„Startrampe für die Ideen der nächsten Generation“

Jörg Dechert leitete ein Jahrzehnt lang ERF Medien. Nun plant der promovierte Physiker ein neues Projekt. Mit „Sinnkubator“ will er christliche Startups unterstützen.
Von Christoph Irion

PRO: Genau zehn Jahre lang warst du Vorstandsvorsitzender beim ERF. In wenigen Tagen, am 30. September, endet diese Wegstrecke. Du selbst hast es so entschieden: Du bist über einen längeren Prozess des Nachdenkens zu der Erkenntnis gelangt, dass du neue Aufgaben übernehmen willst. Wohin soll denn die Reise gehen?

Jörg Dechert: Das war in der Tat eine längere Wegstrecke. Ein fast drei Jahre dauernder Prozess mit viel Gebet und Hinhören und Gespräch, durch den bei mir die Erkenntnis gereift ist: Meine geistliche Berufung als Vorstandsvorsitzender geht zu Ende. Dabei blieb zunächst die Frage offen: Hey, und was kommt danach? Inzwischen ist es klar, und ich kann jetzt kommunizieren, wohin die Reise geht: Wir werden eine Firma namens „Sinnkubator“ gründen, und wollen christliche Gründer mit ihren neuen Ideen fördern und begleiten. „Sinnkubator“ soll eine Startrampe für diese Ideen sein. „Wir“, das sind einige Unternehmer, die ERF Stiftung und ich. Wir wollen gemeinsam unternehmerisches Denken und Handeln im Reich Gottes fördern und innovative christliche Startups zum Fliegen bringen. Am 1. Januar 2025 geht’s los.

Was war der Anstoß dafür?

Eine der Fragen, die mich in den letzten Jahren umgetrieben hat, lautet: Wie können wir als Christen unternehmerisches Denken und Handeln und geistliche Leidenschaft miteinander verbinden? Ich habe als Vorstandsvorsitzender versucht, das in den ERF hineinzutragen, in die Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen, in unsere strategischen Überlegungen. Irgendwann und ganz unabhängig von meiner persönlichen Berufungsfrage haben mein Co-Vorstand hier beim ERF, Christian Kolb, und ich angefangen ein Konzept zu entwickeln, wie wir das auch über den ERF hinaus tun könnten.

… das ist eigentlich nicht nur ein internes ERF-Thema …

Ganz genau. Wir brauchen viel mehr unternehmerisches Denken und Handeln in der gesamten christlich geprägten Szene. Nicht nur in einer oder zwei Organisationen, sondern überall. Ob das Werke sind, Gemeindeverbände, Ausbildungsstätten oder einzelne Christen. Und dafür würde ich mich gerne einsetzen.

„Geistliche Leidenschaft und unternehmerisches Denken und Handeln gehören verbunden.“

Geistliche Leidenschaft und professionelles Management so zu verbinden, dass Wachstum, Erfolg und Segen daraus wird im Reich Gottes. Woran scheitert das denn?

Ich erlebe im christlichen Kontext manchmal ein Gegeneinander von zwei Polen. Vereinfacht gesagt: Da sind die einen mit der geistlichen Sicht. Und die anderen mit der unternehmerischen Sicht. Dabei haben wir es mit komplexen Herausforderungen und Problemen zu tun. Die einen neigen dann dazu zu sagen: Wir sind keine Firma, wir sind ein Glaubenswerk, also müssen wir die Probleme im Glauben angehen. Vielleicht müssen wir einfach mehr beten. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die sich Excel-Tabellen anschauen und sagen: So geht das nicht, wir müssen jetzt unternehmerisch dies und das tun. Ich glaube: Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Sondern sie liegt in einer Verbindung von diesen beiden Polen. Meine Beobachtung ist: Überall da, wo im Reich Gottes Projekte, Werke, Initiativen, Kampagnen wirklich vorankommen, durch die Decke gehen, da ist immer eine Verbindung aus beiden Polen. Wenn wir als Christen Verantwortung tragen und Herausforderungen meistern wollen, dann finde ich es richtig, wenn wir beten und die Dinge im Glauben angehen. Aber wir sind auch begabte Menschen, die lernen können, wie man Projekte skaliert, wie Marketing geht, wie man konsequent Entscheidungen trifft, wie man neue Wege ausprobiert, die Ergebnisse auswertet und wie man marktorientiert agiert. Also: Geistliche Leidenschaft und unternehmerisches Denken und Handeln gehören verbunden. Und ich glaube: Von dieser Verbindung brauchen wir mehr.

