Dietrich Bonhoeffer offenbarte nicht nur das Versagen der Evangelischen Kirche bei der Machtergreifung der Nazis, er steht auch wie kaum ein anderer für den ehrlichen christlichen Glauben, der sich der weltlichen Obrigkeit entgegenstellt. Schade, dass es bisher keinen deutschen Spielfilm gab, der dem bekannten deutschen Theologen ein angemessenes Denkmal setzte. Vor 24 Jahren war es der britische Regisseur Eric Till, der sich mit „Bonhoeffer – Die letzte Stufe“ daran versuchte – mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle. Nun veröffentlicht die amerikanische Produktionsfirma „Angel Studios“ („The Chosen“) einen Spielfilm, der das Bisherige übertrifft.
Mehrere Faktoren kamen hier zusammen, denen dieser äußerst sehenswerte Spielfilm zu verdanken ist. Zum einen ist das der Amerikaner Todd Komarnicki, der für „Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin“ Regie führte und das Drehbuch schrieb. Komarnicki schrieb unter anderem die Drehbücher für die Erfolgsfilme „Sully“ mit Tom Hanks, „The Professor and the Madman“ mit Mel Gibson und „Buddy – Der Weihnachtself“. Zum anderen findet sich im Film eine Riege einiger der besten Schauspieler, die Deutschland zu bieten hat.
Dietrich Bonhoeffer wird dargestellt von Jonas Dassler, dem mehrfach ausgezeichneten Schauspieler, der seit 2017 festes Ensemblemitglied am Maxim Gorki Theater in Berlin ist. Bekannt wurde er einem breiteren Publikum durch seine Hauptrolle im Film „Der goldene Handschuh“, von der European Film Promotion wurde Dassler 2020 in die Liste der zehn „European Shooting Stars“ aufgenommen. Als der deutsche evangelische Theologe Martin Niemöller, der im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert war, tritt August Diehl in Erscheinung, der diese Rolle beeindruckend übernimmt. Diehl ist bekannt aus „Was nützt die Liebe in Gedanken“ (2004) oder aus Quentin Tarantinos Oscar-prämiertem „Inglourious Basterds“ (2009), 2019 verkörperte er in Terrence Malicks Drama „Ein verborgenes Leben“ den gläubigen österreichischen Landwirt und Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter.
Bonhoeffers Vater Karl wird gespielt von Moritz Bleibtreu („Lola rennt“, „Der Baader Meinhof Komplex“). Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi, der zur Gruppe gehörte, die einen Anschlag auf Hitler verüben wollte, wird gespielt von Flula Borg, einem Deutschen, der in Amerika lebt und eigentlich als Youtuber bekannt wurde. Hier macht er aber einen erstaunlich guten Job. Die Frage steht im Raum: Kann, soll, darf ein Christ einen Tyrannenmord begehen, oder sollte er nur durch Liebe die Welt verändern? Bonhoeffer ist überzeugt: „Manchmal ist die einzige Möglichkeit, den Herrn der Lüge zu bekämpfen, noch besser zu lügen als er.“
„In Harlem fand ich echten Glauben anstelle von toter Religion“
Dem Drehbuch und der schauspielerischen Leistung ist es zu verdanken, dass „Bonhoeffer“ trotz seiner Länge von über zwei Stunden fabelhaft funktioniert. Der Film blickt zunächst auf die unbeschwerte Kindheit Bonhoeffers, um dann dessen Werdegang als Theologe zu verfolgen. Schon früh ist ihm klar, dass die Ideologie der Nazis im krassen Gegensatz zum christlichen Glauben steht.
Für eine amerikanische Produktion ist es nicht verwunderlich, dass sie ein besonderes Augenmerk auf den Amerikaaufenthalt des Theologen legt. Bonhoeffer lernte in den USA nicht nur einen befreiten christlichen Glauben aus dem Herzen kennen, sondern auch die Gospel-Musik und den Jazz, der bis dato in Deutschland nur wenigen bekannt war. Ob der junge Theologe allerdings wirklich in kurzer Zeit zum gefragten Jazz-Pianisten von New Yorks Kneipen wurde, ist nicht überliefert – im Film jedenfalls macht er aus der eher behäbigen „Air” von Johann Sebastian Bach im Nu einen Jazz-Hit. (Schön stellt der Film den Kontrast dar, als Bonhoeffer anschließend zu Hause in Deutschland am Klavier seiner Familie den Jazz näherbringen will. Die reagieren, als ob er verrückt geworden sei.)
Vor allem aber teilt Bonhoeffer den Daheimgebliebenen mit, dass er sich nun von der Religion trennen möchte. Ein Motiv, das sich wie ein roter Faden durch den Film zieht: Der eher verkopfte deutsche Theologe, bei dem sich der Glaube bislang vor allem im Kopf abgespielt hat, findet eine persönliche Beziehung zu Gott. „In den Kirchen in Harlem fand ich echten Glauben anstelle von toter Religion“, sagt er.
