Neue Debatte über Geheimplan-Recherche von „Correctiv“

Die Investigativ-Plattform „Correctiv“ sorgte Anfang des Jahres mit ihrem Bericht von einem „Geheimplan gegen Deutschland“ für Aufregung. Nun beklagen Medienkritiker handwerkliche Mängel und haben eine neue Debatte über den Beitrag ausgelöst.
Von Jonathan Steinert
Muslimische Frauen in Berlin

Es war sicher einer der wirkungsvollsten und meistbeachteten Medienbeiträge in diesem Jahr: Im Januar berichtete die Investigativ-Plattform „Correctiv“ über ein Treffen von Rechtsextremisten und AfD-Politikern in Potsdam und ihren „Geheimplan gegen Deutschland“, Ausländer in großem Stil zu „remigrieren“. Nun hat das Medienmagazin „Übermedien“ eine neue Debatte um diese Recherche angestoßen – kurz nachdem das „Netzwerk Recherche“ den Beitrag im Juli mit dem „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ ausgezeichnet hatte.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier, Christoph Kucklick, Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule, und Felix W. Zimmermann, Chefredakteur von Legal Tribute Online, werfen „Correctiv“ vor, es erzeuge „eine systematische Unsicherheit über das, was eigentlich die Aussage des Artikels ist und worin der Skandal von Potsdam besteht“. Der Text sei an wichtigen Stellen zu ungenau. Er liefere zu wenige handfeste Belege für den Kern der Recherche, nämlich, dass es bei dem Treffen um die verfassungsfeindliche Planung von massenhaften Ausweisungen von Ausländern und Migranten mit deutschem Pass gegangen sei.

Dass die Investigativjournalisten auch auf die Wannseekonferenz und Nazi-Pläne, Juden nach Madagaskar zu verschleppen, anspielten, lege nahe, bei der Konferenz seien Deportationspläne diskutiert worden. Zitate des Rechtsextremisten Martin Sellner, der auf dem Treffen gesprochen hatte, habe „Correctiv“ jedoch nur sehr knapp wiedergegeben – und darin spreche er nicht über Herkunft, Aussehen oder andere rassistische Kriterien. Die drei Autoren sehen in diesen ungenauen Darstellungen von „Correctiv“ Raum für Missverständnisse. Andere Medien seien daraufhin mit noch dramatischeren Formulierungen wie einer geplanten „Terrorherrschaft“ oder „Massendeportationen“ auf das Thema aufgesprungen.

„Correctiv“: Wir schreiben klar

Die „Übermedien“-Autoren bemängeln, dass „Correctiv“ nicht besser erklärt habe, wie Sellner denkt und was er mit seinen Formulierungen tatsächlich meint. Stattdessen arbeite die Redaktion mit Wertungen und begnüge sich damit, dessen Ideen „plastisch vor Augen“ zu führen. Zudem kritisierten sie, dass der Beitrag einen Preis erhielt, weil er eine so breite öffentliche Wirkung erzielte – unter anderem waren danach in ganz Deutschland hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um für Demokratie zu demonstrieren. Das Mobilisieren von Menschen weise nicht auf die Güte eines Beitrags hin.

„Correctiv“ weist die Kritik an der Recherche und an missverständlichen Darstellungen zurück. „Unsere Berichterstattung hat die Ereignisse und Aussagen klar beschrieben und eingeordnet“, heißt es in einer Reaktion auf die „Übermedien“-Kritik. Sellners rassistische und völkische Grundhaltung mache er seit Jahren öffentlich. Darauf habe der Text auch gesondert hingewiesen und zudem erklärt, was mit „Remigration“ gemeint sei.

Aus belastbaren Zitaten werde deutlich, dass es den Teilnehmern bei dem Treffen in Potsdam darum gegangen sei, „Millionen von Menschen – darunter ausdrücklich auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit – zu vertreiben. Das suggerieren wir nicht, sondern schreiben es klar“, betont „Correctiv“. Die Recherche habe eine solide Quellengrundlage, die über das, was im Text stehe, hinausgehe.

Unterstützung für „Correctiv“

Verschiedene andere Journalisten haben die neu entfachte Debatte aufgegriffen. Bei „Übermedien“ selbst kritisiert Andrej Reisin, der Beitrag über die „Correctiv“-Recherche verharmlose in seiner Argumentation die rechtsextremistischen Ideen. Dabei gehe es um weit mehr als um die Abschiebung von Asylbewerbern, führt Reisin unter anderem anhand von Sellners Buch über „Remigration“ aus und stellt fest: Die Dimension dieses Projektes sei exakt die, die „Correctiv“ in seiner Recherche beschreibt.

Der ehemalige Leiter des Medienressorts der Süddeutschen Zeitung, Hans-Jürgen Jakobs, hält einige der Kritikpunkte von „Übermedien“ angebracht. Jedoch sprächen diese Einwände „nicht final gegen den Text, in dem die Menge präsentierter Fakten beeindrucken kann“. Der Neuigkeitswert des Artikels sei hoch. Die meisten Interpretationen, die „Correctiv“ anstelle, leiteten sich aus den Fakten ab, die ebenfalls im Text stünden. Für Jakobs ist die bisherige Auseinandersetzung über die Recherche Teil eines aufgeheizten Kulturkampfes links-liberal gegen rechts. „In der Mitte: ein sich ausbreitendes Vakuum.“

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