Wenn Eure Firma „Sinnkubator“ im Januar 2025 in Wetzlar an den Start geht – wie sieht so ein Start aus?

Das ist das Spannende bei so einem Gründungprojekt: Die ersten zwei Wochen kann man jetzt schon planen. Und danach wird alles anders, als ich es heute denken könnte. Klar ist: Weil unternehmerisches Denken und Handeln in unserer christlichen Subkultur ein bisschen unterentwickelt ist, müssen wir das erst einmal breit zum Thema machen, an vielen Stellen. Bei Jugendverbänden, Ausbildungsstätten, Events oder auch in der Breite über soziale Netzwerke. Wir müssen über dieses Thema sprechen, wir brauchen Ausbildung, Schulungen, Workshops, Best Practice und vieles mehr, um das Thema positiv zu öffnen.

Und der nächste Schritt?

Irgendwann im Laufe des nächsten Jahres werden wir hoffentlich so weit kommen, dass wir Gründer kennengelernt haben und sie herausfordern können, sich mit ihrer Idee bei uns zu bewerben. Engagierte Christen, die vielleicht heute noch in einem anderen Feld tätig sind. Oder noch im Studium. Oder unterwegs zwischen zwei Jobs. Die das vielleicht noch gar nicht von sich selber denken, die aber eigentlich das Zeug hätten, ihre Idee unternehmerisch aufzubauen. Die Idee kann dabei aus dem Nonprofit-Bereich kommen oder eine Geschäftsidee sein. Vielleicht haben diese Menschen einen Hauskreis oder einen Pastor, die sie im Gebet unterstützen, aber keinerlei unternehmerischen Support. Und das möchten wir gerne ändern.

Mal ganz praktisch: Ein Freund von mir und seine Frau haben tolle Talente, verfügen auch über gute Ausbildungen. Er ist Hobbykoch mit Meisterklasse-Qualitäten. Mit ganz viel Liebe und Kreativität. Sie: Eine tolle Organisatorin, stilsicher in Präsentationsfragen und hat dazu eine kaufmännische Ausbildung. In ihrer früheren Kirchengemeinde haben die beiden flotte Jugendarbeit gemacht. Auch in Zukunft wollen sie irgendwie Menschen für Jesus gewinnen. Aber sie wohnen in der Pampa, irgendwo in der strukturschwachen Region. Können die zu dir kommen? Und wenn ja, was sagst du denen?

Meine erste Frage an sie wäre: Was ist eure Idee für das Reich Gottes? Das, was wir fördern wollen, soll im weitesten Sinne Reich Gottes bauen. Bei deinen Freunden könnte das zum Beispiel sein, evangelistische Kochkurse anzubieten. Meine zweite Frage: Wie kann man das skalieren? Wenn du einen evangelistischen Kochkurs in deiner Gemeinde anbieten willst – gute Idee, sei gesegnet. Aber das reicht für ein „Sinnkubator“-Projekt noch nicht; für uns ist auch die unternehmerische Wachstumsperspektive wichtig: Können wir uns so ein Projekt überregional vorstellen, das groß und weit wachsen kann und viele Menschen erreicht? Vielleicht so ähnlich wie beim Alphakurs, der Menschen die Grundlagen des christlichen Glaubens vermittelt – eine Idee, die in Holy Trinity in Brompton in England begonnen hat, aber die Gründer sind da nicht stehengeblieben. Den Alphakurs gibt es heute in der ganzen Welt.

„Wir helfen dir, deiner Idee unternehmerische Flügel und damit Wirkung zu verleihen.“

Wie kann ich mir eure Begleitung und Förderung vorstellen?

Wir helfen dir, deiner Idee unternehmerische Flügel und damit Wirkung zu verleihen. Und das immer auf zwei Ebenen. Das eine ist die Projektentwicklung: Wie funktioniert deine Idee? Wo bekommst du das Geld her? Wie sieht der Businessplan aus? Wie kannst du Menschen dafür gewinnen, wie willst du sie vermarkten, was genau bedeutet für dich Erfolg, wie kannst du umsteuern, falls es nicht gut läuft?