„Niemand hat Religion mehr gehasst als Jesus Christus“
Die Kirche in Deutschland verfällt dem verführerischen Angebot Hitlers, als „Reichskirche“ Macht und Einfluss zu gewinnen. Von der Kanzel ruft „Reichsbischof“ Ludwig Müller: „Gott hat Deutschland einen Propheten gesandt. Einen wahren Erlöser.“ Bonhoeffer ist entsetzt: „Von jemand anderem als Erlöser zu sprechen als von Jesus ist Blasphemie, und das von einer Kanzel!“
Auch Martin Niemöller ist zunächst ebenfalls froh über die plötzliche Bedeutung, die die „Deutschen Christen“ bekommen sollen. Später erkennt er seinen Irrtum und schließt sich der von Bonhoeffer mitbegründeten Bekennenden Kirche an. Auf die Frage, was mit der Kirche falsch lief, sagt Bonhoeffer: „Die Kirche wollte Religion ohne Christus. Aber was wir brauchen, ist Christus ohne Religion.“ In einer Predigt betont er, dass Christen auf das Wort Gottes hören sollten, nicht auf das von Menschen, und er spricht einen Widerspruch an, den die Welt und auch die Kirche oft missverstanden haben: „Es gab in der Geschichte keinen Menschen, der Religion mehr gehasst hat als Jesus Christus. Er wollte nie unsere Religion. Er wollte uns.“ Die Nazis hätten Religion aber offenbar geliebt, und genau deswegen hätten sie die wahrhaftige Nachfolge Jesu verachtet.
Doch die Nazis hatten ein Problem: Weil der christliche Glaube auf dem Judentum fußte, auf einem jüdischen Rabbi und auf einem hebräischen Buch, verbannten sie alle Bibeln, Jesus-Darstellungen und Heiligen-Statuen aus den Kirchen. Das Hakenkreuz hielt Einzug in die Kirchen, ihre Bibel zeigte einen arischen Jesus und anstatt Zehn Geboten waren es zwölf. Die nationalsozialistische Ergänzung: Man solle „den Führer ehren und das Blut rein halten.“ Auch diese Übernahme der Kirche durch die Nazis rückt der Film in Erinnerung, sie fand in einer Kundgebung im Berliner Sportpalast 1934 ihren Höhepunkt.
Bonhoeffers Botschaft heute genauso dringend wie 1945
„Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin“ zeigt auch den Aufbau des Finkenwalder Predigerseminars bei Stettin, in dem Bonhoeffer jene Vikare ausbildete, die sich für die Bekennende Kirche und gegen die Reichskirche entschieden hatten. Im Film liegt das Haus scheinbar direkt am Meer; das stimmt nicht ganz mit der Wahrheit überein. Auch über andere marginale historische Ungenauigkeiten muss der Zuschauer hinwegsehen. So wurde Bonhoeffer sicher nicht vor einer alten Dorfschule bei einem kitschigen Sonnenaufgang hingerichtet, sondern eher unspektakulär und nackt ausgezogen in einem engen Hinterhof im KZ Flossenbürg.
Der Film schweigt sich zudem aus über das in Deutschland berühmte Lied „Von guten Mächten“, das Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle zu Silvester 1944 schrieb – es ist immerhin Bonhoeffers letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945. Auch Bonhoeffers Verlobte Maria von Wedemeyer kommt im Film nicht vor. Dennoch ist dies ein gut gemachter, wichtiger Film, der nicht nur Bonhoeffers Leistung hervorhebt und dem Zuschauer den Menschen näherbringt, er erinnert auch an das Versagen der evangelischen Kirche in jener dunklen Zeit zwischen 1933 und 1945. Regisseur Komarnicki sagte bei der ersten Präsentation vor einem Jahr: „Dietrichs Botschaft des Friedens und des Mutes ist im Jahr 2023 genauso dringend wie im Jahr 1945.“
Protest gegen den Film
In einem offenen Brief protestieren deutsche und amerikanische Theologen, der Film werde dem deutschen Widerständler nicht gerecht. Die Unterzeichner warnen, Bonhoeffer selbst und damit auch der Spielfilm könnt von „christlichen Nationalisten“ in den USA missbraucht werden, um politische Gewalt zu legitimieren. Sie setzten ihre politischen Gegner mit Nazi-Verbrechern gleich und stellten ihre eigenen militanten Aktionen auf eine Stufe mit dem Widerstand gegen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft, lautet der Vorwurf.
Bonhoeffers Widerstand gegen Hitlers Regime diene hier als Tarnung für ihre Agenda und ihre zunehmende Gewaltbereitschaft, warnen die Unterzeichner. Die Kritik bezieht sich dabei auch auf die umstrittene Bonhoeffer-Biografie „Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet“ des amerikanischen Autors Eric Metaxas, die „sachlich fehlerhaft“ sei.
„Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin“, 135 Minuten, Regie: Todd Komarnicki, ab 13 Jahren, Start in US-Kinos: 22. November 2024.