Schwangerschaftsabbruch bereits nach geltender Rechtslage als „vollständig entkriminalisiert“. Die geplante Neuregelung wolle eine einseitige Änderung „zulasten des Ungeborenen“ und sei damit „verfassungsrechtlich unzulässig und völkerrechtlich entgegen anders lautenden Behauptungen keineswegs geboten“. Denn kein völkerrechtlicher Vertrag, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, gewähre ein „Recht auf Abtreibung“.
Der im Bundestag zu diskutierende Gruppenantrag für die Reform des Abtreibungsrechts sieht vor, eine Beratungspflicht für Betroffene beizubehalten, schafft aber die Strafe für einen Verstoß dagegen ab. Die sei ein Ausdruck dafür, „wie wenig den Initianten des Gesetzentwurfs der Schutz des ungeborenen Lebens noch wert ist“. Die Autoren stellen fest: Mit diesem Entwurf wäre ein „Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens (…) nicht mehr hinreichend gewährleistet“.
Zu den Verfassern zählen die Richterin am Bundesgerichtshof, Angelika Allgayer, die ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts, Karin Graßhof, sowie verschiedene Fachärzte für Frauenheilkunde und ein Experte für internationales Recht.
Hänel plädiert für Reform
Ebenfalls am Donnerstag forderte die Allgemeinärztin Kristina Hänel in der „Zeit“ erneut eine Abschaffung des Abtreibungsverbots. „Kein einziges Strafverbot hat jemals zur Verhinderung von Abtreibungen geführt, nicht einmal die Einführung der Todesstrafe während der Nazidiktatur“, schreibt sie.
Hänel ist der Überzeugung, dass Frauen, wenn sie einen Entschluss zur Abtreibung gefasst haben, „eine medizinisch und menschlich korrekte Behandlung nicht nur brauchen, sondern auch beanspruchen dürfen“. Dies sei in Deutschland nicht der Fall. Frauen und Helfer würden stigmatisiert, die Versorgungslage sei schlecht, die Krankenkassen übernähmen die Kosten für Abbrüche nicht. „Auch Forschung, Lehre und Ausbildung sind noch immer rückständig“, schreibt Hänel.
Kristina Hänel kämpft seit vielen Jahren für eine Änderung des Abtreibungsrechts. Schon in der kommenden Woche könnte der Deutsche Bundestag sich mit letzterem beschäftigen. Ob es aber vor der Neuwahl im Februar zu einer Abstimmung kommt, ist fraglich.
Appell von Verbänden
Ebenfalls am Donnerstag appellierte eine Allianz aus 73 Verbänden schriftlich an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, den interfraktionellen Gesetzentwurf zu unterstützen. Darunter sind etwa Vertreter der „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO), der „Evangelischen Frauen in Deutschland“ oder des Deutschen Ärztinnenbundes.