Rezension

„Panorama 3“-Beitrag kritisiert christliches „Haus Seenest“ – mit wenig Substanz

Der NDR berichtet über das christliche „Haus Seenest“, das sich um minderjährige Missbrauchsopfer kümmert. Seine Kritik untermauert er nur dürftig mit Fakten und macht mit Vermutungen Stimmung gegen die Arbeit.
Von Swanhild Brenneke

Unter dem Titel „Christliche Nächstenliebe? Dubioser Verein kümmert sich um Minderjährige“ veröffentlichte die NDR-Sendung „Panorama 3“ am Dienstagabend einen zehnminütigen Beitrag über das „Haus Seenest“ im Allgäu. Es möchte nach eigener Aussage ein Schutzhaus für Kinder und Jugendliche sein, die sexuelle Ausbeutung erlebt haben. Träger des Hauses ist die gemeinnützige GmbH „Himmelsstürmer“. Dahinter steht der Verein „Mission Freedom“ der umstrittenen evangelikalen Predigerin Gaby Wentland.

Wentland und ihr Verein wurden in der Vergangenheit wegen ihrer evangelikalen Ausrichtung bereits im Fernsehen kritisiert. Auch wegen der Geschichte eines angeblichen Opfers von Zwangsprostitution, mit dem der Verein um Spenden warb. Das Landeskriminalamt Hamburg ermittelte vor mehr als zehn Jahren in dem Fall des Opfers und kam zu dem Schluss, dass die Geschichte erfunden war.

Der aktuelle „Panorama 3“-Beitrag wärmt großteils nur diese Geschichten auf, ohne wirklich etwas Neues oder Substanzielles zu bieten. Dafür gibt es aber jede Menge dramatische Musik und nicht belegte Unterstellungen und Vermutungen. Schon zu Beginn fragt die Reporterin: „Gibt es dieses Haus wirklich? Leben dort tatsächlich Kinder und Jugendliche?“ Ob ja oder nein, das erfährt der Zuschauer nicht. Denn niemand war dort oder hat mit Verantwortlichen des neu eröffneten Schutzhauses gesprochen.

Stattdessen werden in der Doku mehrere Dorfbewohner gefragt, die übereinstimmend sagen, ihnen sei nie etwas Besonderes aufgefallen, weder positiv noch negativ, und die Jugendlichen, die im Schutzhaus leben, hätten sie auch noch nicht getroffen.

Vermutungen über Vermutungen

Dann interviewt die NDR-Reporterin den Theologen Christoph Grotepass von „Sekten-Info Nordrhein-Westfalen“ (wobei das Haus Seenest im Allgäu liegt). Der findet das „christlich-fundamentalistische Weltbild“ und die „Vorstellung eines real-existierenden Satans“ und „dämonische Kräfte auf der einen Seite und Gott und seine heilende Wirkung auf der anderen Seite schrecklich“.

Die Reporterin, die sich von der Kamera oft während ihrer Recherchereise zeigen lässt, vermutet dann, es könne also bei dem Schutzhaus möglicherweise ein Weltbild zugrunde liegen, in dem es einen real existierenden Teufel und einen real existierenden Gott gibt. Und weiterhin könnte es dann schädlich für die Kinder und Jugendlichen sein, wenn sie damit konfrontiert würden. Besonders im Hinblick auf deren Missbrauchserfahrungen.

Das wäre in der Tat schwierig: Wenn für alles Leid dämonische Kräfte verantwortlich gemacht werden, kann dies einen enormen psychischen und geistlichen Druck auslösen. Es könnte aber auch sein, dass die Verantwortlichen vor allem einen Gott zeigen wollen, der Wunden heilt, der das Böse besiegt hat und der neue Hoffnung schenkt. Dagegen kann niemand etwas haben. Wie ist es denn aber wirklich? Darüber lässt der Beitrag den Zuschauer im Unklaren.

Stimmungsmache?

Statt Fakten zu liefern, kommt Grünen-Politikerin Gabriele Triebel zu Wort, Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Ihre Meinung überrascht den Zuschauer nun beinahe nicht mehr: Es hätte für das Schutzhaus gar keine Betriebserlaubnis geben dürfen, meint sie.

Am Ende findet sich – möglicherweise – etwas Selbsterkenntnis im Beitrag: „Wie die konkrete Arbeit im Haus Seenest abläuft, darüber ist nur wenig bekannt“, heißt es. Der Zuschauer ist also am Ende genauso schlau wie zuvor. Es bleibt die Frage, warum dieser Beitrag überhaupt gesendet wurde, denn mit dem Selbstanspruch des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks und fundiertem Journalismus hat das wenig zu tun. Geht es den Machern einfach darum, Stimmung gegen Wentland und ihre Arbeit zu machen?

Übrigens berichtet auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) in ihrer aktuellen Ausgabe über das Seehaus. Aufbau, Inhalt und Protagonisten des Artikels stimmen eins zu eins mit dem „Panorama 3“-Beitrag überein. Die SZ gehört zum „Rechercheverbund NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung“. Da hätte man eigentlich mehr faktenbasierte Kritik erwarten dürfen.

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