Rezension

Jordan Peterson verheddert sich in Esoterik-Buzzwords

Von „Identität, Glaube und Verantwortung“ und der „Quelle des Lebens“ soll das Buch des bekannten Psychologen Jordan Peterson handeln, verspricht der Verlag. Die Hoffnung, es gehe hier um den christlichen Glauben, zerschlägt sich.
Von Jörn Schumacher
Die Essenz des Seins

Der bekannte klinische Psychologe, Sachbuchautor und gefragte Redner Jordan Peterson ist bekannt durch seine provokant konservativen Ansichten, die in zahlreichen YouTube-Videos dokumentiert sind. Peterson war bis 2022 Professor an der Universität Toronto. Er gab seinen Lehrstuhl nach eigener Aussage auf, weil er sich aufgrund seiner sperrigen Ansichten dort nicht mehr erwünscht fühlte.

Seine Hauptforschungsgebiete waren die Psychologie des Glaubens sowie die Verbesserung der Persönlichkeit. Bekannt wurde er vor allem wegen seiner konservativen Positionen etwa zur #metoo-Debatte, zu Genderpolitik und Geschlechtsumwandlung. Ein Interview, das der Psychologe 2018 dem britischen Fernsehsender BBC gab, sorgt bis heute für Diskussionen.

Der Clip hat mittlerweile fast 50 Millionen Klicks. Peterson sprach darin zu Themen wie Ermutigung für junge Männer, schwache Männer und starke Frauen in Beziehungen, geschlechtergerechte Bezahlung und Postmoderne. Immer wieder machten Gerüchte die Runde, Peterson habe sich dem Glauben zugewandt, und er wurde entsprechend häufig zu Themen rund um Religion befragt. Der 62-Jährige weicht der Frage, ob er persönlich an Gott glaube, allerdings immer aus.

Corona-Diktatur des Staates, und Gott als „Quelle des Werdens“

Nun hat der schweizerische Fontis-Verlag das Buch „Die Essenz des Seins“ herausgegeben, das Peterson gemeinsam mit Jonathan Pageau schrieb. Der Kanadier Pageau studierte orthodoxe Theologie und Ikonologie und schnitzt seit 2003 Ikonen. Leider wird Peterson auch in diesem Buch nicht konkreter, was seinen Glauben angeht. Vielmehr verliert er sich in kryptische, manchmal auch esoterisch anmutende, vor allem aber humanistische Philosophien darüber, wie der Mensch gut werden könnte.

Peterson kreist um das Thema Identität und wie diese in einem „Kulturkampf“ gefährdet sei. Der Glaube bleibt hier eher vage, er wird als Mut bezeichnet, der „Möglichkeiten der Zukunft mit offenen Armen empfangen“ vermag, als eine „Vision, die uns Hoffnung und Sicherheit gibt“. Konkreter, aber vor allem christlicher wird es in diesem Buch nicht.

Der Mensch lerne in seinem Leben, immer mehr und größere Verantwortung zu übernehmen – erst bei Freunden, dann in der Ehe, schließlich als Elternteil, und am Ende auch irgendwie gegenüber der Stadt und dem Staat. Peterson nennt das eine Hierarchie der Verantwortung, und an deren Spitze steht „ein Geist der Güte selbst“, das ist Gott. Identität erkennen heißt demnach, seinen Platz in dieser Hierarchie zu finden. „Der Sinn des Lebens – wer hätte das gedacht? – liegt nämlich nicht in selbstsüchtigen, eng gefassten und unmittelbaren Zielen oder Antrieben.“

Dann kritisiert Peterson „den Staat“, der während der Corona-Zeit totalitär in das Leben der Menschen eingegriffen habe. Mühelos bringt der Psychologe den „Autoritarismus“ und „Totalitarismus“ während der Corona-Pandemie mit der Weimarer Republik und dem Dritten Reich in Verbindung. Gerade hat Peterson noch von Verantwortung gesprochen, die wir alle tragen. Dann empört er sich über den Staat, der in der Corona-Pandemie seiner Pflicht nachgegangen ist, Schwächere vor dem Egoismus anderer zu schützen. Maskentragen, Impfen, Abstandspflichten, das alles wurde vielleicht eben deswegen verordnet, weil eben nicht alle Individuen, wie Peterson sich das wünscht, Identität, Glaube und Verantwortung in kosmischer Harmonie in Einklang gebracht haben.

Hier tritt dann auch der größte Widerspruch des Buches zutage. Erst sprechen die Autoren von der „Hierarchie der Verantwortung“, und dann vom Staat, der sich „während der psychogenen Covid-Epidemie in Gestalt des globalen Leviathans zeigte“. Weiter: „Der absolute Staat verdrängt die individuelle Identität.“ Peterson philosophiert von einer „großen Kette des Seins“, die bereits „Philosophen, Theologen und Mystiker“ beschäftigt habe, und nennt im Vorbeigehen Paulus einen „christlichen Mystiker“ und wirft ihn mit Meister Eckhart in einen Topf. Gott sei da das „Summum Bonum“, „die Einheit alles Guten“ und „die Quelle des Werdens“.