Die zweite Ebene ist genauso wichtig – und das ist die Frage der persönlichen Entwicklung. Da geht es um Training, Schulung und deine persönlichen Kompetenzen. Und um die Frage: Welche Leute brauchst du? Von wem kannst du lernen? Wie knüpfst du ein Netzwerk, damit sich deine Idee rumspricht und wachsen kann?

Als „Sinnkubator“ wollen wir geeignete Gründern für zwei Jahre mit an Bord nehmen und sie und ihre Projektidee auf diesen beiden Ebenen fördern und begleiten. Und dann schauen wir, ob wir die Idee gemeinsam zum Fliegen bekommen haben.

Viele begabte Gründerinnen und Gründer haben tolle Ideen. Was sie nicht haben, ist Startkapital. Mit dieser Frage können sie nicht zu euch kommen, oder?

Wir sind kein Finanzgeber für Projekte. In Deutschland gibt es ja im Startup-Umfeld bereits viele Stiftungen oder Venture-Capital-Geber, bei denen man mit einer guten Geschäftsidee Mittel beantragen kann. „Sinnkubator“ ist dagegen so etwas wie eine Projekt- und Persönlichkeitsentwicklungsagentur. Wir wollen Gründern natürlich dabei helfen, in Sachen Finanzierung in die Spur zu kommen und Förderer für ihre Idee zu finden. Aber am Ende müssen sie diese Gewinnung von Finanzierung selber wollen und lernen und selber tun. Ich finde es wichtig, dass gerade christliche Gründer neben aller geistlichen Leidenschaft für ihre Idee von Anfang an auch lernen, ein erfolgreiches Marketing zu entwickeln, mit Geld umzugehen und ein modernes Fundraising oder Businessmodell auf den Weg zu bringen.

Wollt ihr bereits laufende Projekte in bestehenden Werken, Gemeinden oder Organisationen fördern oder geht es vor allem um ganz andere und neue Ideen und Startups?

„Sinnkubator“ zielt auf neue Ideen und Projekte. Wenn du sagst: „In meiner Gemeinde oder meinem Werk dümpelt seit vier Jahren so ein Projekt vor sich hin, könnt ihr das nicht für weitere zwei Jahre über Wasser halten?“, dann sind wir nicht dein Ansprechpartner. Wir wollen Leute fördern, die sagen: Ich habe da eine ganz verrückte Idee, mein Herz brennt für etwas. Ich weiß aber nicht, wie ich das starten und auf unternehmerisch tragfähige Beine stellen soll. Wenn du so eine Idee hast für das Reich Gottes, dann komm zu uns und lass uns reden.

Sinnkubator“ ist ja nun selbst erst mal so eine neue Idee. Euer Startup soll ab Januar fliegen lernen. Ist diese gemeinnützige GmbH am Anfang ein Ein-Mann-Betrieb mit Gesellschafterversammlung und angeschlossenem Sekretariat?

Ich finde, ein Sekretariat braucht heute kein Mensch mehr. Und am Anfang muss erst mal alles so schlicht und wirkungsvoll wie möglich laufen. Als künftiger geschäftsführender Gesellschafter werde ich den Kern der operativen Arbeit übernehmen – das Anstoßen der Kommunikation, den Netzwerk-Aufbau und die Koordination mit externen Partnern. Aber klar ist auch: Auf Dauer und in der Breite kann das kein Einzelner alleine leisten. Deswegen freue ich mich über unsere spannenden und kompetenten Gesellschafter, die auch wieder ein Netzwerk mitbringen. Unser eigener Businessplan für den „Sinnkubator“ ist gerechnet und finanziert für die ersten zwei Jahre. In dieser Zeit müssen wir selbst fliegen lernen. Mit Gottes Hilfe.

Dies ist Teil 1 eines längeren Gesprächs mit Jörg Dechert. Im zweiten Teil berichtet er, wie er zu seiner neuen geistlichen Berufung gekommen ist. Und wie er als langjährige christliche Führungskraft damit klarkommt, immer wieder auch an die eigenen, menschlichen Grenzen zu stoßen. Erscheinungstermin: kommender Samstag.

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