Süddeutsche Zeitung über die „Last der überflüssigen Kirchen“

In den kommenden Jahren wird vermutlich jede Fünfte der aktuell 42.000 Kirchen leer stehen oder umgenutzt. Damit gehe nicht nur christlich-kulturelles Erbe verloren. Es fehle auch eine Debatte über diese Entwicklung.
Von Johannes Blöcher-Weil
Ein Beispiel für eine entwidmete Kirche: der Innenraum der Aegidienkirche in Hann. Münden. Hier ist seit 2010 Café Aegidius beherbergt

Die Architekturprofessorin Stefanie Lieb geht davon aus, dass bis 2033 „jede vierte bis fünfte Kirche nicht mehr in der Ursprungsnutzung als Gottesdienstraum Verwendung findet“. Das sind bis zu 10.000 Gotteshäuser. Grund dafür seien sinkende Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen und damit auch sinkende Kirchenteuern.

Während evangelische Kirchen durch die zuständigen Landeskirchen entwidmet werden, ist in den Bistümern ein Beschluss des Bischofs notwendig, um Kirchen zu „profanieren“. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass seit 1990 bundesweit 603 katholische Kirchen profaniert und 444 entwidmete evangelische Kirchen abgerissen oder verkauft wurden. Alleine Bayern stecke jährlich weit mehr als 100 Millionen Euro in den Erhalt der Gebäude.

Fitnessstudio, Fahrradgeschäft oder Coworking-Space

Das Bistum Essen hatte 2006 als erstes verkündet, dass es ein Drittel der Gebäude nicht mehr finanzieren kann. Das Land Nordrhein-Westfalen begleitete den Prozess der Umnutzung. Seitdem wurden mehr als 100 Kirchen umfunktioniert – etwa in Fitnessstudios oder in ein Fahrradgeschäft.

Dass leere und abgerissene Kirchen auch den Verlust eines Begegnungs- und Ruheraums für Christen bedeutet, betont der Pfarrer und Architekt Jörg Beste. Die Kirchen hätten sich lange nicht an das Thema herangewagt. In Bayern will das Bistum Würzburg seine Kirchen bis Ende 2024 kategorisieren lassen. Auch andere Bistümer ziehen nach. Allerdings fehlen, laut Süddeutscher Zeitung, noch größere, überkonfessionelle Kooperationen.

Denkmalschutz ist auch keine Lösung

Es gebe einzelne Orte, an denen sich Gemeindemitglieder, andere Nutzungskonzepte überlegen. Aber das koste viel Geld und Kraft. Die Variante, die eigene Kirche unter Denkmalschutz zu stellen, bringe keinen Mehrwert. Man werde sich dran gewöhnen müssen, dass viele heilige Gebäude „irgendwann mal sehr profan werden“, sagt Matthias Pfeil, vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.

Sebastian Klawiter, Lehrstuhlinhaber an der TU München, sieht in der Welle, die auf Deutschland zurolle, auch ein „ungeheures Potenzial für Gutes“. Damit die Kirchen nicht in die Hände von gierigen Investoren fielen, möchte er eine Taskforce gründen, die Kirchen in Bayern durch die Transformationen begleiten soll – „auf umsichtige Weise“.

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