Peterson und Pageau verheddern sich in esoterischem Quatsch, es häufen sich Sätze wie: „Die fraktale Identität reicht von unten nach oben. Sie ist wie Yggdrasil, der ewige Baum des Lebens, dessen Wurzeln bis in die tiefsten und unsichtbarsten mikrokosmischen Bereiche hineinreichen und dessen Äste sich bis in die makrokosmischen Höhen erheben.“

Zwischendurch scheint die von Peterson bereits bekannte kritische Haltung in Bezug auf Homosexualität, Transsexualität und sexueller Vielfalt durch. Ausnahmeerscheinungen in der sexuellen Orientierung würden „ins Zentrum“ gerückt, kritisiert er. „Abweichende Begierden oder Verhaltensweisen, die früher als kriminell gegolten hätten“ würden normal und sorgten für „Chaos“ und eine „Epidemie psychischer Erkrankungen“. Mit dieser „Taktik“ würden Identitäten „zerstört“, also Familie, Nationalität und religiöse Zugehörigkeit beispielsweise. Wenig später plädiert Peterson dafür, der Gesetzgeber müsse sich „aus den Schlafzimmern seiner Bürger heraushalten“. Ja, aber meint Peterson denn, er müsse schwul werden, weil es Demonstrationen von Schwulen gibt?

Öffentliche Kundgebungen der „Pride-Community“ sieht Peterson als „Zwangsveranstaltungen“; er stört sich daran, dass Minderheiten so viel Aufmerksamkeit bekommen. „Pride feiert das absolut autonome und aus der Genuss- sucht motivierte, sich selbst zersetzende Individuum“, so Peterson. Soll das heißen, dass heterosexuelle Sexualität mit Genuss nichts zu tun hat, sondern nur mit der „ordentlichen“ biologischen Notwendigkeit zur Vervielfältigung?

Subsidiaritätsprinzip für die kosmische Ordnung

Die Lösung für eine harmonische Gesellschaft findet Peterson in einer Enzyklika von Papst Leo XIII. (1810–1903). Im darin propagierten Subsidiaritätsprinzip, dem „Herzstück der katholischen Soziallehre“, übernehme das Individuum „aus freien Stücken die Verantwortung für sein Verhalten“. Auch für den Frieden auf der Welt sei das eine Lösung.

Aber was, wenn das Individuum sich eben nicht um dieses Prinzip von Verantwortung und Glaube schert, wie man es tagtäglich im Weltgeschehen erlebt? (Im Falle der römisch-katholischen Kirche sollte man fairerweise noch hinzufügen, was Peterson unterschlägt: Was hier „Ordnung“ ist, wird zentral und von ganz oben vorgegeben und eben nicht vom Individuum vorgelebt.)

Wer die Schwächung des Staates will, muss an das Gute im Menschen glauben. Genau das widerspricht aber der christlichen Lehre. Peterson hat den Kern des Evangeliums nicht verstanden: Wenn er vom „Ziel allen Strebens“ und dem „transzendenten Gut“ spricht, und dass jeder Mensch nach dem Guten streben sollte, ist das nichts weiter als das humanistische Ideal, das Gott als Retter ablehnt.

Der Mensch solle seine Rollen „als bester Mensch, Elternteil, Spieler oder bestes Gemeindemitglied“ so gut ausfüllen wie möglich. Das erinnert an Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Das Göttliche“: „Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!“ Der christliche Glaube verweist aber darauf, dass der Mensch dieses Ideal eben nicht aus sich selbst heraus erreichen kann, sondern umgekehrt Hilfe von Gott benötigt; eine Erlösung von dieser Unfähigkeit und Vergebung der Sünden.

Petersons „Glaube“ ist kein Glaube an Gott, es ist der Glaube an den Menschen. Wenn man ihn überhaupt als irgendwie christlich bezeichnen möchte, dann als katholisch. Das Erlösungswerk liegt beim Menschen; nicht bei Gott. Zwar zieht Peterson immer wieder biblische Figuren und Szenen heran, er deutet sie aber gänzlich außerhalb des christlichen-jüdischen Kontextes und ganz neu im Dienste seiner eigenen Philosophie.

Die Bibel-Szenen werden Teil einer Sammlung von Esoterik-Buzzwords. Von Einheit und Vielfältigkeit ist da die Rede, die sich „gegenseitig definieren“. Schlimm wird es, wenn Peterson dann auch noch das Buch der Offenbarung des Johannes, das kryptischste Buch der Bibel, auf Irdisches und Gegenwärtiges bezieht und für seine eigene Argumentation benutzt.

Jordan B. Peterson, Jonathan Pageau: „Die Essenz des Seins. Über das Zusammenspiel von Identität und Verantwortung“, Fontis Verlag, 144 Seiten, 15,90 Euro, ISBN: 9783038482871

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