Johann Hinrich Claussen zeichnet in seinem Buch „Gottes Bilder: Eine Geschichte der christlichen Kunst“ die Entwicklung der christlichen Kunst von den Anfängen bis in die Moderne nach. Das Buch ist wie eine Ausstellung aufgebaut. Der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geleitet den Leser durch zwölf thematische Säle. Jeder dieser Säle beleuchtet unterschiedliche Epochen und Kunststile, von den ersten sakralen Darstellungen im antiken Israel bis zu modernen christlichen Kunstwerken.
Zum Einlass präsentiert Claussen eine Illustration des flämischen Grafikers Theodor Galle. Im Halbkreis haben sich zehn Maler mit ihren Staffeleien um einen Hügel geschart, auf dem der das Kreuz tragende Christus – Jesus, der Anfänger und Vollender des Glaubens – den Künstlern sprichwörtlich Modell steht. Die verschiedenen Darstellungen der Maler weichen – mit Ausnahme einer an zentraler Position – jedoch erheblich von dem ab, was die Künstler tatsächlich vor Augen haben.
Ein Maler bannt die Anbetung der Könige auf die Leinwand, ein anderer die Speisung der Fünftausend, der nächste die Hochzeit zu Kana. Die verschiedenen Perspektiven auf den Erlöser der Welt haben die Künstler zu unterschiedlichen Darstellungen veranlasst. Das eine Modell findet Niederschlag in zehn Interpretationen. Die Intention des Buches erklärt mittels einer Grafik um 1600.
Gleich zu Beginn wirft Claussen die Frage auf, wie das Christentum, das eigentlich „dem alttestamentlichen Bilderverbot verpflichtet“ ist, dennoch „zugleich eine reichhaltige Bilderwelt“ entwickeln konnte. Diese Spannung zwischen Bildverbot und Darstellung zieht sich als eine Art roter Faden durch das Buch. Das Paradox: Einerseits soll christliche Kunst den Glauben veranschaulichen, andererseits darf sie diesen nicht ersetzen.
Vielfalt präsentierter Kunstwerke
Claussen setzt sich beim Gang durch die Säle intensiv mit den theologischen, historischen und kulturellen Hintergründen der beschriebenen Werke auseinander und zeigt, wie sich die Darstellung des Gekreuzigten, Marias, der Apostel, Propheten, Märtyrer und Heiligen im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und mit ihnen Formen und Symbole.
Das Buch ist reich bebildert. Das macht die Darlegungen der Autors visuell nachvollziehbar. Claussen betont die Bedeutung, sich Zeit für die Betrachtung von Kunstwerken zu nehmen. „Im Studium der Kunstgeschichte lernt man, dass man ein Bild eine Stunde lang betrachtet haben müsse, bevor man es tatsächlich ‚gesehen‘ habe“, schreibt Claussen. Die oberflächliche, schnelle Wahrnehmung von Bildern in der modernen Gesellschaft kann auch als Kritik an der Bilderflut in den sozialen Medien interpretiert werden.
Claussen gelingt es, die Kunstwerke früherer Zeiten dem Leser und Betrachter verständlich zu machen und deren tiefere Bedeutung aufzuschließen. Ein Reiz des Buches liegt in der Vielfalt der präsentierten Kunstwerke: Neben berühmten Meisterwerken werden auch weniger bekannte oder gar vergessene Skulpturen, Grafiken, Zeichnungen, Stiche, Gemälde, Fresken und Ikonen vorgestellt und aus theologischer Sicht reflektiert. Das eröffnet neue Perspektiven auf die christliche Kunstgeschichte.
Insgesamt ist „Gottes Bilder“ eine reichhaltige und zugängliche Einführung in die christliche Kunstgeschichte. Für Kunstinteressierte ein wohl kuratierter und somit lesenswerter Museumsgang durch die christliche Kunst von der Antike bis in die Gegenwart.
Johann Hinrich Claussen: „Gottes Bilder – Eine Geschichte der christlichen Kunst“, C.H. Beck, 318 Seiten, ISBN 978-3406822162